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Journalisten schreiben über "mutmaßliche Täter"
Leseranwalt
Redaktion
 |  aktualisiert: 04.08.2010 07:39 Uhr

Ich kann das Wort 'mutmaßlich', das bei Beschreibungen von Straftaten immer wieder stereotyp ohne sprachliche Abwechslung auftaucht, nicht mehr hören, ohne dass mein Blutdruck steigt!“ Handschriftlich lässt das ein Leser aus Wiesentheid die Redaktion wissen. Gerne versuche ich etwas zu seiner Gesunderhaltung beizutragen, fährt der doch mit beängstigendem Hochdruck fort, „vielleicht meinen Sie mit 'mutmaßlich', dass das Gericht die Täterschaft noch nicht offiziell festgestellt hat? Das ist doch Unsinn! Das Strafmaß ist noch nicht festgestellt, die Täterschaft steht fest.“

Er irrt. Ich verstehe aber, warum. Denn auch Journalisten sind gelegentlich versucht, vom Täter zu schreiben, wenn die Beweislage bei einer Gerichtsverhandlung sonnenklar erscheint, ja, wenn gar ein Geständnis vorliegt. Aber ein Medium darf Angeklagte eben nicht zu Tätern machen, bevor das Gericht das nicht letztinstanzlich festgestellt hat. Erst danach darf das „mutmaßlich“ vor dem „Täter“ verschwinden. Denn sogar Geständnisse erweisen sich zuweilen als falsch. „Mutmaßlich“ bezieht sich wirklich auf die Täterschaft, nicht auf das Strafmaß. Dieses Adjektiv wird gerade dann eingesetzt, wenn geringe Zweifel an einer Schuld bestehen. Synonyme sind „vermutlich“ oder „wahrscheinlich“. Bei Unsicherheit über eine Täterschaft darf „mutmaßlich“ nicht verwendet werden. Meist ist dann nur vom Angeklagten und von den Vorwürfen gegen ihn die Rede. Anwälte gehen häufig gegen Medien mit Rechtsmitteln vor, falls die dem Gericht voraus sind und Angeklagte Mandanten zu Tätern machen.

Der Rechtsgrundsatz, niemals jemanden vorzuverurteilen, gilt gerade für Medien, die viele Menschen erreichen. Die Schädigung, die einer Person zugefügt werden kann, wäre danach schwer zu reparieren.

Nun bezieht sich die Kritik des Wiesentheiders auf einen Beitrag vom 10.7. („Messerattacke in Suchtklinik – Mutmaßlicher Täter gefasst – Drei Verletzte“). Da hat die Redaktion nicht aufgepasst, weil darin einmal vom „Täter“ die Rede ist, sonst stets korrekt vom „mutmaßlichen“. Das verwirrt. Ich glaube aber dennoch, dass die meisten Leser verstehen konnten, dass trotz einer nach Tathergang und Festnahme erdrückenden Beweislage vom „mutmaßlichen Täter“ berichtet wurde.

Wissen sollte man noch: Berichte über Straftaten fußen so gut wie nie auf eigenen journalistischen Beobachtungen. Meist müssen sich Redaktionen auf Informationen von Polizei oder Staatsanwaltschaft stützen. Auch darin findet sich das „mutmaßlich“. Kein Journalist darf sich der sprachlichen Abwechslung zuliebe darüber hinwegsetzen.

 
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  • giraffe
    völlig richtig dargestellt.(nur noch eine Anmerkung von mir: genau aus diesem Grund hat das Intelligenzblatt mit den vier Buchstaben so eine hohe Auflage)
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  • ... eher darin, dass auch korrekte Berichterstattung selten ohne "Gschmäggle" auskommt. Ein erfundenes Beispiel, das alltäglich in den Medien Laufendes etwas überspitzt darstellen soll: Wenn die dpa oder eigene Recherche die Information zutage bringt, dass evakurt (ich nehme jetzt einfach mal mich) laut Staatsanwalt zu den Verdächtigen des Bankraubs in Sonstwo gehört - aus welchem Grund auch immer - , dann darf tatsächlich in der Zeitung stehen, dass evakurt laut Staatsanwalt zu den Tatverdächtigen gehört, vor allem dann, wenn (was bei mir gottseidank nicht der Fall ist) evakurt eine Person des öffentlichen Interesses ist. Irgendwann wird es dann heißen, dass sich der Tatverdacht nicht erhärtet hat. Falls der tatsächliche Täter gefaßt wird, wird das sicherlich auch vermeldet. Was aber nicht passieren wird, ist, dass irgendwo prominent steht, dass der Verdacht gegen evakurt ein nachweislich falscher Verdacht war. Mit anderen Worten: evakurt wird für mindestens die Hälfte der Mainpost-Leser oder Tagesschau-Seher ewig der "Verdächtige" sein (und wenn es doch prominent vermeldet wird, dass evakurt nachweislich zu Unrecht verdächtig wurde, sind es immer noch die Hälfte davon). Und wenn evakurt 12 Jahren später mit Tempo 200 durch eine Baustelle fährt, bei der ein Limit von 80 km/h war, wäre es nicht untypisch, dass es dann in den Medien heißt, dass evakurt ja vor 12 Jahren schon mal in Erscheinung getreten ist als Verdächtiger im Bankraub in Sonstwo.

