Corona-Pandemie, Energiekrise, russischer Angriffskrieg in der Ukraine: Es herrscht Krisenstimmung nicht nur in Berlin und Brüssel. Auch in Schweinfurt sind die Auswirkungen spürbar. Im exklusiven Interview erklären Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) und Finanzreferentin Anna Barbara Keck, wie sie die Zukunft der Wälzlagerstadt gestalten wollen.
Sebastian Remelé: Es war schon immer schwierig, die Zukunft zu gestalten, weil wir von Voraussetzungen ausgehen, die wir zum Gutteil nicht in der Hand haben. Wir spüren jetzt, dass sich die Krisen nicht ablösen, sondern überlagern und potenzieren. Wir sprechen seit längerem von der Corona-Pandemie, die uns immer noch nicht ganz aus den Fängen gelassen hat. Wir merken ganz deutlich die Auswirkungen des Ukraine-Krieges bis nach Schweinfurt. Und wir haben das sich nach und nach verstärkende Fachkräfteproblem, was von diesen Krisen nicht unmittelbar ausgelöst wurde, sondern durch die demografische Entwicklung in den nächsten fünf bis zehn Jahren voll durchschlagen wird. Ich halte das für eine der Hauptherausforderungen in den nächsten Jahren. Alle anderen Krisen sind endlich.
Remelé: Wir werden an allen Projekten festhalten. Wir werden auch an den Grundüberlegungen zur Landesgartenschau festhalten, aber wir erreichen sie auf andere Weise und in einer deutlich gestreckteren Form. Wir stehen mit zwei großen Projekten in den Startlöchern: Die Theatersanierung mit über 50 Millionen Euro und das große Kindergarten- und Schulzentrum Bellevue mit über 30 Millionen Euro. Wir wollen an der Konversion der Ledward Kaserne bis 2026 festhalten, durch Schaffung eines Bürgerparks, und wir wollen auch die Korrespondenzprojekte gestaffelt durchführen. Die Entsiegelung des Schelmsrasens vor 2026, den Spitalseeplatz nach 2026 und die Gutermann-Promenade nach 2028.
Remelé: Ich bleibe bei meiner Haltung seit 2018: Landesgartenschauen sind hervorragende Mittel der Stadtentwicklung. Sie sind gerade jetzt ein probates Mittel, vor allem die Städte auf den Klimawandel einzustellen. Dieses Instrumentarium geben wir jetzt zu einem gewissen Teil aus der Hand. Vor allem geben wir es aus der Hand, im Jahr 2026 und darüber hinaus für Schweinfurt zu werben und die Kräfte einer Verwaltung, der Bürger und des Ehrenamts auf dieses Jahr hin zu bündeln. Insofern ist es ein schmerzhafter Abschied gewesen. Aber er war notwendig, denn – auch das war immer meine Haltung – eine Landesgartenschau ist nicht zwingend notwendig. Sie ist wünschenswert, aber, anders als andere Projekte, ein Streichposten, wenn die Zeiten so schwierig sind, wie wir sie leider seit einigen Jahren erleben müssen.
Anna Barbara Keck: Wir gehen davon aus, dass wir zum Stand Ende 2022 rund 76 Millionen Euro in der Rücklage, unter Berücksichtigung der bis dahin getätigten Ausgaben im Haushalt 2022, haben werden. Natürlich müssen die Projekte priorisiert werden und ist die Landesgartenschau herausgenommen worden aus dem Haushalt. Insgesamt haben wir aber dennoch zwischen 2023 und 2026 ein Investitionsvolumen von 186 Millionen Euro. Das heißt, die großen Maßnahmen wie Theater oder Schule Bellevue laufen, genauso wie die Sanierung des Servicebetriebs, wo 250 Mitarbeitende mit wichtigen Aufgaben der Daseinsfürsorge arbeiten. Auch der Neubau der Maxbrücke wird als Infrastrukturmaßnahme geplant. Genauso Digitalisierung, Ganztagsausbau in den Schulen, Kinderkrippen. Das Kulturforum, ein wichtiges Projekt des Oberbürgermeisters, wird erstmal verschoben. Es bleibt auf der Agenda und soll, wenn die Rahmenbedingungen wieder besser sind, umgesetzt werden. Wir brauchen aber in der Finanzplanung fast 41,5 Millionen Euro zusätzliche Kredite zu den Rücklagen, um auch das Defizit im laufenden Haushalt aufzufangen.
Remelé: Warum die Euphorie im Stadtrat nicht so vorhanden war, wie ich mir das gewünscht hätte, kann ich nicht beantworten. Ich habe den Eindruck, dass Großprojekte heute schneller Kritiker finden, als das früher der Fall war. Selbst Landesgartenschauen sind auch in größeren Städten nicht mehr einhellig gewollt, sondern es bauen sich heute früher Widerstände auf, die lauter und vernehmbarer sind. Was die Bevölkerung betrifft, glaube ich, dass wir noch nicht die Chance hatten, die Landesgartenschau so vorzustellen, dass sie konkret geworden wäre. Wir hatten das für den Herbst geplant, zum Beispiel mit einem Prospekt, wie das Gelände aussehen kann. Es wäre jetzt sehr greifbar geworden. Normalerweise kann man dann auch erst Begeisterung wecken. Vorher ist es schwierig, weil den Menschen, die nicht im Planungsprozess sind, verständlicherweise die Vorstellungskraft fehlt.
