Mit dem Frankenderby gegen den HSC 2000 Coburg biegt Julian Sauer auf die Zielgeraden seiner Abschiedstour ein. Nach Stefan Schmitt, Sebastian Kraus und Max Brustmann wird der Rechtsaußen als letztes noch aktives Eigengewächs aus der "Goldenen Generation" der DJK Rimpar Wölfe seine Profi-Karriere beim Handball-Zweitligisten nach der Saison beenden. Der 33-jährige Fachinformatiker ist neben Linksaußen Dominik Schömig der einzig verbliebene Wölfe-Spieler, der auch in der Jugend nie für einen anderen Verein aufgelaufen ist.
Im Rückblick mit dieser Redaktion erzählt die Nummer 68, wie seine Großeltern ihn das Kämpfen lehrten, warum Freundschaft und Spaß die Grundlage allen sportlichen Erfolgs waren, was er in Zukunft vorhat - und warum er nicht Tennis-Profi wurde, obwohl er eigentlich gar nie Handball spielen wollte.
Julian Sauer: Vor allem große Freude auf die letzten Spiele, auch wenn es insgesamt ein komisches Gefühl ist. Es geht mir schon nahe, wenn ich zurückdenke, was ich mit dem Handball alles erlebt habe. Eigentlich verrückt, dass ich am Anfang nur trainieren wollte und auf keinen Fall spielen.
Sauer: Ich war ein sehr schüchternes Kind. Die Vorstellung, vor Zuschauern zu spielen, war nichts für mich. Als ich in der F-Jugend zum ersten Turnier sollte, hab' ich geheult. Papa hat dann ein bisschen getrickst, um mich aus der Reserve zu locken.
Sauer: Erst hat er gesagt, dass er zusammen mit mir zuschaut, damit wir meine Mannschaft unterstützen. Dann meinte er, ich soll doch ein Trikot anziehen, um zu zeigen, dass ich auch dazugehöre. Als ich es anhatte, hat er mich zur Bank gelockt, um näher an der Mannschaft dran zu sein. Irgendwann hat die Trainerin dann gesagt: "Komm, Juli, die anderen brauchen dich." Also bin ich aufs Spielfeld und hab' die Zuschauer ausgeblendet. Ab da hab' ich lieber gespielt als trainiert.
Sauer: Zum einen, wie geil ich Wettkampf finde; noch heute setze ich mir im Training selber Aufgaben, um meinen Ehrgeiz zu kitzeln. Zum anderen, dass ich nicht gerne im Mittelpunkt stehe; daran hat sich nichts geändert. Auf dem Platz fühle ich mich trotzdem wohl.
Sauer: Auch. Aber auch eine Geste an meine Familie. Den Torjubel hab' ich mir mit meinem Cousin Alex Piecha ausgedacht. Er sitzt heute noch manchmal im Fanblock, früher saß da bei jedem Spiel auch mein Opa.
Sauer: Ja, er und Oma (Helene Zürrlein, Anm. d. Red) waren absolute Vorbilder für mich, wie sie uns Kindern Kämpfermentalität vorgelebt haben. Wir haben damals in Rimpar noch neben den Großeltern gewohnt und hatten einen gemeinsamen Hof mit ihnen. Opa hat uns da ein Hockey-Tor gebaut, Oma aus einem Vorhang ein Tornetz genäht. Egal in welcher Sportart, Opa hat uns nie gewinnen lassen; wir mussten immer alles geben, wenn wir siegen wollten. Und Oma hat in ihrem Leben viele Schwierigkeiten gemeistert. Dieser Kampfgeist hat mit dafür gesorgt, dass es mein Bruder Daniel und ich im Handball und unsere Cousins Alex und Stefan Piecha im Fußball recht weit gebracht haben. Er hat sogar dazu geführt, dass Stefan und ich jedes Jahr im Tennis die Rimpar Open gegeneinander ausgetragen haben. (lacht)
Sauer: Mein damaliger Trainer Jiri Zigmund wollte einen Tennis-Profi aus mir machen. Irgendwann musste ich mich zwischen Tennis und Handball entscheiden. Ich hab' den Handball gewählt, obwohl Jiri gesagt hat: "Juli, hör auf mit dem Scheiß, da verletzt du dich immer." (lacht)
Sauer: Ich merke schon, dass ich viele Verletzungen hatte, vor allem im Knie und im Rücken. Trotzdem bin ich noch fast genauso schnell wie früher und insgesamt immer noch so fit, dass ich auch hätte weitermachen können.
Sauer: Weil der Handball mein ganzes Leben bisher bestimmt hat und ich weniger Verpflichtungen und mehr Zeit für anderes haben möchte, für Familie und Freunde - und auch wieder für Tennis.
Sauer: Die Geschichte selbst kann uns niemand mehr nehmen. Sowas mit dem Heimatverein zu erleben, das ist wirklich einmalig. Ich bin auf jeden Fall stolz, Teil davon zu sein. Wir waren Freunde, die der Spaß am Handball verbunden hat. Wir haben das alles nicht so verbissen gesehen, das hat uns erfolgreich gemacht. Es gibt eine Anekdote, die das ganz gut widerspiegelt.
Sauer: Irgendwann sind wir mit der Mannschaft nach dem Training übers Wochenende zum Skifahren gefahren. Ein Spieler hatte zum Training nur seine Ski-Ausrüstung dabei, die Trainingssachen hatte er vergessen. (lacht) Das gibt es heute nicht mehr. Wir gehen als Mannschaft ja noch nicht mal mehr nach Spielen zusammen weg - und das nicht nur wegen Corona. Früher ist nach Siegen gefühlt ganz Rimpar bei der Uschi im Käuzle in der Juliuspromenade eingefallen und hat gefeiert.
Sauer: Der erste Derbysieg gegen Coburg in der Dritten Liga gehört auf jeden Fall dazu. Zur Halbzeit lagen wir mit sieben Toren hinten, am Ende haben wir mit zwei gewonnen. Die Halle in Rimpar ist aus allen Nähten geplatzt. Damals ist die Rivalität zwischen unseren Vereinen entstanden, und Coburg wurde unser Lieblingsgegner. Natürlich waren auch alle Aufstiege Höhepunkte, vor allem der in Lohr in die Regionalliga. Unsere Fans sind damals mit dem Zug über Nürnberg angereist, sodass sie eine längere Anfahrt und viel Zeit zum Feiern hatten. Nach dem Spiel sind wir Spieler zusammen mit ihnen im Zug wieder zurückgefahren. (lacht) Das waren die Anfänge der Geschichte. Der Aufstieg in die 2. Liga war dann die Krönung von allem. Ihn zusammen mit meinem Bruder zu erleben, war auch ein Höhepunkt.
Sauer: Natürlich der verpasste Erstliga-Aufstieg. Und die ganzen Verletzungen. In der A-Jugend konnte ich wegen Rückenproblemen fast eineinhalb Jahre nicht Handball spielen, seit 16 Jahren trainiere und spiele ich mit einem Rückenschoner. Insgesamt hab' ich bestimmt mehr als drei Jahre wegen Verletzungen verpasst.
Sauer: Ich hab' versucht, die Verletzungen mit Humor zu nehmen, um sie zu verkraften - auch wenn ich manchmal schon an mir gezweifelt habe.
Sauer: Nicht immer einfach. In den letzten Jahren zunehmend schwieriger.
Sauer: Die Rimparer Spieler von früher kannten Papa schon immer und konnten ihn gut einschätzen. Für die Neuen ist er erst mal ein Geschäftsmann, und in der Rolle muss er Entscheidungen treffen, mit denen nicht immer alle einverstanden sind. Das musste ich ausblenden lernen.
Sauer: Nein, das hab' ich ihm auch gesagt. Wir sind öfter aneinandergeraten, und ich weiß, wie schwierig es manchmal ist, gegen ihn anzukommen, wenn er drauf lospoltert. Aber im Nachhinein waren 99 Prozent seiner Entscheidungen richtig. Und als sein Sohn weiß ich auch, dass er trotz aller Impulsivität ein gutes Herz hat. Wie menschlich er ist, zeigt sich zum Beispiel daran, wenn er neuen Spielern hilft, Wohnungen und Jobs zu finden und dafür sehr viel Zeit investiert. Da ärgert es mich manchmal, wenn ich negative Kommentare über ihn höre. Das finde ich undankbar. Wenn manche sehen würden, wie liebevoll Papa mit seinen Enkeln umgeht, würden sie anders über ihn denken als nur über den Geschäftsführer.
Sauer: Für Papa gibt es nichts Größeres, als mit Kindern zu spielen, das war schon bei uns früher so. Meine Nichte sagt: Opa ist der größte Quatschkopf.
Sauer: Grundlegend. Es ist schön, sich auch selbst in so einem Kleinen zu sehen. Ich schaue schon immer, ob Noah auch Linkshänder wird, aber das steht noch nicht fest. In seiner Persönlichkeit sehe ich schon Ähnlichkeiten zu mir. Er beobachtet erst mal alles, und er hat auch kein Schmerzempfinden. (lacht) Er versucht, durch die kleinste Lücke zu kommen, und wenn's weh tut, geht er wieder dahin. Sein erstes Wort war übrigens "Ball".
Sauer: Doch! Klar und deutlich. Ich bin mir sicher, er wird auch mal Ballsportler.
Sauer: Auf gar keinen Fall!
Sauer: Das will ich unbedingt, halt in der zweiten Mannschaft. Ich würde auch gerne wieder wie früher im Rückraum spielen und nicht mehr nur in der Ecke stehen und auf Bälle warten. Ganz aufhören, das kann ich nicht. Aber das Derby gegen Coburg wird wohl mein letztes.
Sauer: Stimmt, Coburg hat mir damals ein Angebot für die 2. Liga gemacht, Rimpar war zu der Zeit in der Bayernliga. Ich wollte unbedingt wechseln, aber Mama hat mich davon abgehalten. Sie wusste, dass es nichts für mich ist, so heimat- und familienverbunden wie ich bin. Tatsächlich wollte ich nie weg von hier, nur für den Handball hätte ich es getan.
Sauer: Das kann sein. (lacht) Im Nachhinein betrachtet hab' ich jedenfalls alles richtig gemacht. Die Coburger sind damals gleich wieder abgestiegen und wir vor ihnen aufgestiegen. Und wir haben das Derby auch deutlich öfter gewonnen. (grinst)
Sauer: Mit der ganzen Mannschaft im Käuzle, noch einmal so wie früher.
Dass man in der Main Post das Interview mit Julian Sauer anlässlich seines Abschieds als Vorschau auf das Derby gegen Coburg verkauft, zeigt wie der Stellenwert des Handballs in dieser Zeitung gesunken ist (vgl. auch Berichterstattung Bayernliga).
Schade.
Kickers und Fußball, Rest interessiert nicht, sind Randsportarten.