Die Lage erinnert fatal an den vergangenen Winter. Mit der vierten Corona-Welle müssen immer mehr schwer kranke Patientinnen und Patienten behandelt werden. Kliniken sind voll, Intensivbetten knapp, Ärzte und Pfleger arbeiten am Limit. Und die Frustration wächst: "Man denkt sich schon häufig: Wir haben doch die schützende Impfung – warum gibt es noch so viele Menschen, die das nicht einsehen?", sagt Dennis Flügge, Fachkrankenpfleger für Intensivmedizin und Atmungstherapeut. Der 40-Jährige betreut seit Beginn der Pandemie Covid-Erkrankte auf der Intensivstation der Missioklinik unter dem Dach des Klinikums Würzburg Mitte (KWM). Ein Gespräch über erschöpfte Pflegende, erschrockene Ungeimpfte und die Panik, wenn plötzlich die Luft zum Atmen fehlt.
Dennis Flügge: Es ist immer eine gewisse Anspannung dabei, weil man nicht weiß, was einen erwartet. Das liegt daran, dass Covid-Patientinnen und -Patienten gerade in der Anfangszeit extrem aufwendig zu betreuen sind und sich ihr Zustand sehr schnell verschlechtern kann. Und mittlerweile gibt es auch eine gewisse Frustration beim Team.
Flügge: Man fühlt sich wie bei einem Déjà-vu, wenn man an den vergangenen Winter denkt. Wir hatten gehofft, dass es nach den Erfahrungen im letzten Jahr und mit den Impfungen nicht wieder so schlimm werden würde. Jetzt aber sind wir in exakt der gleichen Lage, und das sogar einen Monat früher. Da spürt man Frustration. Aber man will allen Corona-Patienten natürlich nach wie vor helfen, das gilt für das ganze Team. Jeder macht Überstunden. Man ist müde und abgekämpft.
Flügge: Bei Covid-Erkrankten kann sich der Gesundheitszustand im Laufe eines Tages völlig verändern. Ein Patient, der morgens vielleicht stabil war, kann abends völlig instabil sein. Dann muss man ganz neue therapeutische Ansätze finden. Das kann natürlich bei allen Intensivpatienten passieren, aber bei Covid im Besonderen. Hinzu kommt das Problem, dass man in die Lunge nicht so hineinschauen kann, wie man gerne möchte. Wir haben zwar in den letzten zwei Jahren viele Erfahrungen mit Covid-19 gesammelt. Trotzdem treten immer wieder unerwartete Situationen auf.
Flügge: Die Arbeit ist durch die Covid-Patienten definitiv anstrengender geworden. Das liegt zum einen an der Menge an Corona-Fällen. Zum anderen aber auch daran, dass das Krankheitsbild bei jedem Betroffenen sehr individuell ist – und daran, dass gerade schwer an Corona Erkrankte oft sehr lange brauchen, um wieder zurück ins Leben zu finden.
Flügge: Das ist psychisch anstrengend, für mich und für das ganze Team. Man arbeitet oft lange auf einem sehr unsicheren Niveau, man weiß nicht, ob der Patient es schafft, man kann sich bei Corona nie sicher sein. Zum Teil betreuen wir die Menschen wirklich über Wochen und Monate, von der Akuterkrankung bis zum sogenannten Weaning, der Entwöhnung von der Beatmung. Vor allem wenn es junge Leute sind, im gleichen Alter wie man selbst, ohne Vorerkrankungen – da denkt man schon: Verdammt, derjenige stand genauso im Leben wie ich. Dann ist es auf einmal schwierig.
Flügge: Es hilft, dass es immer wieder Erfolgserlebnisse gibt. Wir hatten zum Beispiel in der zweiten Corona-Welle einen Patienten, der lange Zeit bei uns künstlich beatmet wurde und bei dem wir alle gefürchtet haben, dass er es nicht schaffen könnte. Irgendwann gab es aber einen Knackpunkt und es ging plötzlich voran. Und jetzt ist er kürzlich zur Nachkontrolle zu Fuß bei uns vorbeigekommen. Das sind die Erlebnisse, für die es sich lohnt.
Flügge: Wütend ist das falsche Wort. Bei uns dominiert eher ein "Och Mann"-Gefühl, die Frustration. Man denkt sich schon häufig: Wir haben doch die schützende Impfung – warum gibt es noch so viele Menschen, die das nicht einsehen?
Flügge: Ich denke, wir sind vor Ort, wir sehen auf der Station jeden Tag das Ergebnis einer Corona-Infektion – während andere nur Zahlen hören. Wir erleben die Menschen, die hinter den Statistiken stecken. Das macht traurig. Und es erschöpft. Trotzdem müssen wir gerade jetzt in der vierten Welle täglich noch mehr Prozent geben und noch mehr und man weiß einfach nicht wie. Wir sind am Limit. Und genau das ist der Punkt: Wenn man absolut am Limit ist und denkt, eigentlich wäre das vermeidbar gewesen.
