Anfang März wurden in der Region die ersten Corona-Fälle bekannt. Aus Italien kamen Bilder von überlasteten Kliniken und immer mehr Toten, das neuartige Virus stellte Ärzte, Virologen und Politiker gleichermaßen vor enorme Herausforderungen. Und heute? "Wir haben in der Corona-Krise medizinisch sehr viel dazu gelernt", sagt Prof. Patrick Meybohm, Intensivmediziner und Direktor der Klinik für Anästhesiologie des Uniklinikums Würzburg. Im Gespräch erklärt er, was schwerstkranke Covid-19-Patienten brauchen, weshalb er keinen Tsunami an Neuinfektionen erwartet und warum Unterfranken Glück hatte.
Prof. Patrick Meybohm: Auf der Intensivstation herrschte damals Anfang März eine Mischung aus Aufregung, Spannung und auch etwas Sorge, nach den Berichten aus anderen Ländern. Gleichzeitig hatten wir aber ein gewisses Selbstbewusstsein. Wir wussten, dass wir in Deutschland mit unseren Strukturen und der Expertise in der Intensivpflege gut vorbereitet sind.
Meybohm: Aktuell haben wir sieben Corona-Patienten, insgesamt waren es knapp 40. Auf dem Höhepunkt der Epidemie mussten 21 Patienten zeitgleich intensivmedizinisch behandelt werden.
Meybohm: Angst würde ich nicht sagen. Wir sind seit Jahren auf schwerstkranke, infektiöse Patienten spezialisiert. Die Erfahrung gibt Sicherheit. Zudem haben wir im Vorfeld trainiert – etwa wie Schutzausrüstung richtig an- und abgelegt wird, um eine Ansteckung zu vermeiden.
Meybohm: In den ersten Stunden oder Tagen nach der Aufnahme nicht. Da sind es wie die meisten anderen Fälle auch schwerstkranke Patienten, die enorm viel Zuwendung brauchen und einen hohen Aufwand, vor allem für unsere Intensivpflegekräfte, bedeuten. Anders ist, dass Corona-Patienten auf Intensivstationen tendenziell jünger sind und dass sie länger brauchen, um sich von der Lungenentzündung zu erholen.
Meybohm: Diese Fälle gibt es auch. Da die Intensivmedizin der Uniklinik in Würzburg aber ein Expertenzentrum ist, werden vor allem die jüngeren und mittelalten Patienten von Ende 40 bis Anfang 60 zu uns geschickt.
Meybohm: Die meisten Corona-Patienten zeigen nur leichte Grippesymptome. Aber: Bei einigen Erkrankten ist das Virus ziemlich hartnäckig und diese liegen dann bei uns auf der Intensivstation. Das Coronavirus verursacht bei solchen Patienten meist Begleitschäden: Dabei wird nicht nur die Lunge angegriffen, sondern es kommt häufig auch zu Problemen mit den Nieren oder dem Gerinnungssystem des Blutes. Vor allem aber dauert die Erholung länger, man braucht viel Geduld. Wir haben junge Patienten, die schon mehr als 40 Tage auf unserer Intensivstation liegen.
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Meybohm: Ja, aber bei den Schwerkranken können Beeinträchtigungen bleiben. Wenn man lange auf einer Intensivstation lag, braucht man viel Zeit und Geduld, um mit Reha, Physiotherapie und Training wieder in das alte Leben und den Beruf zurück zu kommen.
Meybohm: Mit weiteren Kliniken in Deutschland haben wir kürzlich mehr als 100 Fälle analysiert. Demnach überleben knapp 70 Prozent der Corona-Intensivpatienten. Das ist im Vergleich zu anderen Ländern ein sehr gutes Ergebnis.
Meybohm: Wir haben in der Corona-Krise medizinisch sehr viel dazu gelernt. In den vergangenen Wochen wurden hunderte Studienergebnisse veröffentlicht, einige Daten kamen auch aus Würzburg. Jeden Tag lesen wir bei uns im Team, was es Neues gibt. Das neue Wissen gibt Sicherheit. Trotzdem ist es im Einzelfall immer eine lebensbedrohliche Erkrankung. Wir sind froh, dass wir in der Intensivmedizin in Deutschland so viel anbieten können – egal ob Dialysemaschinen, künstliche Beatmung oder eine sogenannte Ecmo als künstliche Lunge. Das sind alles Therapien, die wir uns leisten und die im Einzelfall das Leben retten.
Meybohm: Absolut. Die Einschränkungen kamen zu einem Zeitpunkt, als wir nicht wussten, wie die Pandemie weiter verläuft. Damals kamen in einem kurzen Zeitraum sehr viele Patienten in die Krankenhäuser und auf die Intensivstationen, auch überraschend. Einige Kliniken waren bereits fast am Limit oder mussten Patienten in andere Häuser schicken, weil sie es sonst nicht geschafft hätten. Das passierte, ohne dass Krankenhäuser sich lange vorbereiten konnten. Deshalb waren die Maßnahmen sicher gerechtfertigt. Ob die Infektionszahlen in den vergangenen Wochen auch ohne die Ausgangsbeschränkungen wieder gesunken wären, das ist spekulativ.
Meybohm: Die Lockerungen sind notwendig, um die Kollateralschäden in der Gesellschaft und auch die wirtschaftlichen Auswirkungen zu reduzieren. Ich persönlich stehe dazu, dass man das auf jeden Fall braucht. Wir haben ja auch andere Patienten – etwa die chronisch Kranken mit hohem Blutdruck, Herzschwäche oder Patienten mit einem neuen Tumor – die jetzt zuhause sitzen und sich nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus trauen. Diese Menschen haben auch das Recht auf eine schnelle, zeitnahe und gute Versorgung. Aber man muss die Lockerungen begleiten. Wichtig ist es, die Bevölkerung mitzunehmen, zu schulen und darauf zu achten, dass Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden.
Meybohm: Das reicht. Die Patienten stehen nicht von heute auf morgen vor der Türe. Die Entwicklung ist wie eine Welle, die in ein, zwei Wochen ansteigt. Solange hat man Zeit genug, um wieder Betten freizumachen.
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Meybohm: Aus meiner Sicht wird die Anzahl der Infektionen zunehmen und damit auch die Zahl der Intensivpatienten steigen. Aber das wird kein Tsunami wie im März, sondern wahrscheinlich eher eine flache Welle. Außerdem haben viele Krankenhäuser dazu gelernt und sind mutiger und sicherer bei der Versorgung von Corona-Patienten geworden.
Meybohm: Ganz sicher: ja. Unser Gesundheitssystem in Unterfranken war nie gefährdet oder am Limit. Wir haben aber auch einfach ein bisschen Glück gehabt.