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BASKETBALL
Warum ein großes Talent zu den Baskets ging
Thomas Brandstetter
 |  aktualisiert: 22.08.2022 17:02 Uhr

Die Einheit ist offiziell beendet. Er bleibt noch. Und wirft. Aus der Ferne. „Ich habe noch keinen Dreier gemacht“, wird Joshua Obiesie wenig später sagen. Vier Versuche in zwei Spielen. Keiner saß. Das muss sich ändern. Also wirft er noch ein wenig, während die allermeisten Kollegen unter der Dusche stehen oder sich bereits umziehen. Klischees wie jenes, dass Hochbegabte besonders fleißig sein sollten, um ihr Talent zum Blühen zu bringen, sind bisweilen nicht nur Klischees.

„Josh, wenn du fertig bist, dann da noch ein paar Fragen beantworten“, ruft sein Trainer. Als dann nicht sehr lange später genügend Dreier gefallen sind, kommt Joshua Obiesie auf einen zu, streckt die Hand entgegen, lächelt und sagt: „Hi, Joshua. Wollen wir uns da hinsetzen?“ An der Wand der Halle stehen drei Stühle. Er setzt sich auf den näheren und lässt keinen Stuhl dazwischen frei. „Okay. Was willst Du wissen?“

Mehr als bloße Schaumschlägerei

Zum Beispiel, warum ein 18-jährige Basketballer, hinter dem nicht nur die renommiertesten Klubs hierzulande, sondern auch internationale Schwergewichte wie etwa der FC Barcelona her gewesen sein sollen, ausgerechnet bei Bundesligist s.Oliver Würzburg gelandet ist. Obiesie gilt als eines der größten Talente dieser Republik – das ist bis heute unwidersprochen –, und Denis Wucherer, sein Trainer in Würzburg, sagt: „Den Jungen kennt ganz Europa.“

Verfolgt man den Basketball-Zirkus etwas intensiver, fällt auf, dass solche Sprüche jedes Jahr transportiert werden, gerne auch über mehr als einen jungen Spieler. Hat man Joshua Obiesie nun aber sowohl im Europapokal als auch in der deutschen Premiumklasse spielen sehen, könnte man flott auf die Idee kommen, dass diese Reklameslogans in diesem Fall mehr sein könnten als Schaumschlägerei.

Das Vertrauen des Trainers

Also, warum Würzburg? „Ich habe von Anfang an das Vertrauen von Denis gespürt. Dass ich spielen kann. Spielen. Spielen Spielen. Das ist wichtig. Er sagt immer, ich soll und darf mein Ding machen“, sagt Obiesie – und lacht. Wie er es noch häufig tun wird bei diesem Gespräch im Trainingszentrum der Baskets. Dann erzählt er von Freunden, die bei größeren Klubs gelandet sind – „und die nicht spielen dürfen. Nicht mal am Ende, wenn sie mit 20 führen“. Unbefriedigend für Talente, die sich beweisen wollen. Obiesie unterschrieb angeblich für dreieinhalb Jahre, plus Option auf Verlängerung. Dass er solange in Würzburg verweilt, erscheint derzeit freilich eher als unwahrscheinlich.

„Er hat einen sehr guten Spielwitz, ist Linkshänder und hat für einen Guard eine gute Größe“, sagt der 123-fache Nationalspieler Wucherer, mit 1,96 Meter einst ein Guard mit guter Größe. Ihm eilt der Ruf voraus, Talente entwickeln zu können. „Er kann Dinge, die andere nicht können und lebt noch viel von seiner Intuition“, meint Wucherer über den 1,98 Meter großen Obiesie. „Ich war nicht so talentiert.“ Wucherer lacht herzlich, als er das sagt.

Bundesliga-Debüt in der Heimatstadt

Da wächst man also in einer Millionenstadt auf, die ja auch Deutschlands Sporthauptstadt ist und gerade von drei deutschen Meistern geschmückt wird – neben den Basketballern des FC Bayern München gibt es ja noch die Fußballer des Klubs und die Eishockeyspieler des EHC Red Bull München. Und dann landet man in der fränkischen Provinz. Bei einem derzeit allenfalls mittelprächtigen Bundesligisten, der sich kräftig strecken muss, will er das ambitionierte Saisonziel Play-offs noch erreichen. Und dann feiert man sein Bundesliga-Debüt in seiner Heimatstadt. Halt im Trikot des Gegners. Was fühlt man da?

„Das war schon besonders“, sagt Joshua Obiesie. Aber eigentlich auch wieder nicht. Er grinst: „Ich mach' mir da keinen Kopf. Es war halt das nächste Spiel.“ Mit der Internationalen Basketball Akademie München (IBAM) und dem MTSV Schwabing spielt er in der Nachwuchsbundesliga und in der Regionalliga. Vor 20 oder 50 Zuschauern. Vermutlich mehrheitlich Verwandtschaft. Sein Liga-Debüt beging er vor über 4500 Augenzeugen, seine Liga-Heimpremiere in Würzburg begutachteten knapp über 3000. „Ich denk' da gar nicht so dran, wie viele Zuschauer das nun sind. Ich will spielen. Und denk' mir, zockst halt einfach.“

Die Branchenstars als Slalomstangen

Und wie er gezockt hat. Der Teenager mit der Frisur, die an ein Vogelnest erinnern kann, ist gerne im Münchner Audi Dome – „wenn es die Zeit und das Training zulassen“. Bei Euroleague-Spielen – als Zuschauer. Vor eineinhalb Wochen dann, am zweiten Weihnachtsfeiertag, stand er dort auf dem Parkett.

