zurück
Lohr
Wir über uns: Wie die Main-Post über das Tötungsdelikt an einem 14-Jährigen in Lohr berichtet
Die Berichterstattung über das Verbrechen von Lohr ist eine Gratwanderung, sagt Achim Muth, stellvertretender Chefredakteur. Was der Redaktion dabei wichtig ist.
Gedenkort des jugendlichen Opfers in Lohr am Main am Montag, 11. September 2023.
Foto: Fabian Gebert | Gedenkort des jugendlichen Opfers in Lohr am Main am Montag, 11. September 2023.
Achim Muth
 |  aktualisiert: 18.09.2023 02:41 Uhr

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

dass in Lohr ein 14-Jähriger einen gleichaltrigen Mitschüler erschossen haben soll, macht fassungslos und berührt auch uns. Auch Journalistinnen und Journalisten sind Menschen. Väter. Mütter. Ein Kollege besuchte früher dasselbe Schulzentrum wie der mutmaßliche Täter und das Opfer von Lohr.

Als wir am vergangenen Freitagabend von dem schrecklichen Verbrechen erfahren haben, war es jedoch wichtig, dass wir uns nicht von Gefühlen leiten lassen, sondern rasch einen professionellen Umgang mit dem Thema finden. Es gibt ein hohes Informationsbedürfnis in der Bevölkerung, das wir schnell und gründlich bedienen müssen.

Für die Redaktion ist die Recherche bei solch einer schweren Tat eine ständige Abwägung. Noch am Freitagabend haben wir ein Team gebildet aus der Lokalredaktion Main-Spessart, unserer Regionalredaktion inklusive unseres Polizeireporters Manfred Schweidler sowie dem zentralen Themenmanagement in Würzburg.

Oberste Prämisse ist in solchen Fällen immer eine faktenbasierte und hintergründige Berichterstattung, die dem Schutz des Opfers und seiner Familie gerecht wird.

Wichtig in einem Fall wie Lohr: Wir möchten keine Vermutungen verbreiten

Da bei solch einem Verbrechen, befeuert durch die Sozialen Medien und der Boulevardpresse, schnell viele Gerüchte im Umlauf sind, galt eine zentrale Aufgabe dem Faktencheck. Die Redaktion beteiligt sich nicht an der Verbreitung von Vermutungen, sondern verifiziert ihre Nachrichten und Hintergründe und benennt die Quellen.

Im Lohrer Fall sind das vor allem die Ermittlungsbehörden wie Polizei und Staatsanwaltschaft, die Anwälte sowie Schulbehörden, aber auch Vereine und Kirchen, die Nähe zur Familie des Opfers haben. Bereits am Tag nach der Tat hat unsere Redaktion deshalb diesen Artikel veröffentlicht: Was wir wissen und was nicht – und schreibt diesen bis heute fort.

Opferschutz: Presserat rät zur Zurückhaltung bei der Nennung des Namens

Wir wissen, dass die Tötung des 14-jährigen Jungen in Lohr viele Menschen sehr bewegt. Trotzdem haben wir davon abgesehen, Lehrerinnen und Lehrer oder Schülerinnen und Schüler des Nägelsee-Schulzentrums aktiv anzusprechen.

Selbstverständlich besteht das Angebot, dass Betroffene sich über die Main-Post äußern können. Gerade nach schrecklichen Ereignissen herrscht bei Menschen aus dem näheren Umfeld oftmals ein starkes Bedürfnis, sich der Öffentlichkeit mitzuteilen. 

Die Identität von Opfer und auch Täter sind in Fällen wie Lohr besonders schützenswert  

Die Berichterstattung zu dem Verbrechen in Lohr ist für die Kolleginnen und Kollegen aus vielen Gründen eine Herausforderung. Der Deutsche Presserat rät gerade bei einer Berichterstattung über Straftaten zu Zurückhaltung was Nennung des Namens oder die Veröffentlichung von Fotos des Opfers betrifft.

Im Pressekodex, dem sich auch diese Redaktion verpflichtet, heißt es: "Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen." Die Main-Post hat deshalb weder Namen noch Bilder des getöteten Schülers veröffentlicht, um eine Identifizierung zu vermeiden.

Ähnliches gilt für den mutmaßlichen Täter sowie dessen Familie: Eine identifizierende Berichterstattung wäre gerechtfertigt, wenn das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegt.

Bei der Abwägung spielt unter anderem die Schwere des Vorwurfs eine Rolle. Die ist hier gegeben: Es steht Mord im Raum. Die Redaktion hat auf eine identifizierende Berichterstattung verzichtet – auch aufgrund des jugendlichen Alters knapp über der Strafmündigkeit.

