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Münnerstadt
Pflegenotstand in Deutschland: BBZ-Chef Georg Gißler aus Münnerstadt wirbt für größere Wertschätzung am Arbeitsplatz
Der Leiter des Berufsbildungszentrums in Münnerstadt weiß, dass die Probleme im Pflegebereich sehr komplex sind. Eine Lösung erwartet er nicht von heute auf morgen.
Georg Gißler, Leiter des Berufsbildungszentrums in Münnerstadt, beschäftigt der Fachkräftemangel im Pflegebereich.
Foto: Anand Anders | Georg Gißler, Leiter des Berufsbildungszentrums in Münnerstadt, beschäftigt der Fachkräftemangel im Pflegebereich.
Simon Snaschel
 |  aktualisiert: 15.12.2023 14:18 Uhr

Fachkräftemangel, überforderte Pflegekräfte, Überstunden und Wochenenddienste ohne Ende: Es brennt im Bereich Pflege in Deutschland schon länger - während die Bedeutung dieses Berufsfeldes nicht nur ob des demografischen Wandels wächst und wächst.

Der Pflegenotstand ist auch am Berufsbildungszentrum in Münnerstadt Thema. Das Schulzentrum für soziale Berufe setzt sich unter anderem aus den Fachschulen für Pflege, Sozialpflege und Heilerziehungspflege zusammen.

Georg Gißler leitet das BBZ seit 2019. Seit 1989 arbeitet der 61-Jährige an der Schule. Er weiß, was die Schülerinnen und Schüler beschäftigt. Im Gespräch mit dieser Redaktion verrät Gißler, wo aus seiner Sicht angesetzt werden müsste, warum das so kompliziert ist und warum Pflegeberufe jetzt auch in Kinderbüchern abgebildet werden.

Frage: Herr Gißler, überall ist die Rede vom Pflegenotstand und davon, dass dringend etwas dagegen getan werden müsse. Kommen schon Maßnahmen bei Ihnen am BBZ an?

Georg Gißler: Wir bemerken auf jeden Fall, dass Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden. Im ersten Ausbildungsjahr haben wir aktuell Schüler aus sieben verschiedenen Nationen.

Viele Nationalitäten bedeuten auch unterschiedliche Kulturen und Sprachen. Wie funktioniert das?

Gißler: Wir müssen nachsteuern, haben zum Beispiel ein Zusatzangebot, bei dem jeder bei seinen Defiziten anknüpfen kann. Da geht es vor allem um die Sprachkompetenz. Einen differenzierteren Unterricht zu gestalten für jemanden, der gerade so der deutschen Sprache mächtig ist und jemanden mit Abitur, ist schon eine Herausforderung.

Wie sind die Erfahrungen?

Gißler: Sehr gut, gerade was Fleiß und Lernwille angeht. Wir haben auch die Besonderheit, dass sich bei uns am BBZ in Münnerstadt Menschen engagieren, die schon im Ruhestand sind. Neun Schülerinnen und Schüler werden von diesen Seniorpartnern momentan ehrenamtlich individuell betreut. Ein Seniorpartner kümmert sich gerade um drei Schülerinnen, die aus dem Vietnam zu uns gekommen sind und die jetzt ihr erstes Ausbildungsjahr bestanden haben. Davon ist sehr viel auch sein Verdienst.

Der BBZ-Neubau in Münnerstadt wurde 2020 fertiggestellt.
Foto: Sigismund von Dobschütz | Der BBZ-Neubau in Münnerstadt wurde 2020 fertiggestellt.
Überspitzt ausgedrückt heißt es häufig, dass niemand mehr im Bereich Pflege arbeiten will. Äußert sich das an Ihren Schülerzahlen?

Gißler: Nein, die sind stabil. Wir haben oft sehr starke Klassen. Letztes Jahr gab es lediglich in der Heilerziehungspflege eine Klasse mit weniger als 16 Schülern. Das liegt aus unserer Sicht auch daran, was junge Menschen in diesen Berufen während der Ausbildung verdienen. Hier gibt es noch keinen Tariflohn in Bayern. Manche Einrichtungen bezahlen sehr viel, andere recht wenig.

Geht es beim Fachkräftemangel wirklich nur ums Geld?

Gißler: Definitiv nicht. Wir sprechen viel mit den Schülerinnen und Schülern darüber, was aus ihrer Sicht den Fachkräftemangel ausmacht. Der finanzielle Aspekt wird dabei nicht sehr oft genannt.

Sondern?

Gißler: Die Dienstzeiten, das viele Einspringen, wenig Urlaub. Bei den Arbeitszeiten muss man mit Sicherheit den Finger in die Wunde legen. Wir hatten, auch bedingt durch die Corona-Pandemie, eine Ausnahmesituation mit Maximalbelastung, die zum Teil schon drüber war.

