Nach Berichten über die tödliche Messerattacke am Haugerkirchplatz in Würzburg fragt Leser G.P., warum vom "Verdächtigen" und "mutmaßlichen Täter" gesprochen werde, obwohl der Täter eindeutig feststehe. Ihm sei bekannt, dass dies Gesetze erfordern würden, solange die Person nicht verurteilt ist. Der Leser schreibt aber auch: "Das können Juristen ja so für sich behalten. Aber mir und den Medien kann niemand verbieten, Dinge so zu nennen wie sie zweifelsfrei sind."
Sprachlich ist die Presse nicht an juristische Begriffe gebunden
Damit hat G.P. grundsätzlich auch für Berichte in den Medien nicht Unrecht. So verweist Chefredakteur Ivo Knahn auf den Pressekodex des Presserates. Dieser sagt unter Ziffer 13, was auch das Presserecht nicht direkt verbietet: Eine Person darf Täter genannt werden, wenn sie gestanden hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. Sprachlich ist die Presse nicht an juristische Begriffe gebunden, die für den Leser unerheblich sind.
Anzumerken ist freilich, dass eine Schuldunfähigkeit der Bezeichnung als Täter entgegenstehen könnte. Das wäre der Fall, wenn es sich um ein Kind unter 14 Jahren handelt oder eine Person, die körperlich, psychisch oder seelisch beeinträchtigt ist.
2021 am Barbarossaplatz: Der Täter war durch Videos und Zeugen klar erkannt
Warum also hieß es in der Berichterstattung über den Tot eines 28-Jährigen am Haugerkirchplatz "mutmaßlicher Täter"? Blieb doch 2021 in ersten Nachrichten zur blutigen und tödlichen Messerattacke am Würzburger Barbarossaplatz ein "mutmaßlich" vor dem Täter weg. Der Messerangreifer war damals gleich durch Videos und Zeugen klar erkannt - eindeutig und öffentlich. Was freilich zunächst nicht zu erkennen war und das Gericht 2022 feststellte: Der Messerangreifer war zur Tatzeit schuldunfähig.
Die Redaktion hat auf Vorsicht gesetzt
Aktuell hat die Redaktion beim Messerangriff in der Nähe eines Würzburger Clubs auf Vorsicht gesetzt. Dahinter steht formal die notwendige Unschuldsvermutung und die Tatsache, dass die Täterschaft nur Gerichte endgültig feststellen können. Zuvor könnte bei Unsicherheiten sogar die Formulierung "mutmaßlicher Täter" presserechtlich mal zu weit gehen. Wenn also der Verweis auf eine Person nicht durch Anknüpfungstatsachen begründet genug ist, sollte es besser nur um Verdächtige oder Beschuldigte gehen.
Die ethische Bedeutung der Opferperspektive darf die korrekte Darstellung nicht beeinflussen
Sprachliches Durcheinander sollte tunlichst unterbleiben. Eine korrekte, also zutreffende Darstellung bleibt vorrangig. Die darf auch von der wichtigen Opferperspektive und deren ethischer Bedeutung nicht beeinflusst werden. Der Vater des am Haugerkirchplatz Getöteten spricht in einem Interview bewundernswert zurückhaltend.
Die Redaktion hat nun aber für Klarheit entschieden. Angesichts klarer Beweislage kann in diesem Fall fortan das "mutmaßlich" vor dem Begriff "Täter" wegbleiben. Den Vorfall hatten Zeugen doch auch gegenüber der Redaktion beschrieben. Ob es um Mord, Totschlag oder einen anderen Tatbestand geht, das bleibt am Ende Sache eines Gerichts.
Der Todesschuss in Lohr: Juristische Vorsicht wird in den Medien übernommen
Etwas anders stellt sich das bei dem Jugendlichen dar, der den gleichaltrigen 14-Jährigen in Lohr erschossen haben soll. Hier gebietet der Jugendschutz mehr Zurückhaltung, auch für das Gericht. Über den Umgang damit hat der stellvertretende Chefredakteur, Achim Muth, bereits geschrieben. Eigene Quellen für den Tatvorwurf hat die Redaktion in diesem Fall keine. Nur Dritte stehen dafür, hier Polizei und Staatsanwaltschaft. In deren Informationen dominiert ebenfalls noch die Vorsicht, folglich auch Begriffe wie "mutmaßlich". Denn Tatzeugen gibt es in Lohr offensichtlich nicht. So wird diese Vorsicht in den Medien übernommen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zur Täterbezeichnung:
2010: "Journalisten schreiben über mutmaßliche Täter"
2012: "Durchschnittsleser unterscheiden als juristische Laien nicht zwischen Mord und Totschlag"
2013: "Nach Gewalttaten muss der Schutz von Opfern schon mit der Sprache in der Überschrift beginnen"
2020: "Öffentliches Interesse gegen Privatsphäre"
2020: "Wie die Psyche eines mutmaßlichen Täters die Opfer belasten kann"