
Wenn große und muskelbepackte Männer, für die enge Spiele Arbeitsroutine und auch hoch emotionale Situationen selbstverständliche Anforderungen der Stellenbeschreibung sind, dann doch einmal ein paar Tränchen verdrücken, muss es sich um ganz besondere Momente handeln. So geschehen am vergangenen Dienstag, als Alex King sich vor dem Sieg gegen Ludwigsburg von seinem Würzburger Publikum verabschiedet hatte. So geschehen auch am Freitagabend knapp 500 Kilometer nördlicher, wo in Oldenburg die Vereinslegende Rickey Paulding sich ein letztes Mal vom Heimpublikum feiern lassen durfte. Sowohl dem Rekordspieler King (nun 637 Partien in 20 Jahren Bundesliga) als auch dem US-Amerikaner Paulding (583 Spiele in 15 Jahren Premiumklasse, die er ausschließlich bei den Niedersachsen verbrachte) standen Tränen in den Augen. King vor dem Spiel, Paulding danach.
Und manchem im Publikum sowohl in Würzburg als auch in Oldenburg sowie vor dem Fernseher oder Bildschirm bestimmt auch. Es gibt ja unterschiedlichste Gründe, warum ein Mensch das Weinen beginnen kann. Zum Heulen war die für beide Mannschaften sportlich letztlich unbedeutende Partie am Freitagabend auf keinen Fall. Ganz im Gegenteil: Eben weil es für beide Teams um nichts mehr ging außer um Siegprämien und vielleicht den professionellen Ehrgeiz, möglichst jedes Spiel gewinnen zu wollen, konnten sie ziemlich druckbefreit zocken.
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Das gelang den Hausherren dann wesentlich besser als den Würzburgern, die sich letztlich als äußerst charmante Gäste präsentierten. Und Paulding seine Abschiedsgala schenkten, an deren Ende ein 113:87 (63:38) auf den Anzeigetafeln leuchtete – ehe dann die eigentliche Show begann.
Über die Qualität der Partie und den Spielverlauf braucht man keine Worte verlieren, außer vielleicht der Bemerkung, dass sie eher einer NBA-Hauptrundenbegegnung oder einem All-Star-Spiel glich – in beiden Fällen wird ja meist weitestgehend auf eine Verteidigung verzichtet.
Viel bemerkenswerter und auch tragischer aus Würzburger Sicht: Das Baskets-Lazarett hat sich weiter gefüllt. Nach den verletzungsbedingten Ausfällen von Aigars Skele, Felix Hoffmann, Luciano Parodi und jüngst Craig Moller, der sich am Dienstag gegen Ludwigsburg schwer am Knie verletzt hatte und bereits am Mittwoch operiert worden war, traten die Baskets die Reise in den Norden zu acht an. Wobei Julius Böhmer nur pro forma auf dem Spielberichtsbogen auftauchte, weil er wegen eines Muskelfaserrisses sowieso nicht einsatzfähig war, und Cameron Hunt sichtlich an den Nachwirkungen seines Magen-Darm-Infektes litt. Abdul-Malik Abu fehlte ebenfalls, laut Vereinsangaben wegen einer Handverletzung.
Und nach sieben Minuten und 15 Sekunden des ersten Viertels rutschte William Buford beim Zug zum Korb richtig blöde aus – und damit sicher manchem Vereinsverantwortlichen und Anhänger das Herz in die Hose. Der US-Amerikaner, einer der stärksten Baskets-Akteure der letzten Wochen, verdrehte sich dabei sein rechtes Knie - jenes, das ihm im Grunde seit Saisonbeginn immer wieder Probleme bereitet und zwischenzeitlich immer wieder zum Pausieren gezwungen hatte. Die Diagnose steht aus.
Auch wenn die Oldenburger verletzungsgeplagt sind und auf vier Stammkräfte verzichten mussten, vor allem auf ihre Großen, war natürlich spätestens ab Bufords Ausscheiden (da stand es 18:10 für die Hausherren) natürlich nicht mehr wirklich an ein Duell auf Augenhöhe zu denken. Musste auch nicht sein. Es war ja der Abend eines Mannes.
Wer tatsächlich noch einen Beweis dafür verlangt hat, welchen Ruf sich Rickey Paulding in Oldenburg und in Deutschland erworfen hat in den vergangenen 15 Jahren, hat diesen Beweis am Freitagabend bekommen. Mit den Niedersachsen wurde Paulding 2009 Meister (im Finale gegen Bonn, wo ein gewisser Alex King spielte) und 2015 Pokalsieger. Pauldings Status kann man andernorts – mit Ausnahme Ulms, wo es Per Günther nun auf 14 Jahre gebracht hat – kaum einschätzen, alleine schon deshalb, weil solche Vereinstreue im Basketball ungefähr so üblich und erwartbar ist wie ein Endergebnis von 20:20. Dass die Arena in Oldenburg an diesem hochemotionalen Abend trotzdem nicht zu einem tränenüberschwemmten Tempel wurde, lag vor allem auch am Hauptdarsteller, der zwar durchaus angefasst wirkte, aber wohlbedacht seine Worte wählte, als er sich beim Verein, seiner auf dem Parkett stehenden Mutter, seinem Bruder, seiner Frau und seinen drei Kindern bedankte. Und natürlich bei den Fans.

Minutenlange "Rickey Paulding"-Sprechchöre hallten durch die Arena. Schon vor dem Sprungball. Noch länger nach der Partie. Natürlich stehende Ovationen. Eine großartige Choreografie der Fans. "Es war emotionaler, als ich es erwartet habe", sagte Paulding. "Ich fühlte mich von Anfang an herzlich willkommen. Ich fühlte Liebe." Er zieht nach seinem Abschiedsspiel am 4. Juni weiter nach Kansas City, der Heimatstadt seiner Frau, und will ab sofort "ein guter Vater und Ehemann" sein. "Meine Frau hat mich nun 18 Jahre lang unterstützt. Ich will ihr etwas zurückgeben und nun sie unterstützen."