    Was ich damit sagen will: Auch korrekte Berichterstattung kann Folgen haben, die man nie mehr wegkriegt. - Man kann jetzt zweierlei tun: Entweder - eine Anregung - die Redaktion macht eine Rubrik (der Spur nach gesagt): "Meldungen, die sich erledigt haben" (mit monatlicher Rangliste) oder man betont der Bevölkerung gegenüber seitens der Medien immer wieder neu: Das sind Nachrichten - nicht mehr und nicht weniger. - Schwenk zuz Kachelmann: Kachelmann ist ein Verdächtiger - Aussage steht gegen Aussage. Schnitt. Nächste Meldung nach 6 Monaten: Das Gericht ist zu folgendem Urteil gekommen. - Mehr wäre nicht nötig. - Aber es kommt halt mehr, weil "öffentliches Interesse" besteht. - Warum besteht öffentliches Interesse? - Weil irgendwo was Aufregendes steht, dass deshalb woanders auch stehen muss, weil es ja aufregend ist - und die Leute wollen es ja auch wirklich lesen! - und dann nennt man das halt öffentliches Interesse. - Ich mache (inzwischen) keinem mehr einen Vorwurf. Das ist der Lauf der Dinge, deren Eigendynamik so stark ist, dass man ihnen rational oder gar intellektuell nicht beikommen kann. Deshalb: Die Bevölkerung muss sich emanzipieren, indem sie weiss: Ob Tagesschau oder Mainpost - da werden Nachrichten gebracht und es werden viel mehr NAchrichten NICHT gebracht. Das ist trotzdem ein seriöses Geschäft, aber eben Geschäft. Nachrichten sind NAchrichten - nicht mehr und nicht weniger.
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  • Ihre vorgebrachten Argumente sind für auch mich der Grund dafür, die Ausführungen des "Leseranwalts" Herrn Sahlenders "diagonal" zu lesen, nur um zu erfahren, was er diesmal journalistisch, juristisch verteidigt!

    Er mag ja im Recht sein, aber die ART (!) seiner Ausführungen hinterlassen einen Faden Nachgeschmack, so unter dem Motto:
    ihr habt doch keine Ahnung!

    DANKE Herr Leseranwalt!
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  • Anton.Sahlender@mainpost.de
    Die Richtlinie 13.1 - Vorverurteilung des Deutschen Presserates stellt fest:
    Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen. Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind.

    Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines "Medien-Prangers" sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.
    Nein, Journalismus ist nicht an juristische Begriffe gebunden, darf aber auch keine falschen Tatsachen berichten.
    Das Problem in der vorliegenden Berichterstattung (das mutmaßlich herausfordert) ist, dass niemand aus unserer Redaktion sich sicher sein kann, dass es sich um den Täter handelt. Es liegt ein Bericht der Agentur zugrunde. Selbst dieser Bericht spricht mehrfach vom "mutmaßlichen Täter". Auch die Agentur kann also mutmaßlich nicht sicher sein, dass es sich um den Täter handelt, weil sie sich wahrscheinlich auf Berichte von Polizei und Staatsanwaltschaft stützt. Letztere hüten sich meist auch, in diesem Stadium vom Täter zu sprechen. Die Folgen für die Verantwortlichen einer Berichterstattung können hart sein, wenn das Gericht zu einer anderen Entscheidung kommt und die Redaktion nicht nachweisen kann, dass sie zurecht vom Täter berichtet hat.
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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  • Anton.Sahlender@mainpost.de
    Ein Leseranwalt kann Lesern nicht nur deshalb Recht geben, weil sie Leser sind, wenn sie aus seiner Sicht nicht Recht haben. Ich kann nicht einzelnen Lesern, die selbstverständlich Interessen haben, zustimmen und damit vielleicht 450.000 anderen vor den Kopf stoßen. Ich fühle mich allen Lesern verpflichtet, nicht nur denen, die mich ansprechen. Und Sie, lieber Herr Bullinger, interpretieren unsere Diskussion weiterhin nach ihrem Gusto. Tatsächlich habe ich ihre Meinung jederzeit respektiert, auch wenn Sie mich nicht davon überzeugen konnten. Das würde jeder erkennen, der unseren ausführlichen Schriftwechsel liest. Leider akzeptieren Sie nicht meine Haltung. Sie erwarten Zustimmung. Das beweist ihr erneuter Nachschlag.
    Herr Behger, es tut mir leid, wenn es so rüberkommt, als wollte ich mich über den Wiesentheider Herrn lustig machen. Ich will es nicht. Ich habe versucht, seine Empörung darzustellen.
    Noch etwas zum Verständnis: Ein Leseranwalt ist immer der Freiheit der Medien verpflichtet. Diese Freiheit ist ein Menschenrecht - sagt die Organisation der Reporter ohne Grenzen. Diese Freiheit nehmen Medien auch in unserem Lande stellvertretend für die Menschen wahr. Der Artikel 5 ist nicht umsonst ein Grundrecht. Ich verteidigte, wenn ich die Freiheiten der Medien verteidige, auch die Leser.
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  • Es muesste doch eigentlich den Lesern der Main Post schon lange aufgefallen sein, dass Herrr Sahlender seine Rolle weniger als Leseranwalt versteht, sondern mehr als Anwalt der Redaktion, bestenfalls als Vormund der Leser.
    Ich habe das jedenfalls schon nach kurzer Zeit mitbekommen als ich
    kuerzlich in meiner alten Heimatstadt zu Besuch war und mit Herrn Sahlender ueber einen Artikel zusammengerasselt bin, in dem eine ZDF Moderaratorin wegen Ihrer Auesserung zu dem "inneren Reichsparteitag" des Fussballers
    Klose waehrend der WM madig gemacht wurde. Herr Sahlender liess dazu nur eine Meinung gelten, und das war die seinige.
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  • stefan.behringer@web.de
    Ich gabe Herrn Sahlender inhaltlich Recht.

    Allerdings ist er in diesem Fall nicht Leseranwalt, sondern rechtfertigt Journalisten bzw. die Redaktion. Den Lesser aus Wiesentheid macht er zwischen den Zeilen irgendwie lächerlich, wie ich finde
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  • die beim Leser entstehen, wenn er eine Nachricht aufnimmt. Wenn es heißt, jemand sei "mutmaßlicher Täter", dann versteht man mehrheitlich: "Er ist es zwar, aber er ist noch nicht verurteilt". Analog wäre, eine Schwangere als "mutmaßliche Mutter" zu bezeichnen. - Wenn es heißt "Angeklagter", verstehe man im Zivilrecht: "Da hat einer halt den anderen angeklagt" - mit anderen Worten, das heißt inhaltlich nichts. - Strafrechtlich ist "Angeklagter" etwas anderes, weil dann vorher ein Anfangsverdacht behördlich festgestellt werden mußte - das heißt zwar auch noch nicht viel, aber immerhin mehr. - Bei allen diesen Beispielen sehe ich hier weniger das Problem bei den Medien, als bei der Bevölkerung, die allein aus der Tatsache, dass jemand angeklagt ist, für den Angeklagten nachteilige Schlußfolgerungen zieht - weil man das Geschäft halt nicht kennt. Diabolisch wird es - gewollt oder ungewollt - allerdings, wenn festgestellt wird, die "Unschuldsvermutung" habe bis zur Urteilsverkündung zu gelten. Denn das wird inzwischen als Synonym verstanden für: "Ihr werdet es doch noch abwarten können, bis er verurteilt wird, aber dass er es wahr, wissen wir alle." - also ein rein rhetorischer Zug, dessen eigentlichen Inhalt keiner mehr ernst nimmt. - Übrigens auch das Wort "der Verdächtige" ist nicht ganz ohne, da hier so was Raunendes rüberkommt - mal sehen, ob man "es" ihm nachweisen kann - als sei das jemand, der nur deshalb noch auf freiem Fuß ist, weil die Beweislage noch nicht ausreicht.

    Das sind alles Sprach- und Kommunikations-Probleme, für die man keine Verantwortlichen suchen sollte. Viel wichtiger wäre aus meiner Sicht, dass man Medien als Informationsträger versteht, aus dem man sich Lohnendes herausnimmt und konsumiert. Da muss man selektiv sein - Bananen ißt man auch nicht mit Schale. Das setzt allerdings das entsprechende Bewußtsein beim Konsumenten voraus.
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  • .. wenn etwa über eine "Bande mutmaßlicher Einbrecher" getextet wird.
    http://salzburg.orf.at/stories/322627
    Entweder sind die Bandenmitglieder Einbrecher, oder eben keine. Dann handelt es sich aber auch um keine Bande.
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