Der mRNA-Impfstoff ist eine bahnbrechende medizinische Neuerung. Wissenschaftler fasziniert das, manche Menschen verunsichert es. Auch wer nicht prinzipiell Impfgegner ist, hat vielleicht Bedenken vor einer bislang nicht bekannten, vielleicht seltsam klingenden Technik. Um rational mit dem Thema umzugehen, muss man es verstehen: Was sind die biologischen Grundlagen der mRNA-Methode? Wie funktioniert sie? Professor Jörg Vogel, Leiter des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung in Würzburg, und sein Team haben Fragen zur Wirkungsweise, Vorteilen und eventuellen Risiken von mRNA-Impfstoffen beantwortet. In dem Institut in Würzburg forschen 40 internationale Wissenschaftler seit drei Jahren an diesen Medikamenten.
Mit einem Impfstoff werden dem Körper abgeschwächte Krankheitserreger oder Teile davon verabreicht. Klassisch werden Impfviren in Hühnereiern vermehrt. Teile von Viren, wie das Spike-Protein (oder Stachel-Protein) an der Oberfläche des Coronavirus werden heutzutage mit molekularbiologischen Methoden hergestellt. Kommt es nach der Impfung tatsächlich zu einer Infektion mit dem Erreger, kann sich der Körper besser dagegen wehren: Sein Immunsystem erkennt den Erreger wieder und reagiert schneller.
Zellen des Immunsystems machen fremde Schadstoffe, Bakterien und Viren unschädlich, die in den Körper gelangen. Einige dieser Immunzellen im Blut - die B-Lymphozyten (weiße Blutkörperchen aus dem Knochenmark) - bilden spezifische Abwehrstoffe, die genau einen bestimmten Erreger und seine sogenannten Antigene auf der Oberfläche erkennen. Diese Abwehrstoffe, die Antikörper, binden an den jeweiligen Erreger und markieren ihn. Andere Immunzellen machen ihn dann schnell unschädlich. Das Besondere: B-Zellen merken sich den Erreger. Bei einer erneuten Infektion mit ihm werden sie durch dessen Antigene aktiviert, erneut Antikörper auszuschütten, die den Eindringling markieren und das Immunsystem alarmieren.
Ein Grundbaustein von Tieren, Pflanzen, Bakterien und Viren sind Proteine (Eiweiße). Es gibt zahllos viele verschiedene Proteine mit vielen verschiedenen Aufgaben. Jedes Protein hat eine bestimmte Struktur. Antigene sind körperfremde Proteine, zu denen die vom Immunsystem gebildeten Antikörper passen - wie ein Schlüssel ins Schloss. Die einmal gebildeten Antikörper zirkulieren in Blut und Gewebe und binden an das passende Antigen, sobald dieses auftaucht. Die vom eigenen Körper produzierten Proteine oder die anderer Erreger passen dagegen nicht.
messenger RiboNucleicAcid (Boten-Ribonucleinsäure) wird im im Zellkern als Kopie eines DNA-Abschnitts, eines Gens, kopiert. Dieser Abschnitt ist der Bauplan für ein bestimmtes Protein, das dann mit Hilfe der mRNA im Zellinneren produziert wird. Dieses Bau-System funktioniert in Tieren und Pflanzen genauso wie in Bakterien und auch Viren. Gentechnische Methoden nutzen dieses Prinzip - zum Beispiel wird Bakterien ein Gen eingeführt mit dessen mRNA dann das für Menschen lebenswichtige Protein Insulin hergestellt wird.
DNA (DeoxyriboNucleic Acid) besteht aus ähnlichen Bausteinen wie RNA, hat aber eine andere Struktur. Sie ist der Träger der Erbinformation aller Lebewesen. Jede Zelle des Körpers speichert diese komplette Information in ihrem Kern. Aber jede Zelle schaltet dann nur die Bereiche der DNA an, die für ihre bestimmte Funktion wichtig sind. Zum Beispiel produzieren Haarwurzelzellen das Protein Keratin (Horn), in den Zellen der Magenschleimhaut wird das Protein Pepsin hergestellt, ein Verdauungsenzym, das Nahrung aufspaltet.
