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LESERANWALT
Leseranwalt: Öffentliches Interesse gegen Privatsphäre
Der Presserat wägt ab und missbilligt einen Bericht über den Wohnort des mutmaßlichen Lübcke-Mörders.
Diese Absperrung sichert meist einen Tatort. Gesperrt bleiben müssen für das Öffentliche Interesse zuweilen aber auch Wohnadressen von Tätern, die keine Tatorte sind. Das gebieten Persönlichkeitsrechte und Schutz der Privatsphäre. Dazu eine aktuelle Entscheidung des Deutschen Presserates 
Foto: stock.adobe | Diese Absperrung sichert meist einen Tatort. Gesperrt bleiben müssen für das Öffentliche Interesse zuweilen aber auch Wohnadressen von Tätern, die keine Tatorte sind.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 09:13 Uhr

Wie schwierig es ist, das Interesse der Öffentlichkeit gegenüber der Privatsphäre von Menschen abzuwägen, wurde in einer der jüngsten Entscheidungen des Deutschen Presserates erkennbar. Eine Regionalzeitung hatte über die Festnahme des mutmaßlichen Mörders des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke berichtet. Unter der Überschrift „Nach Festnahme im Fall Lübcke: Haus des Verdächtigen Stephan E. in Kassel durchsucht“ war dessen Wohnhaus im Bild gezeigt, waren Stadtteil und Straßennamen genannt.

Ein Beschwerdeführer sah darin „Sensationsgeilheit“ der zuständigen Redaktion. Gerügt hat der Presserat aber diese Wohnort-Veröffentlichung nach der Leserbeschwerde nicht, zumindest aber missbilligt hat er sie. Das heißt, diese Missbilligung muss die betroffene Zeitung nicht abdrucken. Bei einer Rüge, der stärksten Sanktion, wäre das notwendig geworden.

Schwierige Abwägung

Warum „nur“ missbilligt wurde, zeigt die schwierige Abwägung der Presseräte: Persönlichkeitsrechte von Betroffenen standen für sie gegen das öffentliche Interesse. Letzteres sei nach dem Mordfall an dem Kasseler Regierungspräsidenten groß gewesen, so dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, alle relevanten Hintergründe der Tat zu erfahren, heißt es in der Mitteilung des Presserates. Dazu gehören auch Informationen über die Lebensumstände des mutmaßlichen Täters und damit das Foto des Hauses.

Nun die Einschränkung: Nur begrenztes Dokumentationsinteresse bestehe allerdings an der Adresse des mutmaßlichen Täters und seiner Familie. Weil aber durch die Kombination des Fotos vom Wohnhaus und des Straßennamens der Wohnort auffindbar werde, könne das die Angehörigen und das nähere Umfeld des Stephan E. gefährden. (Aktenzeichen: 0549/19/2).

Wohnhaus ist kein Tatort

Entscheidend für die Missbilligung sei auch, dass es sich bei dem Wohnhaus nicht um einen Tatort handele. Seine Adresse und Aussehen seien für das Verständnis des Tathergangs vollkommen irrelevant. Zudem handele es sich um den Wohnsitz einer Familie und nicht eines allein lebenden potenziellen Täters. Der Bericht mit den Adressdetails könnte dazu führen, dass Familienmitglieder, vor allem zwei Kinder im Teenageralter, das Haus wegen der erlangten „Bekanntheit“ nicht mehr als Wohnsitz nutzen könnten.

Die betroffene Zeitung betont in ihrer Stellungnahme an den Presserat allerdings, dass es keinen Sensationstourismus gegeben habe.

Der Presserat stützt sich bei seiner Entscheidung auf Ziffer 8 des Pressekodex, der festhält, wo auch in der Kriminalberichterstattung die schutzwürdigen Interessen Betroffener, darunter auch Täter, beginnen.

Hier erfahren Sie die Sanktionsmöglichkeiten des Presserates.

Zur Mitteilung des Presserates, die er wie folgt (ohne mutmaßlich) überschreibt: "Auch der Lübcke-Mörder hat ein Recht auf Privatsphäre"

Ähnliche Leseranwalt-Kolumne zum Thema: "Überflüssiges Tatort-Foto" (2017)

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de

 
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