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Würzburg
Leseranwalt: Wie berichtet man nach dem schockierenden Tod eines 14-Jährigen in Lohr angemessen?
Der Leseranwalt schildert schwierige Abwägungen für Redaktionen zwischen Pressefreiheit und Jugendschutz, wenn Opfer und Tatverdächtiger minderjährig sind.
 Kerzen und Blumen zum Gedenken an den getöteten 14-Jährigen vor dem Lohrer Schulzentrum. Sein Foto ist hier gepixelt.
Foto: Simon Hörnig |  Kerzen und Blumen zum Gedenken an den getöteten 14-Jährigen vor dem Lohrer Schulzentrum. Sein Foto ist hier gepixelt.
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 15.07.2024 14:19 Uhr

Sehr bedacht und zurückhaltend beginnt am 11. September in der Main-Post nach der Titel-Schlagzeile „Der Tod eines 14-Jährigen schockiert Lohr“ die Berichterstattung zum Tötungsdelikt in Lohr. Ein Gleichaltriger ist tatverdächtig. Gerade kein Kind mehr, sondern vor dem Gesetz Jugendlicher.

Sensibilität bleibt für Journalistinnen und Journalisten beim Umgang mit dem Fall angesagt. Daran dürfen enormes öffentliches Interesse und bundesweite Aufmerksamkeit nichts ändern.

Schwierige redaktionelle Abwägungen sind notwendig

Zum Schutz der Jugend sieht das Grundgesetz Einschränkungen der Pressefreiheit vor (Art. 5, Abs. 2). Die Informationsfreiheit Erwachsener soll jedoch nicht über ein unerlässliches Maß einschränkt werden. Also bedarf es für alle Berichte schwieriger redaktioneller Abwägungen. Das ist nicht einfach.

Der Journalistikprofessor Horst Pöttker erklärt im Journalistikon: "Pressefreiheit erfüllt ihren sozialen Nutzen nur dann, wenn auch Journalisten, die von ihr Gebrauch machen, sich ein mündiges Publikum vorstellen, dem nicht wegen der Annahme damit nicht umgehen zu können, Informationen vorenthalten werden dürfen."

Identifizierung durch Namen und Bilder ist nur in Ausnahmefällen zulässig

Klar ist jedoch: Identifizierung durch Namen und Abbildungen hat möglichst zu unterbleiben, ist insbesondere bei Minderjährigen aufgrund eines erhöhten Schutzbedürfnisses nur in Ausnahmefällen zulässig. Das gilt für Opfer und mutmaßliche Täter.

Kritisch sehe ich deshalb, dass die Nationalität des Opfers von Lohr am 11. September in der Main-Post genannt wurde. Die tut noch nichts zur Sache und könnte zur Identifizierung sowie zur Belastung von Angehörigen führen. Deren Schutz müssen Journalisten im Auge behalten, gerade wenn sie der Opfer-Perspektive in Berichten stets Aufmerksamkeit schenken wollen.

Aber das Spannungsfeld bei zwei 14-Jährigen und dem tödlichen Schuss ist wohl in keiner normalen Motiv-Schablone unterzubringen. Zu Hintergründen ein Interview mit Marcel Romanos, Direktor der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Presserat-Entscheidung zum Opfer-Schutz

Große öffentliche Aufmerksamkeit für eine Tat löst den Schutz der Opfer auch ethisch nicht automatisch auf. Das lässt eine Entscheidung des Deutschen Presserates nach einer Beschwerde erkennen.

Eine Regionalzeitung erinnerte in einer Serie an die 40 Jahre zurückliegende Tötung einer 13-Jährigen. Sie war nach dem Besuch bei der Großmutter erstochen worden. Mehrfach wurde der Vorname des Mädchens genannt, dazu ein Lied, das nach dem Mord entstand. Zudem enthält ein altes Fahndungsbild der Polizei ihren Familiennamen. Den Wohnort der Oma hebt eine Skizze hervor.

Die Missbilligung der Darstellung

Dass die Veröffentlichung der Regionalzeitung identifizierend war, missbilligt der Presserat in seiner Entscheidung. Er sieht Verstöße gegen den Pressekodex (Ziffern 8 Persönlichkeitsschutz und 11. Sensationsberichte/Jugendschutz).

Der Presserat räumt ein, weil das Verbrechen in einem kleinen Ort das kollektive Gedächtnis geprägt habe, durfte berichtet werden. Aber die Darstellung verletze den Persönlichkeitsschutz von Opfer und Angehörigen und sei unangemessen sensationell (Akt.Z. 0153/22/29). 

Auch was Täter betrifft, insbesondere Jugendliche, darf der wichtige Grundsatz der Resozialisierung nie aus den Augen verloren werden. Das gilt gerade für die Berichte darüber in den Medien. 

Die Eigenverantwortlichkeit junger Menschen

Gesetzlicher Jugendschutz will grundsätzlich die Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten sichern. Auch Medien können das gefährden.

So bleiben Berichte, Hintergründe und Erklärungen zum schockierenden Fall aus Lohr eine Herausforderung: Kann doch zur Eigenverantwortlichkeit junger Menschen auch eine angemessene Darstellung der Wirklichkeit beitragen.

Siehe auch: "Fakten statt Vermutungen"

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch: Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Frühere Leseranwalt-Kolumnen zum Thema Jugendschutz:

2008: "Über Maßstäbe für Moral und guten Geschmack"

2009: "Tipps für schnellen Sex in den Ferien waren nicht ernst gemeint"

2015: "Becker-Tochter Anna als Jungstar auf dem Laufsteg und Fragen des gesetzlichen Jugendschutzes"

2017: "Eine schwierige Abwägung"

2019: "Öffentliches Interesse wiegt schwer"

2019: "Die Straftat und der Verdacht"

2020: "Eine Empfehlung für die besorgte Großmutter"

Lesen Sie auch: "So machen Sie Smartphone und Co. kindersicher"

 
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