Remelé: Wir bekamen erst Mitte September in der Verwaltung belastbare Zahlen, bezogen auf die möglichen Varianten. Auch im Durchführungshaushalt stiegen die geplanten Ausgaben. Verschärfend kam für mich hinzu, dass wir in den nächsten Jahren weiterhin ein Einnahmeproblem haben. Kluge Menschen haben das alles schon vorher gewusst. Aber wir erleben eine Zeit seit 2020, in der sich die Krisenanfälligkeit zu dynamisieren scheint. Deswegen auch das Zögern. Klar war, dass es nur den Ausstieg gibt und die Landesgartenschau ist das Projekt, das unwiederbringlich beendet ist. Es wird keine Neuauflage geben.
Remelé: Ich glaube, die beste Idee verbraucht sich irgendwann. Wir müssen uns dem Klimawandel stellen. Wir werden ihn nicht aufhalten, aber wir können ihn vielleicht ertragbar machen. Dazu ist die Entwicklung der Kasernenfläche und der Korrespondenzprojekte ein wichtiges Vorhaben, an dem wir festhalten. Ich sehe nicht, dass wir in den nächsten zwei Jahrzehnten noch einmal die Chance haben, einen Raum in Schweinfurt so zu entwickeln, wie es die Landesgartenschau vorsieht.
Keck: Die Kosten werden aktuell ermittelt. Wir müssen auch die gegründete GmbH liquidieren, das wird derzeit vorbereitet. Es gibt entsprechende Anträge im Stadtrat und wir haben die Antwort darauf für die Sitzung Ende November zugesagt und verschaffen uns bis dahin einen Überblick.
Remelé: Daran anknüpfend möchte ich die Frage stellen: Was hat uns das bisher gebracht? Wir haben uns intensiv mit den Chancen, die in den 26 Hektar Kasernenfläche stecken, befasst. Wir haben Planungen, auf denen wir aufbauen können. Wir arbeiten weiter mit Planorama zusammen, haben uns über die Landesgartenschau hinaus mit den Korrespondenzprojekten befasst – drei weitere städtische Räume, die entsiegelt und aufgewertet werden sollen. Insofern war es keine vergebene Liebesmüh, sondern hat uns für das Thema Klimawandel im urbanen Raum wichtige Impulse geliefert.
Remelé: Das Kulturforum ist für mich nach wie vor ein zentraler Baustein für die Belebung der Innenstadt und der Bereicherung unseres kulturellen Lebens. Wir wollen das Projekt weiterführen, aus meiner Sicht ist es weiter mehrheitsfähig. Wir haben leider auch hier eine Baukostensteigerung auf knapp 20 Millionen Euro. Das können wir jetzt in der vorgesehenen Zeitschiene nicht umsetzen. Wir wollen die Baustelle in einen erträglichen Zustand versetzen und den Gedanken „Kulturforum“ am Leben erhalten, indem wir in der Halle Altes Rathaus längerfristige Wechselausstellungen anbieten und so den Appetit für das Kulturforum am Leben halten. Sobald es die Finanzen zulassen, wollen wir das Projekt durchführen. Mir ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir zum Beispiel derzeit drei neue Kindergärten bauen. Die Stadtentwicklung geht weiter, auch ist es eine Daueraufgabe die Infrastruktur zu erhalten. Damit wäre Schweinfurt schon ausgelastet, aber es ist natürlich nichts, was man unter Stadtentwicklung versteht.
Remelé: Wir haben in den vergangenen Jahren sehr an unserer Attraktivität gearbeitet. Ob das das Dienstfahrrad ist, die Monatskarte, die freiwillige Erhöhung der leistungsorientierten Bezahlung – es ist ein ganzer Strauß von Attraktionssteigerungen. Die größte Attraktivität des Arbeitgebers Schweinfurt steckt aber darin, dass wir hier noch gute Wohn- und Lebensverhältnisse anbieten können. Sie bekommen hier in überschaubarer Zeit eine Wohnung. Wir haben noch für jedes Kind einen Krippen- oder Kindergartenplatz. Unsere Schulen sind weitestgehend in einem guten Zustand. Wir haben eine fantastische Freizeit- und Kulturlandschaft. Wir sind eine attraktive Stadt für junge Familien. Das ist im Wettbewerb mit Ballungsräumen das wichtigste Pfund neben vielen kleinen Bausteinen eines attraktiven Arbeitsgebers. Wir stecken aber natürlich auch in einem Tarifkorsett, aus dem wir nicht ausbrechen können, aber auch nicht wollen, weil auch unsere Mittel endlich sind.
Remelé: Nicht die Kritik, aber ich kann die Sorge nachvollziehen. In einer Entwicklung über acht Jahre wird sich die Gesundheitsregion Schweinfurt neu aufstellen. Das sind große Veränderungen, die natürlich gerade beim Josefskrankenhaus zu neuen Aufgaben führen werden. Weg von der Akutmedizin hin zu einer schwerpunktmäßig ambulanten Versorgung. Das ist ein Paradigmenwechsel. Es ist vollkommen normal, dass solche großen Veränderungen Sorgen auslösen. Das Josefskrankenhaus ist in Verbindung mit dem Leopoldina dabei, diese Sorgen ernst zu nehmen und in Projektgruppen zu lösen. Ich will auch für Beruhigung sorgen: Es geht nicht um eine Fusion beider Häuser, es geht nicht um die Schließung eines Hauses. Sondern es geht um eine neue Schwerpunktbildung.
0 € für ca. 500 ÖPNV Nutzer die die Fussquerung über den Hauptbahnhof weiter nutzen möchten.
So schaut Klimaschutz in Schweinfurt im Jahre 2022 aus.
Mit Politikern, die die Massen begeistern können hat unser Land schon sehr schlechte Erfahrungen machen müssen.
Es gibt eben Menschen, die können die Massen begeistern, egal mit was - dazu gehört Remelé eben nicht. Er ist mehr der Typ Mensch, bei dem man unweigerlich an Helmut Schmidts Zitat denkt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", weil man sie weder von ihm kennt noch diese ihm zutraut.