Es ist sicher nur purer Zufall, mutet dennoch ziemlich kurios an, und es begleitet ihn eigentlich seit seinem Debüt am zweiten Weihnachtsfeiertag 2018, das er ausgerechnet in seiner Heimatstadt beging. Ohne den Anspruch auf akribischste Vollständigkeit darf man behaupten: Jedesmal, oder jedenfalls beinahe jedesmal, wenn er sein genauso unbestrittenes wie außergewöhnliches Talent nicht nur andeutete, sondern auch aufs Parkett brachte, oder wenn er häufiger traf als für gewöhnlich – dann hat er stets verloren. Joshua Obiesie ist erst etwas erstaunt, wenn man ihn darauf anspricht und als Beispiele seine Bundesliga-Premiere in München nennt oder nur Tage später das Heimspiel gegen Oldenburg. Auch in der Folgezeit ist das immer wieder geschehen, zuletzt in diesem Jahr in Oldenburg und nun jüngst am Montag. "Ist mir noch nicht aufgefallen", sagt er. Und dann fügt der 20-Jährige sehr ernst klingend hinzu: "Wird höchste Zeit, dass sich das ändert."
Wird es. Werden sie sich jedenfalls auch bei den Baskets denken. Beim 75:90 von Basketball-Bundesligist s.Oliver Würzburg gegen Bayreuth am Montagabend war Obiesie mit 16 Punkten nicht nur der treffsicherste Würzburger, wobei er vier seiner fünf Dreierversuche versenkte, er schnappte sich auch noch sechs Rebounds, alle unterm eigenen Korb – beides persönliche Bestwerte in seiner jungen Bundesligakarriere.
Die war jüngst ordentlich ins Stocken geraten. Angetreten mit den Vorschusslorbeeren von vielen Experten, eines der aktuell größten Talente Deutschlands zu sein und mit dem von seinem Jugendtrainer und ihm selbst auch öffentlich klar formulierten Ziel, möglichst bald in der NBA, also in der stärksten Liga des Planeten, unterzukommen, rutschte Obiesie nicht zuletzt wegen der Nachverpflichtung von Spielmacher Rob Lowery in der Rotation von Baskets-Trainer Denis Wucherer in der jüngeren Vergangenheit ziemlich nach hinten. Er bekam nicht mehr sonderlich viele Spielminuten. Beim ersten Heimsieg gegen Gießen gerade einmal 98 Sekunden und beim Überraschungserfolg in Crailsheim nicht einmal eine. Und im Umfeld der Baskets war schon zuvor immer wieder mal Missmut zu vernehmen mit dem Tenor: In der nun dritten Saison, der zweiten kompletten in Würzburg, ist der Welpenschutz nun aber mal aufgebraucht – da muss mehr kommen.
Inzwischen hat sich Lowery am Ellenbogen verletzt und fällt auf noch unbestimmte Zeit aus, gegen Bayreuth durfte Obiesie fast 21 Minuten ran. Und er lieferte, vielleicht sogar einiges mehr, als zu erwarten gewesen war: "Sehr ordentlich", urteilte Baskets-Trainer Denis Wucherer über den Auftritt seines Youngsters in seiner bisweilen so schön lakonischen wie ironischen Wortwahl. Um dann ganz ernsthaft zu erklären, dass ihm noch mehr als die gute Offensive und Obiesies sicheres Wurfhändchen vor allem gefallen hat, wie er sich "in der Verteidigung Mühe gegeben und gekämpft hat". Und dann entflutscht Wucherer, dem Lobhudelei ein Greuel ist, tatsächlich doch noch ein Lob: "Da hat Joshi seinen Job prima gelöst." Der Gelobte weiß selbst zu gut: "An meiner Verteidigung muss ich noch weiter hart arbeiten, wenn ich sehe, wie zum Beispiel Rob verteidigt."
"Wir müssen schauen, seine PS nun möglichst bald auf die Straße zu bringen", hatte Wucherer anfangs der Saison mal über sein größtes Talent im Kader gesagt. Später bemängelte der Trainer nicht nur einmal das Defensivverhalten Obiesies. Am Tag nach der Niederlage gegen Bayreuth betonte der 47-Jährige auch den zuletzt "deutlich" erhöhten Trainingsfleiß seines sportlich noch ungeschliffenen Rohdiamanten. Und Wucherer wäre noch "besser gestimmt", wie er sagt, wenn er nun erkennen dürfte, dass Obiesie "weiter hart an sich arbeitet". Als "Prozess des Erwachsenwerdens" bezeichnet der Trainer das.
"I AM WHO I AM". Ich bin, wer ich bin. Das hat sich Obiesie neben anderen Tattoos auf seinen rechten Unterarm in nüchtern wirkenden Versalien vertikal nadeln lassen (über einem größeren "Forever" in spielerisch-geschwungener Schrift). Der leicht abgewandelte Titel einer der größten Hits von Disco-Queen Gloria Gaynor (die das grammatikalisch genauso erlaubte what anstelle des who wählte) soll vor allem unterstreichen: Nehmt mich, akzeptiert mich – so, wie ich bin. "Ich verändere mich nicht für andere", sagt Obiesie dazu. "Entweder jemand kommt mit meiner Persönlichkeit klar oder eben nicht."
Was natürlich nicht heißen soll, dass "ich mich nicht weiter entwickeln will. Natürlich will und werde ich das", sagt Obiesie und meint: als Sportler und selbstverständlich auch als Mensch. Jedes seiner Tattoos hat eine wichtige Bedeutung für ihn, meist mit Bezug zur Familie oder engsten Freunden –und sie dienten nicht ausschließlich der Körperverzierung, wie es bei einigen seiner Berufskollegen, ohne ihnen zu nahe treten zu wollen, den Eindruck schüren kann. Auf dem rechten Arm des Linkshänders ist ein Kompass verewigt ("um in der richtigen Richtung zu bleiben"), auch ein Auge seiner Mutter und das Geburtsdatum seines älteren Bruders in lateinischen Ziffern.
Begleitet man Joshua Obiesie, seitdem er vor knapp zweieinhalb Jahren in Würzburg begann, darf man ungestraft behaupten: Der junge Mann mit seinen an den Seiten zurechtgestutzten schwarzen Locken und deshalb an ein Vogelnest erinnernden Frisur hat sich entwickelt. Nicht nur sportlich.
Freilich: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – und ein sehr starker Auftritt gibt keine Garantie für heißes Durchstarten. Aber er kann den Baskets und auch Obiesie selbst zumindest ein wenig Hoffnung auf mehr Sonnenschein machen. Gerade in der aktuellen Situation. Inzwischen hat sich das Baskets-Lazarett mit fünf für längere Zeit Verletzte gefüllt. Nach Smith, Sears, Chapman und Lowery hat sich nun auch noch Kapitän Felix Hoffmann einweisen lassen müssen, nachdem ihm beim MBC ein Muskelbündel im Oberschenkel riss.
Fragt man Obiesie, wer sich denn nun gegen Bayreuth oder im Training am Dienstag als Nächstes verletzt habe, lacht er herzlich und sagt: "Keiner. Soweit ich weiß. Das ist unglücklich und passiert einfach. Aber ich habe auch noch nie so viele Verletzte in einer Saison erlebt. Wir sollten nun dringend gesund bleiben."
Nach seiner Optimismus schürenden Vorstellung am Montag wurde Obiesie gefragt, ob die Handbremse in seinem Spiel nun endlich gelöst sei. Seine diplomatische Antwort: "Wir werden sehen." Diesen Satz wiederholte er auf Nachfrage noch zweimal. Viel treffender lässt sich seine persönliche Situation – aber auch die der Baskets im Kampf um den Klassenerhalt – derzeit kaum umschreiben.