Nein, er stand nicht – er lief, viel und zielstrebig, und er ließ mehrere der langjährig international gestählten Münchner bisweilen sehr alt aussehen, wenn er mit dem Ball Slalom um sie fuhr und die Kugel manchmal elegant, manchmal enorm willensstark in den Korb legte. Dasselbe gegen Oldenburg, als er in seiner ersten Aktion deren Star Rickey Paulding kräftig nass machte und traf mit dem nach hinten abgehobenen Sprungwurf, den Dirk Nowitzki perfektioniert hat: „Na ja, ich denk' mir, das sind Spieler, gegen die ich auch in der Regionalliga spielen könnte. Ich liebe es, Erfahrungen zu sammeln.“

Freiwilliges soziales Jahr

Joshua Obiesie darf inzwischen wählen gehen, nach erfolgreichem Kampf mit der theoretischen Führerscheinprüfung auch bald Autofahren, und er bekäme sogar Schnaps – aber dafür müsste er vermutlich seinen Ausweis vorlegen. In der Schule lief es laut Obiesie, der sich lautmalerisch stets mit „Objesse“ vorstellt – Mama Deutsche, Papa Nigerianer –, nie wirklich gut. Der Versuch, den Spaß, den er zwischen zwei Körben empfand, auf die Schulbank zu übertragen, gelang nicht wirklich. Also blieb er nicht länger als nötig. Dafür machte er unter anderem ein freiwilliges soziales Jahr und arbeitete in einem Kindergarten.

Joshua Obiesie macht den Eindruck, dass er im Reinen ist mit sich und mit seiner Entscheidung, es nicht überstürzen zu wollen und in Würzburg den „Rhythmus für die Liga“ zu finden. Seit seinem sechsten Lebensjahr spielt er Basketball. Seit er elf ist, genießt er eine besondere Förderung: Robert Scheinberg, Geschäftsführer und Trainer der IBAM gibt ihm seit sieben Jahren Einzelstunden. Er sagt über seinen Schützling: „Er bringt schon fast das komplette Paket mit. Größe, Athletik, Schnelligkeit, Wurf – das ist alles bei ihm schon sehr ausgeprägt.“

Es erinnert vieles an Dirk Nowitzki

Die Parallele zu einem Basketballer aus Würzburg, der durch Einzeltraining gefördert wurde und sich dann in die NBA-Geschichte warf, ist zu naheliegend, um sie zu verschweigen: Natürlich erinnert alles an Nowitzki. Der ging in die USA, da war Obiesie noch nicht geboren. Das Ziel ist dasselbe: spielen in der stärksten Liga dieser Welt. „Der Junge soll in zwei Jahren in der NBA unterkommen“, sagt Scheinberg. Hat er das Zeug dazu? „Auf jeden Fall“, sagt Wucherer.

Wenn man all das Gehörte dann etwas sacken lässt und sich die Gesamtsituation anschaut, dann kann einem dieser schöne Spruch einfallen von Marlon Brando, einem der großen Philosophen des alten Hollywoods: „Verwechsle die Höhe deiner Gage niemals mit der Größe deines Talents.“

LeBron James als großes Idol

Nicht Nowitzki ist Obiesies großes Idol, obwohl er den Würzburger natürlich schätzt – aber es geht ja noch immer eine Nummer größer: Als die Sprache auf LeBron James kommt, beginnen Obiesies pechschwarze Augen zu funkeln. Mit dem besten Basketballer der Welt hat er schon mal ein paar Worte wechseln dürfen. Das war in Berlin bei einem internationalen Nachwuchsturnier eines US-Sportartikelherstellers, und in den USA durfte Obiesie auch schon mal bei einem Turnier als einer von nur vier Europäern gegen all die College-Boys und High-School-Talente antreten, bei einem von der Spielergewerkschaft der NBA organisierten Camp. „Seit ich angefangen habe, war die NBA mein Ziel“, sagt er. Dann lächelt er mal wieder: „Als Nowitzki die Championship gegen LeBron gewonnen hat, war das schon hart für mich.“ Das war 2011, da war Joshua Obiesie gerade elf Jahre alt geworden.

Die Wünsche für das Jahr

Wünsche für dieses junge Jahr? Joshua Obiesie überlegt. Antwortet mit Bedacht: „Spaß haben. Und gesund bleiben.“ Er macht eine Pause. Dann schiebt er hinterher: „Ach, ein dritter Wunsch noch: möglichst viele Spiele gewinnen.“

Das Überraschungsteam

Basketball-Bundesliga Rasta Vechta – s.Oliver Würzburg (Samstag, 18 Uhr, Rasta Dome) Der Aufsteiger, den der ehemalige Würzburger Trainer Douglas Spradley in die Bundesliga zurückgeführt hatte, ehe er entlassen wurde, ist das Überraschungsteam der Saison: Nach neun Siegen in 14 Partien stehen die Rastafaris auf Rang sechs. „Wir sehen uns durchaus als Außenseiter“, sagt Denis Wucherer, Trainer des Dreizehnten Würzburg (4:8-Siege). Kein Bundesligateam provoziert so viele Ballverluste des Gegners wie Vechta (über 17 pro Spiel). Die Bilanz spricht für die Baskets: Von den vier Duellen gewannen die Niedersachsen nur die allererste vor fünf Jahren. tbr
 
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