Von Suat Tuncer will vermutlich jeder Jugendfußballer angesprochen werden. Der Gochsheimer hält Ausschau nach talentierten Nachwuchsspielern und empfiehlt sie Profivereinen. Wen er bereits entdeckt hat, worauf er bei einem Akteur besonders achtet und in welchen Stadien er anzutreffen ist, verrät der 45-jährige Scout im Interview.
Suat Tuncer: Ein ganz lieber Freund: Murat Akgün, Spielertrainer bei Türkiyemspor Schweinfurt. Wir kennen uns seit über 30 Jahren, weil wir in der Jugend gegeneinander gespielt haben. Er bei der FT Schweinfurt, ich beim TSV Gochsheim. Unser Kontakt wurde mit der Zeit immer intensiver. Mittlerweile sind wir wöchentlich im Austausch. Wir sehen uns auch bei Jugendspielen des 1. FC Nürnberg, weil dort sein Sohn spielt und ich als Talentsichter tätig bin.
Tuncer: Ich habe fast die komplette Karriere in meinem Heimatort Gochsheim verbracht, bis auf ein Jahr in der Jugend des FC 05 Schweinfurt und später eine halbe Saison bei Türkgücü Schweinfurt. In Gochsheim hatten wir vor 20, 25 Jahren eine tolle Gemeinschaft in einem Team mit lauter Einheimischen und haben meistens in der Bezirksliga, aber auch mal in der Bezirksoberliga gespielt. Mein persönlicher Höhepunkt war ein Sieg im Pokalwettbewerb gegen den FC 05, als mir das entscheidende Tor gelungen ist. Mit Anfang 30 musste ich mit einem kaputten Knie viel zu früh aufhören. Aber ich bin deswegen nicht von der Bildfläche verschwunden.
Tuncer: Ich sehe mich eher abseits des Rasens. Ich war mal im Vorstand von Türkiyemspor und werde zur neuen Saison Teammanager des TSV Abtswind. Vor zehn Jahren bin ich nebenberuflicher Scout geworden. Florian Zehe aus Obereuerheim, der damals Chefscout des FC Ingolstadt war und nun für Borussia Mönchengladbach arbeitet, hat mich in sein Team geholt, damit ich Juniorenspieler sichte. Nach fünf Jahren bin ich zum VfB Stuttgart gegangen, der in Deutschland die beste Nachwuchsarbeit leistet. Weitere zwei Jahre später kam ich zum Karlsruher SC, diesmal als Scout für den Profibereich. Als Oliver Kreuzer als Geschäftsführer beurlaubt und das Scouting-Team ausgetauscht wurde, war nach einer Saison auch für mich Schluss. Anschließend war ich für einen englischen Investor unterwegs, dem unter anderem der FC Southampton gehört, um türkischstämmige Spieler in der U19-Bundesliga zu beobachten. Momentan erhalte ich auf Zuruf einzelne Aufträge für Sichtungen.
Tuncer: Die Vereine haben kein festes Anforderungsprofil für ihre Scouts, zumal es in Deutschland keine offizielle Ausbildung gibt. An den Job kommt man meist über Kontakte. Man muss neben den internen Schulungen ein Gefühl für die Philosophie des Vereins und das Geschehen auf dem Platz entwickeln. Es ist nicht entscheidend, ob man selbst Kreisliga oder Regionalliga gespielt hat und eine Trainerlizenz besitzt. Wichtiger ist ein gutes Netzwerk, um mit Vereinen, Funktionären, Trainern, Spielern und Eltern ins Gespräch zu kommen. Ich habe mir das aufgebaut, indem ich in der Region Schweinfurt Jugendhallenturniere für den Profinachwuchs organisiere.
Tuncer: Ich schreibe in meinen Notizblock alles, was mir auffällt: Körperstatur, Zweikampfverhalten, Schusstechnik, Auftreten gegenüber den Mitspielern. Ich notiere mir sogar, ob jemand bunte Schuhe trägt, weil das für sein Selbstbewusstsein sprechen könnte. Wenn ich ein Training beobachte, interessiert mich, ob ein Spieler als Erster oder Letzter auf den Platz kommt und wie engagiert er mitmacht. Es geht darum, einen vollumfänglichen Eindruck zu bekommen. Denn es kostet einen Verein viel Geld, wenn er ein Kind in sein Internat holt.
Tuncer: Ich schnappe mir nicht die Spieler, das ist nicht meine Art. Ich suche den Kontakt über die Eltern, die am Spielfeldrand stehen. Die meisten warten regelrecht darauf, von einem Scout angesprochen zu werden. Es ist aber nicht so, dass wir uns einen interessanten Spieler nur ein einziges Mal anschauen, bevor wir über eine Verpflichtung entscheiden. Mehrere Scouts des Vereins beobachten seine Entwicklung mitunter ein ganzes Jahr lang.
Tuncer: Für Ingolstadt habe ich mich in Schweinfurt, Würzburg, Bamberg und Coburg bei den Jugendmannschaften umgeschaut. Für Stuttgart war ich in Nürnberg, Fürth, Regensburg und Ingolstadt. Auf einem Trainingsgelände der Konkurrenten ist man freilich nicht willkommen, da es darum geht, Spieler abzuwerben. Man muss sich gut tarnen und verstecken, um nicht gleich erkannt zu werden. Es kommt auch vor, dass man mal aufs Dorf fährt, wenn man einen Tipp bekommt, dass dort ein Talent spielt. In der Regionalliga der Männer gehe ich regelmäßig zu den Spielen des FC 05, der Würzburger Kickers und des TSV Aubstadt.
Tuncer: Der Schweinfurter Severo Sturm ist ein interessanter Spieler. Ihm traue ich auf jeden Fall die 3. Liga zu. Sein Spielertyp gefällt mir. Es macht Spaß, ihm zuzuschauen. Er ist mit Leib und Seele auf dem Platz, erzielt schöne Tore und ist schnell. Sein Berater wird ihn für die nächste Saison mit Sicherheit irgendwo empfehlen.
Tuncer: Damion Downs aus Schwebenried, der nun Jungprofi beim 1. FC Köln ist. Seyhan Yigit aus Karlstadt spielt für die zweite Mannschaft des 1. FC Nürnberg. Die Schweinfurter Alper Özden und Berkay Öztürk laufen für Ingolstadts U19 auf. Beim VfL Wolfsburg steht Alessandro Crimaldi aus Giebelstadt in der U17 unter Vertrag, außerdem der Sennfelder Fabio Müller in der U15. Mit allen stehe ich weiterhin in Kontakt, auch wenn ich nicht ihr Berater bin.
Tuncer: Diese Fälle gibt es, auch wenn sie selten sind. Robin Gosens ist in Deutschland keinem Scout aufgefallen, bevor er nach Italien gewechselt ist und Nationalspieler wurde. Die großen Klubs schauen nicht in die Amateurligen. Wer es mit 14, 15 Jahren nicht in ein Leistungszentrum schafft, kann aber auch mit Anfang 20 noch über die Regionalliga durchstarten.
Tuncer: Das ist bei Ausbildungsvereinen wie Ingolstadt und Greuther Fürth der Fall, die keine millionenschweren Transfers tätigen können und deshalb stärker auf die eigene Jugend setzen müssen. Diese Klubs refinanzieren sich, indem sie eigene Talente entwickeln und später lukrativ verkaufen. Wie viele Juniorenspieler kommen dagegen bei Bayern München groß heraus? Trotzdem gehört überall neben Talent und Ehrgeiz ganz viel Glück dazu.
Tuncer: Ich verbringe zwar viel Zeit mit Fußball, aber mein Geld verdiene ich vor allem als Versicherungsvertreter mit eigener Agentur in Schweinfurt. Die Selbstständigkeit gibt mir die Freiheit, auch mal unter der Woche nachmittags auf den Fußballplatz zu fahren, um Spieler zu sichten.
Tuncer: Oliver Kröner, der als Trainer mit großer Leidenschaft für die DJK Dampfach tätig ist und Fußball lebt wie kaum ein anderer. Er leistet seit Jahren gute Arbeit und investiert viel Zeit, dass sein Team vorankommt. Man merkt, dass er Profi war. Da er Mitte der 1990er Jahre als Schweinfurter in die Bundesliga zu Fortuna Düsseldorf gewechselt ist, war er für mich in der Jugend ein Vorbild.
Das Interview-Format "Steilpass"
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