Flügge: … hätte es zumindest nicht so schlimm kommen müssen. Dass Covid-19 nicht so schnell verschwindet, war uns allen klar. Aber dass es nach fast einem Jahr noch immer so viele Ungeimpfte gibt, das ist unverständlich. Und es liegen vor allem die Ungeimpften hier bei uns auf der Intensivstation. Natürlich gibt es ab und an auch Geimpfte – aber das sind die absoluten Ausnahmen.
Flügge: Die meisten sind eher erschrocken. Die Reflexion, was eine Covid-Erkrankung eigentlich bedeutet, das kommt erst viel später, wenn sie mit Langzeitfolgen zu tun haben. Zu Beginn, in der Akutphase, will man einfach nur Luft bekommen. Und oft kriegen sie keine Luft – und da erlebt man dann nur Panik und Angst.
Flügge: Die Behandlung von Covid verläuft in verschiedenen Stufen. Am Anfang haben die Betroffenen nur eine schnelle Atemfrequenz und teilweise Atemnot. Da versucht man, die Atmung zu beruhigen, mit Übungen oder Medikamenten oder man gibt zusätzlichen Sauerstoff. Je nachdem wie sich die Erkrankung verschlechtert, erhöht man die Unterstützung: Wenn Sauerstoff nicht mehr ausreicht, kann man über eine Maske beatmen und im letzten Schritt werden die Patienten in ein künstliches Koma versetzt und intubiert.
Flügge: Das Problem ist die Erschöpfung: Unsere Atmung funktioniert über das Zwerchfell, und das ist letztlich auch nur ein Muskel, der bei Überlastung irgendwann erschöpft ist. Dann sagt der Muskel, jetzt kann ich nicht mehr – und das ist der Moment, in dem die Menschen nicht mehr selbst atmen können. Dann müssen das Maschinen übernehmen.
Flügge: Man muss dazu wissen: Schwer an Corona erkrankte Patienten sind eine Herausforderung für das ganze Team. Man muss jede Stunde überprüfen, ob die Betroffenen noch alleine atmen können oder nicht. Dann muss die Beatmung richtig eingestellt und immer wieder angepasst werden. Manchmal ist es auch nötig, Patienten in Bauchlage zu drehen, um sie zu entlasten. Gerade Covid-Erkrankte werden oft sehr, sehr lange beatmet. Das heißt, dass sie auch danach noch einen langen Weg vor sich haben: Sie müssen alles wieder lernen – das Atmen, das Essen, das Schlucken, das Sprechen. Das geht nur Schritt für Schritt und dazu braucht es ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Pflegekräften, Atmungstherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden und Psychologen.
Flügge: Genau darum geht es im Weaningzentrum. Normalerweise machen wir uns nie Gedanken um das Atmen, das passiert ganz automatisch. Unser Gehirn sendet Signale und die werden verarbeitet. Nur im Koma funktioniert das nicht mehr, dann übernimmt die Maschine. Sie bewegt den Atemmuskel. Allerdings kennt das jeder: Wenn man einen Muskel stilllegt, zum Beispiel in Gips, dann baut die Muskulatur extrem schnell ab. Genau das gleiche passiert mit der Atmung – und der Muskel muss wieder langsam aufgebaut werden. Dazu muss man ihn trainieren, ihn eine kurze Zeit selbst arbeiten lassen und ihn dann wieder entlasten. Das heißt, Patienten atmen kurzzeitig alleine, dann übernimmt wieder die Maschine. Und langsam werden die Phasen, in denen man alleine atmet, länger und länger. Aber das dauert. Dieser langwierige Verlauf ist auch der Grund, warum Corona-Patienten so lange auf der Intensivstation bleiben. Covid ist in der Regel keine Sache von ein oder zwei Wochen – sondern von vier, acht oder zwölf Wochen.
Flügge: Ja. Manchmal sieht man Bilder der Covid-Patienten vor der Erkrankung, zum Beispiel auf dem Personalausweis – und dann sieht man nach Wochen oder Monaten, wie ausgemergelt diese Leute sind. Das berührt. Und es ist anstrengend, denn das geht seit Beginn der Pandemie immer so weiter: Hat man einem Erkrankten geholfen, rückt der nächste nach. Das nimmt man oft mit nach Hause und auch dort verschwindet Covid einfach nicht aus dem Kopf. Es ist in den Nachrichten Thema, bei den Kindern in den Schulen - und am nächsten Tag bei der Arbeit hat es einen wieder. Das zermürbt.
Oder willst du das Land noch mehr schädigen?
Ihr Forderung ist durchaus nachvollziehbar. Es gibt jedoch feste Kriterien nach denen Artikel freigeschaltet werden.
Wir bitten dafür um Verständnis.
