Michael Dellinger gehört zweifellos zu den bekanntesten Gesichtern im mainfränkischen Fußball. Der 30 Jahre alte Mittelstürmer des Fußball-Regionalligisten TSV Aubstadt mit dem Gardemaß von 1,91 Metern und den großen Tätowierungen zieht die Blicke auf sich – auf dem Spielfeld und abseits des Rasens. Ein Gespräch über seinen möglichen Wechsel zum FC 05 Schweinfurt, seine Modelkarriere, Rassismus-Erfahrungen und die schwerste Zeit seines Lebens.
Michael Dellinger: Unser ehemaliger Co-Trainer Waios Dinudis. Er ist ein feiner Mensch mit einem großen Herzen. Ihm hatte ich zu verdanken, dass ich meinen Stammplatz behalten habe, obwohl ich wegen meiner Schichtarbeit regelmäßig das Mannschaftstraining versäumt habe. Ich war stattdessen vormittags mit ihm auf dem Platz, um an meiner Fitness zu arbeiten. Alleine hätte ich mich wohl nicht aufgerafft.
Dellinger: Ich war lange Pausenhofkicker und bin erst mit zehn Jahren in den Verein gegangen, zum TV Oberndorf. Anfangs war ich total schlecht und wurde eine Zeitlang ins Tor gestellt. Später habe ich begriffen, dass ich mehr kann. In der Jugend bei der FT Schweinfurt und beim FC 05 Schweinfurt wurde ich dann gefördert. Der Würzburger FV wollte mich unbedingt haben und hat mir die Zugfahrten bezahlt, die ich mir als Jugendlicher nicht leisten konnte. Beim WFV habe ich auf Anhieb den Sprung in die erste Mannschaft geschafft und war mit 19 Jahren Bayernliga-Spieler. Ich hatte bei meinem ersten Einsatz einen traumhaften Einstand, als mir direkt nach der Einwechslung der Siegtreffer gelungen ist. Seit 2015 spiele ich in Aubstadt, weil mich meine Kumpels Martin Thomann und Jens Trunk dorthin gelockt haben.
Dellinger: Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Schweinfurts Trainer Marc Reitmaier. Wir kennen uns schon lange. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich konzentriere mich auf das Hier und Jetzt. Ich spiele in Aubstadt und befinde mich aktuell mit der Mannschaft in der Vorbereitung auf die Rückrunde. Mein Weg in Aubstadt kann noch lange gehen, vielleicht sogar bis zum Karriereabschluss mit Ende 30.
Dellinger: Er ist in der Hinsicht mein Vorbild. Falls mein Körper mich auf diesem Niveau trägt, würde ich es so lange durchziehen. Immer, wenn wir uns sehen, tausche ich mich mit Adam aus, um zu erfahren, wie es sich anfühlt, mit knapp 40 Jahren so erfolgreich in der Regionalliga unterwegs zu sein.
Dellinger: Das war die härteste Phase meines Lebens. Mir ging es mental richtig schlecht. Ich bin in ein Loch gefallen, habe mich zu Hause eingesperrt und mit niemandem geredet. Ich war zuvor in der Form meines Lebens und wollte unbedingt im DFB-Pokal spielen, ehe ich beim Aufwärmen kurz vor dem bayerischen Pokalfinale 2022 zusammengesackt bin. Neun Wochen nach der ersten Operation ist die Sehne erneut gerissen – bei einem Kindergeburtstag, als ich meine Nichte auf dem Arm trug und einer Wespe ausweichen wollte. Meine Karriere stand auf der Kippe. Aubstadt hat mir die Sorgen genommen und mich aufgrund meiner Verdienste nicht fallengelassen. Ich bin ein Krieger, der nicht aufgibt. Wenn ich an mein erfolgreiches Comeback letztes Jahr denke, kommen mir vor Freude die Tränen. Der Fußball ist ein wichtiges Ventil und bereichert mein Leben.
Dellinger: Durch sie nehme ich das Leben viel bewusster wahr. Ich bin zu hundert Prozent ein Familienmensch und kümmere mich um die Erziehung. Ich will, dass meine Kinder ihren Papa haben, auch wenn als Regionalliga-Fußballer mit Vollzeitjob nicht viel Freizeit bleibt. Ich bin ohne Vater aufgewachsen und hatte keinen, der die schützende Hand über mich gehalten hat. Meine Kindheit war schwer, der Weg steinig. Ich habe früh den Ernst des Lebens erfahren und kann heute nachvollziehen, was meine Mutter in nicht einfachen Verhältnissen für uns Geschwister geleistet hat. Umso mehr helfe ich, wenn es einem Familienmitglied schlecht geht.
Dellinger: Das passiert leider immer wieder. Es gibt unter den Zuschauern manche Idioten, die mir etwas zuschreien. Solche Vorfälle interessieren mich aber nicht mehr. Wenn ich auf dem Platz stehe, bin ich auf das Spiel fokussiert. Früher war ich ein Hitzkopf und habe aus der Emotion heraus verbal auf rassistische Beleidigungen reagiert. Heute schieße ich lieber ein Tor und juble vor den gegnerischen Fans. Grundsätzlich appelliere ich an die Leute, die daneben stehen, gegen solche Äußerungen einzuschreiten. Ich habe das Gefühl, dass die Antirassismus-Kampagnen der Fußballverbände etwas gebracht haben. Die Schiedsrichter sind sensibilisiert und schützen die betroffenen Spieler. So war es auch bei mir, als ich bei einem Spiel in Frohnlach beleidigt wurde. Der Unparteiische hat die Partie unterbrochen und den Täter aus dem Stadion verbannt. Mit Gegenspielern habe ich solche negativen Erfahrungen zum Glück noch nicht gemacht.
Dellinger: Ich arbeite bei ZF in Schweinfurt im Bereich der Elektromobilität. Unser Team kümmert sich um die Inbetriebnahme von Bauteilen für verschiedene Automarken. Als Industriemechaniker stand ich früher in der Fertigung selbst an der Maschine. Toll finde ich, dass es im Kollegenkreis etliche Aubstadt- und Dellinger-Fans gibt, die zu den Spielen kommen.
Dellinger: Es gab eine Zeit, in der ich viele Anfragen bekommen und Fotoshootings für Modelabels angenommen habe oder auf dem Laufsteg stand. Dafür war ich einige Tage in Stuttgart, Frankfurt oder Düsseldorf. Die Designer haben über Social Media nach einem Typen wie mir gesucht, weil ich schlank, groß und tätowiert bin. Ich könnte weiter als Model tätig sein, habe aber keine große Zeit mehr dafür.
Dellinger: Nicht wegen der Modelfotos, sondern weil ich Fußballer bin. Wenn ich in Schweinfurt unterwegs bin, werde ich von Kindern angesprochen und um ein Bild gebeten, genauso wie nach den Spielen in Aubstadt. Das ist für die Kleinen das Größte. Es laufen auch viele Kinder mit einem Dellinger-Trikot durch die Gegend.
Dellinger: Ich war das Gesicht von Sporttotal.tv und zehn Wochen lang oberkörperfrei in der Bild-Zeitung zu sehen. Das war verrückt. Meine Social-Media-Profile sind explodiert. Ich wurde ausgewählt, weil ich ein Video auf Facebook gestellt hatte, in dem ich den Ball aus zwei Metern übers Tor schieße und über mich selbst gelacht habe.
Dellinger: Tatsächlich mache ich nicht viel. Die Athletik kommt von guten Genen. Ich werde einfach nicht dick und muss nicht auf die Ernährung achten. Das ist mein großes Glück. Es kommt vor, dass ich vor dem Spiel einen Cheeseburger esse, um mich gut zu fühlen.
Dellinger: Ich gebe ab zu meinem Arbeitskollegen Murat Akgün, der beim Kreisligisten Türkiyemspor Schweinfurt Trainer ist und mit 45 Jahren noch auf dem Platz steht. Ich ziehe meinen Hut vor diesem Fußballverrückten. Er ist für sein Alter extrem fit und hat großen Sachverstand. Montags auf der Arbeit fachsimpeln wir immer über die Spiele vom Wochenende.
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