Dem widerspricht aus unserer Sicht nicht die Veröffentlichung eines Fotos des Tatverdächtigen beim Gang zum Ermittlungsrichter in Würzburg, denn der 14-Jährige ist darauf nicht zu erkennen.

Warum wir die Nationalität des 14 Jahre alten Opfers von Lohr genannt haben

Dass wir indes die Nationalität des Opfers genannt haben, wird vom Leseranwalt der Main-Post, Anton Sahlender, kritisiert: "Angehörige, die ja ebenfalls Opfer sind", sollten in dieser schwierigen Phase nicht "noch leichter auffindbar" gemacht werden, als es "durch lokale Zusammenhänge ohnehin schon möglich ist". Das ist ein berechtigter Einwand.

Die Redaktion hatte sich zur Nennung entschieden, weil die italienisch-stämmige Familie des Opfers im TSV Sackenbach verwurzelt und sehr präsent ist: Die Fußballspiele des TSV am vergangenen Wochenende waren abgesagt worden. Der öffentliche Gedenkgottesdienst am Dienstagabend in der Lohrer St.-Michael-Kirche fand in Teilen auf Italienisch statt.

Kommentarfunktion unter den Online-Artikeln wurde abgeschaltet

Auf Social-Media-Kanälen wird die Redaktion der Main-Post dafür kritisiert, dass die Kommentarfunktion unter Artikeln zum Verbrechen in Lohr abgeschaltet ist. Dies ist eine bewusste Entscheidung, die auf der Erfahrung mit ähnlichen Ereignissen in der Vergangenheit basiert. Häufig wurden in den Kommentaren lediglich Vermutungen angestellt und Gerüchte transportiert oder Hetze verbreitet.

Bestätigung dafür finden wir auch jetzt in den Social-Media-Kommentarspalten, wo Posts mit Verdächtigungen überwiegen. Wer seine Gefühle, Gedanken oder Anteilnahme ausdrücken möchte, kann dies jederzeit in Form eines Leserbriefs tun (leserbriefe@mainpost.de oder Main-Post, Redaktion Leserbriefe, Berner Straße 2, 97084 Würzburg).

Warum die Berichterstattung hinter der Bezahlschranke liegt

Einen weiteren Kritikpunkt äußert ein Nutzer bei Facebook. Er schreibt: "Bei einem solch schrecklichen Vorfall, bei dem allerlei Spekulationen und Gerüchte im Umlauf sind, wäre es schön, wenn ihr solche Artikel, die zur Klarstellung der Sachlage dienen, nicht hinter einer Paywall verbergt."

Bei allem Verständnis für das hohe Informationsbedürfnis: Als regionales Medienhaus müssen wir unseren erheblichen redaktionellen Aufwand finanzieren. Guter Journalismus kostet Geld. Guter Journalismus kann nur entstehen, wenn die Menschen bereit sind, für die Nutzung der Inhalte zu bezahlen.

Seit Freitag ist ein Team aus Reporterinnen und Reportern nahezu rund um die Uhr im Einsatz, um die Hintergründe und die Konsequenzen des Falles auszuleuchten. Das wäre bei einer kostenlosen Berichterstattung niemals möglich.

Für Nichtabonnenten besteht zudem die Möglichkeit, unsere Inhalte nach Registrierung über eine bestimmte Dauer kostenfrei zu testen: https://angebote.mainpost.de/

Die Redaktion macht in der Regel Artikel nur frei zugänglich, wenn etwa zum Beispiel in Katastrophenfällen oder bei Unwettern akute Gefahr in Verzug ist, Vermisste gesucht werden oder es behördliche Warnungen gibt.

Unser Mitgefühl gehört den Angehörigen

Liebe Leserinnen, liebe Leser, unser Mitgefühl gehört den Angehörigen und wir sind uns der Verantwortung bewusst, die wir mit den Veröffentlichungen über das Verbrechen von Lohr haben. Das werden wir auch in diesem Fall weiterhin mit einem journalistischen Anspruch tun, denn noch sind viele Fragen offen, zum Motiv etwa oder wie der Jugendliche an die Waffe gelangen konnte.

Haben Sie Kritik, Zustimmung oder Anregungen zur Berichterstattung, dann schreiben Sie uns gerne: chefredaktion@mainpost.de oder Main-Post, Chefredaktion, Berner Straße 2, 97084 Würzburg.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lohr
Würzburg
Achim Muth
Facebook
Mord
Polizei
Schulbehörden
Staatsanwaltschaft Coburg
TSV Aub
Tötungsdelikte und Straftaten gegen das Leben
Verbrecher und Kriminelle
Wir über uns
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen