Fachkräftemangel, überforderte Pflegekräfte, Überstunden und Wochenenddienste ohne Ende: Es brennt im Bereich Pflege in Deutschland schon länger - während die Bedeutung dieses Berufsfeldes nicht nur ob des demografischen Wandels wächst und wächst.
Der Pflegenotstand ist auch am Berufsbildungszentrum in Münnerstadt Thema. Das Schulzentrum für soziale Berufe setzt sich unter anderem aus den Fachschulen für Pflege, Sozialpflege und Heilerziehungspflege zusammen.
Georg Gißler leitet das BBZ seit 2019. Seit 1989 arbeitet der 61-Jährige an der Schule. Er weiß, was die Schülerinnen und Schüler beschäftigt. Im Gespräch mit dieser Redaktion verrät Gißler, wo aus seiner Sicht angesetzt werden müsste, warum das so kompliziert ist und warum Pflegeberufe jetzt auch in Kinderbüchern abgebildet werden.
Georg Gißler: Wir bemerken auf jeden Fall, dass Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden. Im ersten Ausbildungsjahr haben wir aktuell Schüler aus sieben verschiedenen Nationen.
Gißler: Wir müssen nachsteuern, haben zum Beispiel ein Zusatzangebot, bei dem jeder bei seinen Defiziten anknüpfen kann. Da geht es vor allem um die Sprachkompetenz. Einen differenzierteren Unterricht zu gestalten für jemanden, der gerade so der deutschen Sprache mächtig ist und jemanden mit Abitur, ist schon eine Herausforderung.
Gißler: Sehr gut, gerade was Fleiß und Lernwille angeht. Wir haben auch die Besonderheit, dass sich bei uns am BBZ in Münnerstadt Menschen engagieren, die schon im Ruhestand sind. Neun Schülerinnen und Schüler werden von diesen Seniorpartnern momentan ehrenamtlich individuell betreut. Ein Seniorpartner kümmert sich gerade um drei Schülerinnen, die aus dem Vietnam zu uns gekommen sind und die jetzt ihr erstes Ausbildungsjahr bestanden haben. Davon ist sehr viel auch sein Verdienst.
Gißler: Nein, die sind stabil. Wir haben oft sehr starke Klassen. Letztes Jahr gab es lediglich in der Heilerziehungspflege eine Klasse mit weniger als 16 Schülern. Das liegt aus unserer Sicht auch daran, was junge Menschen in diesen Berufen während der Ausbildung verdienen. Hier gibt es noch keinen Tariflohn in Bayern. Manche Einrichtungen bezahlen sehr viel, andere recht wenig.
Gißler: Definitiv nicht. Wir sprechen viel mit den Schülerinnen und Schülern darüber, was aus ihrer Sicht den Fachkräftemangel ausmacht. Der finanzielle Aspekt wird dabei nicht sehr oft genannt.
Gißler: Die Dienstzeiten, das viele Einspringen, wenig Urlaub. Bei den Arbeitszeiten muss man mit Sicherheit den Finger in die Wunde legen. Wir hatten, auch bedingt durch die Corona-Pandemie, eine Ausnahmesituation mit Maximalbelastung, die zum Teil schon drüber war.
Gißler: Wenn die Lösung so einfach wäre, hätten wir die Problematik nicht. Draußen brennt es. Die Leute suchen nach Menschen, die in der Pflege arbeiten wollen. Eine Einrichtung in Bad Kissingen garantiert ihren Auszubildenden jetzt, dass sie keinen Wochenenddienst machen müssen. Wie sie das realisieren, weiß ich nicht. Aber sie haben das Problem erkannt und versuchen, das Angebot attraktiver zu machen. Das finde ich hochinteressant.
Gißler: Es gibt zum Beispiel auch Überlegungen zu sogenannten Familienschichten, dass man also nur zwischen 10 und 16 Uhr arbeiten kann. Große Träger denken auch über die Vier-Tage-Woche nach. Für kleine Einrichtungen sind das natürlich Ansätze, die schwer realisierbar beziehungsweise unmöglich umzusetzen sind.
Gißler: Es klingt banal, aber junge Menschen sind oft mit wenig zufrieden. Wie werde ich vom Arbeitgeber betreut, kümmert sich gleich am ersten Tag jemand um mich? Gibt es regelmäßige Anleitungsgespräche? Ich glaube, gerade durch Corona ist von der Gesellschaft erkannt worden, welchen Wert die Pflegeberufe haben. Aber Sozialprestige ist für mich der geringere Faktor. Entscheidend ist: Wie werde ich vom Arbeitgeber wertgeschätzt?
Gißler: Nein, die nächsten zehn bis 15 Jahre sicherlich nicht. Und die Konkurrenz wird nicht schlafen. Auch andere Berufe werden sich verändert aufstellen.
Gißler: Den einen Wunsch gibt es nicht, dafür ist es zu komplex. Für die Heilerziehungspflege: bitte Tariflohn während der Ausbildung. Und für Pflegefachkräfte: Denkt bitte alle über Veränderungen bei den Arbeitsbedingungen nach. Wohlwissend, dass das höchst kompliziert ist. Schön wäre es auch, die Berufe transparenter zu machen.
Gißler: Man sollte nicht in Klischees verfallen und diese womöglich noch bedienen, sondern den Beruf so darstellen, wie er ist. Wenn es heißt, man muss nur Hintern abputzen, dann stimmt das einfach nicht. Und wenn schon Eltern sagen, dass man in der Pflege nichts verdient und jedes Wochenende arbeiten muss, dann wenden sich viele ab, die vom Herzen her gerne in der Pflege arbeiten möchten. Der erste Berufswunsch bildet sich ja schon im Kindesalter und es wird jetzt auch damit angefangen, Bilder aus Pflegeberufen in Bilderbücher aufzunehmen, damit es schon früh Berührungspunkte gibt. Und eben nicht nur mit Polizei, Feuerwehr und Baustelle.
Gißler: Die Berichterstattung in den Medien ist immer wieder Thema. Dass man eben nicht nur vom neuesten Pflegeskandal liest, sondern auch einmal, wie vielschichtig die Berufe sind, was man leistet und beim Menschen bewirkt, was zurückkommt. Auch unser Gespräch dreht sich ja mehr um Probleme und weniger um Chancen und Möglichkeiten.
Gißler: Wir haben immer wieder junge Menschen, die es als ihre Aufgabe in der Gesellschaft sehen, etwas Gutes zu tun. Bei einem großen Teil ist es ganz einfach die Freude an der Arbeit mit Menschen. Und dass man eben nicht jeden Tag mit Maschinen, Robotern und Computern zu tun hat. Dass man abends zwar müde nach Hause kommt, aber das gute Gefühl hat, etwas Tolles für andere und sich bewirkt zu haben.