
Joshua Obiesie war der Erste nach dem Ertönen der Schlusssirene. Herzlich und fest drückte er Alex King. Flüsterte ihm einiges in die Ohren und klopfte ihm immer wieder auf die Schulter. Die Umarmung zwischen dem 21-jährigen gebürtigen Münchner und dem 37-Jährigen, der in der Landeshauptstadt aufgewachsen war und das Basketballspielen beim FC Bayern München begonnen hatte, war die längste und innigste. Es folgte viel weiteres Herzen. Jeder einzelne Spieler des FC Bayern nahm King in den Arm und wechselte ein paar Worte mit ihm, ehe er in den nach Spielschluss obligatorischen Kreis seiner Mannschaftskollegen eintrat.
Und am Ende tauschte King dann vor der Kamera des übertragenden Internetportals Magentasport sogar noch das Trikot mit Schiedsrichter Benjamin Barth, der erklärte – genauso wie King – vor 20 Jahren sein erstes Spiel in der Bundesliga gehabt zu haben. "Sehr, sehr emotional" war dieser Sonntagabend für King. Er hatte bereits beim Interview vor dem Spiel mit seinen Gefühlen und feuchten Augen zu kämpfen. Nach seinem 638. und allerletzten Bundesligaspiel, in dem er in einer halben Stunde noch einmal acht Punkte gemacht hatte, und als "Alex King"-Sprechchöre durch den Audi Dome hallten, stockte ihm beim Gespräch mehrfach die Stimme – und er brach in Tränen aus.
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In das Abschlussinterview platzte dann noch Obiesie und herzte King abermals innigst. Dazu muss man wissen, dass die beiden eine sehr innige Beziehung pflegen. King sah sich in der vorigen Saison stets ein wenig in der Rolle des Ziehvaters, nachdem er zu s.Oliver Würzburg zurückgekehrt war und vor allem, als sich Obiesie zunehmend unwohler fühlte in der Domstadt. Im Sommer wechselte der Spielmacher, der in München sonst nicht besonders viele Minuten bekommt, in seine Heimatstadt. Am Sonntagabend verwandelte Obiesie in gut 20 Minuten zwei Dreier und machte zwölf Punkte.
Dank einer defensiven Meisterleistung hatten die Bayern am Freitagabend den großen FC Barcelona in der Viertelfinalserie der Euroleague mit 59:52 zermürbt – ein Ergebnis, das im Basketball auch schon mal als Halbzeitstand durchgehen kann (die Baskets hatten am Freitagabend bei der 87:113-Niederlage in Oldenburg bereits in der ersten Hälfte 63 Punkte kassiert). Nach dem 90:75-Überraschungssieg der Bayern in der Vorwoche im Palau Blaugrana, der in direkter Nachbarschaft zum legendären Fußballtempel Camp Nou liegt, erzwangen die Münchner also das entscheidende Spiel fünf, das am Dienstagabend (20 Uhr) wieder im blau-dunkelroten Palast in der katalanischen Hauptstadt über die Bühne gehen wird.
Der krasse Außenseiter FC Bayern wahrte also seine Chance, als erstes deutsches Team überhaupt in das Final-Four-Turnier der Königsklasse (heuer 19. bis 21. Mai in Belgrad) einzuziehen. Erwartbare Konsequenz wäre gewesen, dass Münchens Cheftrainer Andrea Trinchieri am Sonntagabend die überwiegende Mehrheit seiner Stammkräfte schont. Pustekuchen! Der Italiener schickte seine komplette Kapelle zum Abendwerk. Kündigte aber freilich an, dass er die Minuten gut verteilen wolle und viel rotieren.

Sicherlich darf man annehmen, dass Trinchieri einiges ausprobieren wollte, was er nächsten Dienstag auch gerne sehen würde. Und dass die Hausherren die Partie durchaus ernst nahmen, merkte man vom Sprungball an. In der Defensive waren sie hoch konzentriert und langten auch ordentlich hin, und vorne war ihre Wurfmaschinerie gut geölt. Mit 48:23 ging's in die Pause. 92:57 stand's am Schluss, nachdem die Hausherren nach der Halbzeit erst einmal ein paar Gänge heruntergeschaltet hatten.
Es durfte erstaunen, dass Trinchieri tatsächlich das Risiko in Kauf nahm, dass sich einer seiner Leistungsträger in einer Partie, in der es sportlich um nichts mehr ging, vor dem vielleicht wirklich größten Spiel der Vereinsgeschichte noch verletzen könnte. Wie schnell das gehen kann, davon können die Baskets die gesamte Saison lang Liedchen trällern, zuletzt konnten sie sogar einen Chor anstimmen.
Nachdem sich Craig Moller beim letzten Heimspielsieg gegen Ludwigsburg am Dienstag schwer am Knie verletzt hatte und bereits tags darauf operiert worden war, hatte es am Freitag auch noch William Buford erwischt, der sich sein rechtes Knie, das ihn in dieser Saison schon mehrfach zum Pausieren gezwungen hatte, verdreht hatte. Die genaue Diagnose steht noch aus.
Weitere aktuelle Würzburger Lazarett-Insassen: Kapitän Felix Hoffmann, Luciano Parodi, Aigars Skele, Abdul-Malik Abu, Julius Böhmer. Cameron Hunt quälte sich nach seinem Magen-Darm-Infekt wie bereits in Oldenburg mehr schlecht als recht übers Parkett, und mit Elijah Ndi durfte in München ein Jugendspieler fast 20 Minuten mittun. Insofern kann man den zwar bestimmt nicht glorreichen, aber auf jeden Fall sehr wackeren Sieben keinerlei Vorwürfe machen, dass sie am Ende mit einer 35-Punkte-Differenz-Abfuhr die Heimreise antreten mussten.
Aber die Münchner haben ja einen ganz anderen Traum. Wie hatte Trinchieri am Freitagabend in seiner so schön blumigen Art gesagt: "Wenn dein Team in einem Do-or-die-Spiel so antwortet, ist die Grenze der Himmel.“ Schaun mer mal, wie lange der Höhenflug der Bayern noch anhält.