Der Impfstoff besteht nicht aus einem abgeschwächten oder abgetöteten Virus, sondern aus dem Bauplan für bestimmte Teile seiner Hülle: die mRNA für das Spike-Protein. Diese mRNA wird beim Impfen in den Muskel gespritzt und dort von Zellen aufgenommen, die das Spike-Protein produzieren und es dann auf ihre Hülle transportieren. Dort löst es als Antigen eine Immunreaktion aus: Die weißen Blutkörperchen (B-Zellen) produzieren Antikörper, die an das Spike-Protein binden. Kommen Geimpfte danach mit Corona-Viren in Kontakt, erkennt ihr Immunsystem die Spike-Proteine wieder: Das Immunsystem ist alarmiert und tötet die Viren ab.
Eine Verwechslungsgefahr zwischen RNA und DNA gibt es nicht, denn RNA ist anders aufgebaut als DNA. Zudem ist die DNA im Zellkern geschützt. Die mRNA dagegen ist instabil und wird automatisch nach einigen Stunden abgebaut. Es gibt zwar bestimmte Viren, die ihre eigene RNA in DNA umwandeln und im menschlichen Erbgut einbauen können, zum Beispiel Retroviren wie HIV. Allerdings ist dazu eine bestimmte Markierung der RNA nötig. Der mRNA des Impfstoffs fehlt diese Markierung. Selbst wenn sie in eine mit einem Retrovirus infizierte Zelle gelangen würde, ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie in DNA "umgeschrieben" und in die Chromosomen eingebaut würde.
Die mRNA ist in eine Hülle aus winzigen Fettpartikeln eingepackt, die sie schützt. Die Schutzhülle ähnelt der Membran, die alle Zellen umgibt. Die Fettpartikel können deshalb mit der Zellmembran verschmelzen und die enthaltene mRNA in das Zellinnere entlassen. Dort werden dann gemäß Bauplan die Spike-Proteine des Coronavirus hergestellt und die mRNA wird nach einigen Stunden abgebaut.
Bis das Immunsystem auf einen Fremdkörper reagiert und Immunität aufbaut, vergehen in der Regel ein bis zwei Wochen. Bis dahin hat der mRNA-Impfstoff längst sein Soll erfüllt und die Produktion des Spike-Proteins erwirkt.
Diese Gefahr besteht an sich bei jedem neuen Impfstoff. Hier kommt die präklinische Entwicklung ins Spiel: Reagiert das Immunsystem der Maus auf den Impfstoff, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch der Mensch einen Immunschutz aufbauen wird. Prinzipiell unterscheiden sich virale oder bakterielle Proteine deutlich von denen des Menschen, weshalb diese in aller Regel auch als fremd erkannt werden.
Die Körperzellen im Muskel produzieren das Spike-Protein des Virus nur vorübergehend. In dieser Phase nehmen die Immnunzellen das Protein von der Oberfläche der Körperzellen auf, um Antikörper zu entwickeln. Wenn die Immunreaktion dann richtig anläuft, ist die Produktion in den Körperzellen längst abgeschlossen. Sollten trotzdem noch einzelne Körperzellen das Spike-Protein auf ihrer Oberfläche haben, würde das Immunsystem diese angreifen. Dies würde sich durch vorübergehende Schmerzen wie bei einem Muskelkater zeigen. Das ist aber nicht wahrscheinlich.
Durch gängige molekularbiologische Methoden setzt man in Bakterien das Gen für das Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus ein. Diese Bakterien werden vermehrt, viele Kopien des gewünschten Gens isoliert und im Labor wird daraus mRNA hergestellt. Diese wird dann gereinigt und in Fettpartikel verpackt.
mRNA-Impfstoffe werden im Labor maßgeschneidert hergestellt. So kann zum Beispiel der Bauplan für ein Protein verwendet werden, das sich besonders gut als Antigen eignet. Auch lässt sich dessen Produktion im Körper durch bestimmte Veränderungen der mRNA erhöhen und Forscher können auf Mutationen des Virus mit Änderungen an der mRNA reagieren. So lassen sich schneller wirksame und verträgliche Impfstoffe gegen neu auftauchende Viren designen, als es mit herkömmlichen Methoden möglich wäre.
Entwickelt wurde die Methode ursprünglich zur spezifischen Bekämpfung von Tumorzellen. Dazu trägt die mRNA nicht den Bauplan eines Oberflächenproteins eines Virus, sondern einer Krebszelle. Nach der Impfung erzeugt der Körper dieses Krebsprotein und die dazu passenden Antikörper. Tumorzellen werden dann erkannt und vernichtet. Diese Therapie ist im Vergleich zu anderen Methoden der Krebsbekämpfung schonender und wurde in klinischen Studien schon erfolgreich angewandt. Auch ein Impfstoff gegen Tollwut steht kurz vor der Zulassung.