Herzliche Grüße
Silke Albrecht
Digitales Management
es ist wirklich bedauerlich, das die Kriterien so fest sind, dass sie nicht der Sinnhaftigkeit willen geändert werden können. Ich sehe die Notwendigkeit des bezahlen Journalismus vollkommen ein, doch in diesem Fall unter den krisenhaften Umständen einer pandemischen Notlage, wo jeder einzelne Mensch, der zur Impfung überzeugt wird, wichtig ist, kann ich für eine solche Unbeweglichkeit beim besten Willen kein Verständnis aufbringen.
(Meine Tochter starb an der Impfung. So fühle ich mich - WELT)
Glauben die empathielosen Kommentatoren hier, dass dieser Mutter geholfen ist, wenn sie hört, dass nur ein verschwindend geringer Prozentsatz an der Covid-Impfung Schaden nimmt oder gar stirbt? Dabei ist überhaupt nicht klar, wie groß dieser Prozentsatz wirklich ist. Wer die Behauptungen auf beiden Seiten unvoreingenommen verfolgt, wird am Ende vielleicht wahnsinnig. Auf jeden Fall hat die Politkaste hier und auch anderswo zu viel gelogen und falsch gerechnet, als dass ihr von ernsthaft um Wahrheit Bemühten noch großartig Vertrauen entgegengebracht werden kann, wird und sollte.
Und natürlich bezweifeln die Menschen, die von Impfkomplikationen betroffen sind oder deren Angehörige, ob sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Aber ich denke, das gilt auch für die vorsätzlich Ungeimpften auf den Intensivstationen und den Friedhöfen – und das sind ungleich mehr …
Oder glauben Sie wirklich, den Impfgegnern würden Impfschäden in der Größenordnung der Covid-19-Opfer entgehen? Dass das nicht öffentlich thematisiert würde? Dass die Medien und alle Experten Teil einer riesigen Impf-Verschwörung sind?
Wenn Sie nicht glauben, dass es um Größenordnungen mehr Covid-Opfer als Impfschäden gibt, dann sind Ihre Systemzweifel so grundlegend, dass sie eigentlich gar nichts mehr glauben können … dann ist das Urteilsvermögen komplett dahin … und ein Querdenker geboren.
Hoffentlich gibt es bald Wertschätzung für die Tätigkeit in der Pflege das wäre und ist mein größter Wunsch. Ohne Pflege gehts nicht, wirklich nicht .
Danke.
Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es Menschen, die sich nicht impfen lassen können – und ich beobachte selbst auch, wie die Geimpften in der Selbstverständlichkeit ihres eigenen Impfschutzes es an Verständnis, Rücksicht und Empathie mangeln lassen.
Um so unverständlicher und ärgerlicher finde ich dann aber eben auch die Haltung derer, die sich impfen lassen könnten – es aber dennoch verweigern. Denn mit jeder Impfung steigt auch ein ganz klein wenig der Schutz der unfreiwillig Ungeimpften, weil sich das Virus etwas schwerer verbreiten kann.
Es wird leider immer Menschen geben, die sich nicht impfen lassen können (oder die keinen Impfschutz aufbauen können) – und es wäre an allen anderen, diese Menschen durch die eigene Impfung mit zu schützen.
Aber leider, leider hat das für viel zu viele Egoisten überhaupt keine Bedeutung …
Der Unterschied zwischen nicht können und nicht wollen ist klar und ganz präsent. Letztere sind gemeingefährlich, Ersteren gehört alles Mitgefühl. Wer nicht geimpft werden kann, braucht besonders die Rücksicht und die Solidarität aller anderen; das macht das Nicht-Wollen umso verurteilenswerter.
Dass Ihnen Berichte wie dieser Artikel Unbehagen machen, ist nachvollziehbar.
Den meisten Eltern von Kindern unter 12 Jahren (uns zum Beispiel) geht es ganz ähnlich, aber das nur nebenbei.
Schade, dass in den Medien den Schwurbeltrotteln von der Querdenker-Fraktion ein Vielfaches der Aufmerksam geschenkt wird und diejenigen, die Tag für Tag mit den Folgen dieser Verblendung kämpfen müssen, nur sehr vereinzelt zu Wort kommen.
Dazu kommt, dass Menschen, die am eigenen Leib erfahren haben, wie falsch ihre Entscheidung zur Impfverweigerung tatsächlich war, aus der öffentlichen Diskussion vollkommen herausfallen. Die treten vor einer Erkrankung als laute Impfgegner im privaten Kreis und teilweise in der Öffentlichkeit in Erscheinung – aber danach hört und sieht man von ihnen nichts mehr. Dabei wären gerade sie wichtig, um aus erster Hand ihren ehemaligen Gesinnungsgenossen vor Augen zu führen, was so eine Erkrankung bedeuten kann.
Klar, bei einem schweren Verlauf haben die andere Probleme. Aber genau das kultiviert die Filterblasen ...