zurück
Main-Spessart
Angst, Skepsis, Unwissen: Wer sind die Ungeimpften und was sagen Verweigerer?
Rund 20 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind nicht gegen Corona geimpft. Ein Risiko, sagt  Virologe Lars Dölken. Ungeimpfte aus Main-Spessart nennen ihre Gründe.
Rund 80 Prozent der Erwachsenen sind in Deutschland geimpft. Wer sind die ungeimpften 20 Prozent?
Foto: Getty Images | Rund 80 Prozent der Erwachsenen sind in Deutschland geimpft. Wer sind die ungeimpften 20 Prozent?
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:54 Uhr

Für den Würzburger Virologen Prof. Lars Dölken ist die stagnierende Corona-Impfquote ein Grund zur Sorge: "Bei Personen über 50 Jahren tun die Zahlen wirklich weh." Von den Menschen über 60 Jahren haben in Bayern bislang laut Robert Koch-Institut (RKI) rund 82 Prozent den kompletten Impfschutz. Dölken sieht das aus zweifacher Sicht kritisch: Die Älteren würden ihr Risiko durch Corona verkennen. Und die Gesellschaft müsse dadurch weiterhin Coronamaßnahmen aufrechterhalten und zudem die immensen Kosten für Tests und die Behandlung von Coronaerkrankten tragen.

Warum sich manche Menschen nicht gegen Corona impfen lassen

Deutschlandweit sind derzeit rund 80 Prozent der Erwachsenen vollständig gegen Corona geimpft. Aber wer sind diejenigen, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen? Und was sind ihre Beweggründe?

Erhebungen in einem Gemeinschaftsprojekt der Uni Erfurt mit dem RKI und anderen Einrichtungen lassen den Schluss zu, dass Ungeimpfte tendenziell eher jünger und weiblich sind, eher eine niedrigere Bildung haben und eher arbeitslos sind. Beispielhaft ein Blick in den Landkreis Main-Spessart, wo derzeit rund 60 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft sind. Genauere Aufschlüsselungen nach Altersgruppen oder Geschlecht können weder das Landratsamt Main-Spessart, noch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) nennen.

Verunsicherung und Misstrauen gegen Schulmedizin

Hört man sich unter Ungeimpften in Main-Spessart um, wird deutlich, dass mitnichten alle Coronaleugner sind. Manche Impfzauderer sind durch Falschinformationen verunsichert, andere halten generell wenig von Impfungen. Manche haben zwar Angst vor dem Virus, gehen aber davon aus, dass sie sich nicht anstecken oder ihr Immunsystem das schon schaffe. Viele misstrauen der Schulmedizin. Die meisten haben sehr offen mit der Redaktion gesprochen, aber seinen Namen möchte dann doch niemand in einem Artikel lesen.

Ein 63-Jähriger mit Abitur, der sich nicht für einen ausgemachten Impfgegner hält, sagt: "Von Kindesbeinen an habe ich eine Abneigung dagegen, dass mir irgendwelches Zeug in den Körper gedrückt wird." Ganz rational sei es nicht, räumt er ein, zumal er durchaus Angst vor Corona habe und sich vorsichtig verhalte. 

Zweifel an offiziellen Zahlen und an Impfstoffen 

Im Sinne einer Querdenkerin äußert sich eine ungeimpfte 38-Jährige: Grippe und Erkältung würden mehr Leute töten als Corona, glaubt sie. Zwar zeigen die Sterberaten, dass SARS-CoV-2 mindestens zehnmal gefährlicher ist als die Influenza. Offiziellen Zahlen jedoch misstraut die Impfskeptikerin. Sie schreibt: "Ich lasse mein Köpfchen nicht verblöden wie der Rest von Dumm Deutschland."

Eine 51-jährige Geschäftsfrau berichtet, dass ihre Mutter in Russland mit Sputnik geimpft worden sei und es auch gerne sähe, wenn sich die Tochter in Deutschland impfen lassen würde. Sie habe keine Zeit dafür, meint die 51-Jährige. Eine Impfung? Vielleicht, wenn der Arzt zu ihr käme. Etwas zögerlich sagt sie auf Nachfrage, dass sie WhatsApp-Nachrichten glaube, in denen von Giftstoffen in Vakzinen die Rede ist. Zuletzt hätten sich einige ihrer Bekannte, wenn auch widerwillig, impfen lassen, weil es im Falle einer Quarantäne keinen Lohnersatz mehrgibt.

Sorgen vor Nebenwirkungen und Spätfolgen

Als "ängstlichen Menschen" bezeichnet sich eine 59-Jährige, die in der Pflege arbeitet, sich aber nicht impfen lassen möchte. Sie habe Sorge, "was die Spätfolgen dieser Impfstoffe sind". Zwei Kolleginnen hätten zwar noch mit Spätfolgen durch Corona zu kämpfen. Trotzdem sei sie eher für "ganzheitliche Medizin", höre auf ihre Heilpraktikerin und habe viele Nachrichten bekommen, die sie misstrauisch gegenüber Impfungen machten. Die 59-Jährige hofft auf ihr gutes Immunsystem. Auch ihr Mann und ihre Kinder seien ungeimpft. Ihr Bruder aber sei ein absoluter Impfbefürworter und habe ein Problem mit ihrer Einstellung. Die Spaltung der Gesellschaft durch das Virus und die Impfungen mache ihr Sorgen.