Gäbe es mehr Fachkräfte, wären ja auch mehr Freiräume vorhanden. Ein Teufelskreis?

Gißler: Wenn die Lösung so einfach wäre, hätten wir die Problematik nicht. Draußen brennt es. Die Leute suchen nach Menschen, die in der Pflege arbeiten wollen. Eine Einrichtung in Bad Kissingen garantiert ihren Auszubildenden jetzt, dass sie keinen Wochenenddienst machen müssen. Wie sie das realisieren, weiß ich nicht. Aber sie haben das Problem erkannt und versuchen, das Angebot attraktiver zu machen. Das finde ich hochinteressant.

Gibt es weitere Ansätze?

Gißler: Es gibt zum Beispiel auch Überlegungen zu sogenannten Familienschichten, dass man also nur zwischen 10 und 16 Uhr arbeiten kann. Große Träger denken auch über die Vier-Tage-Woche nach. Für kleine Einrichtungen sind das natürlich Ansätze, die schwer realisierbar beziehungsweise unmöglich umzusetzen sind.

Was können diese kleineren Anbieter aus Ihrer Sicht tun?

Gißler: Es klingt banal, aber junge Menschen sind oft mit wenig zufrieden. Wie werde ich vom Arbeitgeber betreut, kümmert sich gleich am ersten Tag jemand um mich? Gibt es regelmäßige Anleitungsgespräche? Ich glaube, gerade durch Corona ist von der Gesellschaft erkannt worden, welchen Wert die Pflegeberufe haben. Aber Sozialprestige ist für mich der geringere Faktor. Entscheidend ist: Wie werde ich vom Arbeitgeber wertgeschätzt?

Von heute auf morgen werden diese Ansätze die Probleme aber nicht lösen können, oder?

Gißler: Nein, die nächsten zehn bis 15 Jahre sicherlich nicht. Und die Konkurrenz wird nicht schlafen. Auch andere Berufe werden sich verändert aufstellen.

Haben Sie einen Wunsch an Arbeitgeber, Gesellschaft oder auch Regierung?

Gißler: Den einen Wunsch gibt es nicht, dafür ist es zu komplex. Für die Heilerziehungspflege: bitte Tariflohn während der Ausbildung. Und für Pflegefachkräfte: Denkt bitte alle über Veränderungen bei den Arbeitsbedingungen nach. Wohlwissend, dass das höchst kompliziert ist. Schön wäre es auch, die Berufe transparenter zu machen.

Georg Gißler (rechts) im Gespräch mit Sonja Scholz (Leiterin Berufsfachschule für Pflege) und Christian Zintl (Leiter Fachakademie für Sozialpädagogik und Fachschule für Heilerziehungspflege).
Foto: Anand Anders | Georg Gißler (rechts) im Gespräch mit Sonja Scholz (Leiterin Berufsfachschule für Pflege) und Christian Zintl (Leiter Fachakademie für Sozialpädagogik und Fachschule für Heilerziehungspflege).
Inwiefern?

Gißler: Man sollte nicht in Klischees verfallen und diese womöglich noch bedienen, sondern den Beruf so darstellen, wie er ist. Wenn es heißt, man muss nur Hintern abputzen, dann stimmt das einfach nicht. Und wenn schon Eltern sagen, dass man in der Pflege nichts verdient und jedes Wochenende arbeiten muss, dann wenden sich viele ab, die vom Herzen her gerne in der Pflege arbeiten möchten. Der erste Berufswunsch bildet sich ja schon im Kindesalter und es wird jetzt auch damit angefangen, Bilder aus Pflegeberufen in Bilderbücher aufzunehmen, damit es schon früh Berührungspunkte gibt. Und eben nicht nur mit Polizei, Feuerwehr und Baustelle.

Gibt es weitere Wünsche, gerade von den Schülerinnen und Schülern selbst?

Gißler: Die Berichterstattung in den Medien ist immer wieder Thema. Dass man eben nicht nur vom neuesten Pflegeskandal liest, sondern auch einmal, wie vielschichtig die Berufe sind, was man leistet und beim Menschen bewirkt, was zurückkommt. Auch unser Gespräch dreht sich ja mehr um Probleme und weniger um Chancen und Möglichkeiten.

Dann sehr gerne andersherum: Was motiviert junge Menschen für Pflegeberufe?

Gißler: Wir haben immer wieder junge Menschen, die es als ihre Aufgabe in der Gesellschaft sehen, etwas Gutes zu tun. Bei einem großen Teil ist es ganz einfach die Freude an der Arbeit mit Menschen. Und dass man eben nicht jeden Tag mit Maschinen, Robotern und Computern zu tun hat. Dass man abends zwar müde nach Hause kommt, aber das gute Gefühl hat, etwas Tolles für andere und sich bewirkt zu haben.

 
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