Mit Nasenspray gegen das Coronavirus - und eigenem Immunsystem

Ein 74-jähriger Akademiker im Ruhestand, der viel auf dem Messengerdienst Telegram tummelt, glaubt, dass die "Impfe" zur Kontrolle der Menschheit diene und Nebenwirkungen verheimlicht würden. Auf ein Nasenspray aus Bad Kissingen, das angeblich gegen Corona hilft, vertraut eine 86-jährige Ungeimpfte, erzählt ihre Enkelin. Der Heilpraktiker habe der Großmutter angeblich gesagt, dass im Herbst alle Geimpften "umfallen" würden.

Eine 34-jährige Akademikerin, die im sozialen Bereich arbeitet, nennt als Motivation, warum sie sich bislang nicht hat gegen Corona impfen lassen: "Damit ich es durchmache und nicht irgendwelche Risikogruppen und Kinder." Sie habe gehört, dass das mutierende Virus sich eher an Kinder anpasse, wenn viele Leute geimpft sind. Virologe Lars Dölken kann diese Argumentation nicht nachvollziehen.

Das mit dem Corona-Impfstoff gehe ihr viel zu schnell, sagt eine 46-jährige Selbstständige, es gebe noch keine Langzeitstudien. Da sie im Moment eine Chemotherapie machen müsse, könne sie sich gar nicht impfen lassen. Angst vor Corona habe sie deshalb nicht. Dass inzwischen auch Kinder geimpft werden können, findet sie nicht gut: "Wir wissen eben noch nicht, was da für Nebenwirkungen kommen werden."

Virologe Dölken: "Wir kennen die Nebenwirkungen"

Bislang sind weltweit über sechs Milliarden Impfdosen verabreicht worden. Die Impfstoffe seien vor der Zulassung "sehr sorgfältig" geprüft worden, sagt Virologe Lars Dölken. "Wir kennen die Nebenwirkungen."Dies könnten etwa Fieber, Gliederschmerzen oder Grippesymptome sein. In seltenen Fällen auch Herzmuskelentzündungen, die dann "in aller Regel harmlos" seien.  Herzmuskelentzündungen, die bei einer Coronainfektion auftreten könnten, würden möglicherweise  schlimmer verlaufen. Dölkens Erfahrung: Menschen tendierten dazu, der Impfung die Schuld zu geben, wenn sie kurz nach der Spritze - aus welchen Gründen auch immer - krank werden. 

Prof. Lars Dölken, Leiter des Instituts für Virologie und Immunbiologie an der Uni Würzburg, kann die Argumentation von Ungeimpften häufig nicht nachvollziehen.
Foto: Daniel Peter | Prof. Lars Dölken, Leiter des Instituts für Virologie und Immunbiologie an der Uni Würzburg, kann die Argumentation von Ungeimpften häufig nicht nachvollziehen.

Vier Wochen nach der Impfung sei von einem mRNA-Impfstoff selbst kein einziges Molekül mehr im Körper vorhanden, sagt Dölken. Die Immunreaktion sei nach einigen Wochen abgeschlossen, spätestens nach sechs Monaten sollten keine Nebenwirkungen oder Folgen der Impfung mehr  auftreten. Nach Covid-19-Erkrankungen hingegen gebe es bekanntermaßen häufig Spätfolgen.

Virologe: Ungeimpfte können sich auch in ein paar Monaten oder Jahren infizieren

Dölken plädiert dafür, den Druck auf Ungeimpfte über 40 Jahren zu erhöhen statt auf die Jüngeren. Denn das Risiko steige mit dem Alter massiv an. Bei den über 65-Jährigen würden der Statistik zufolge ein Prozent der Infizierten an den Folgen der Erkrankung sterben. Bei den über 80-Jährigen liege die Corona-Sterberate schon bei zehn Prozent.

Der Wissenschaftler geht davor aus, dass sich jeder, der nicht geimpft ist, mit dem Virus infizieren wird - sei es erst in ein paar Monaten, sei es in ein paar Jahren. "Wir werden das Virus nicht eliminieren", sagt der Virologe. Eine Herdenimmunität im Sinne einer Ausrottung werde es nicht geben. Und wer sich jetzt nicht impfen lasse, sei bei einer möglichen Infektion in ein paar Jahren älter als heute.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Karlstadt
Lohr
Gemünden
Marktheidenfeld
Björn Kohlhepp
Coronavirus
Covid-19
Erkältungen
Impfgegner
Impfstoffe
Impfungen
Infektionskrankheiten
Nasensprays
Quarantäne
Robert-Koch-Institut
Universität Erfurt
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen