
Wenn Angehörige zum Pflegefall werden, dann fühlen sich Betroffene oft überfordert und ratlos. "Es prasseln dann viele Informationen auf die Angehörigen ein. Gerade bei einer akuten Situation kommt sowas auch ganz plötzlich", sagt Pflegeberaterin Lisa-Marie Köchel vom Pflegestützpunkt Würzburg. Sie erlebe oft, dass Pflege in Familien ein Tabuthema ist.
"Teilweise komme ich in Familien und frage mich, 'Mensch, wie hat das bislang so gut funktioniert?'. Oft hätten Angehörige bereits ein halbes Jahr früher Leistungen beantragen können", ergänzt Tobias Konrad, Leiter von WirKommunal und Berater des Pflegestützpunktes Landkreis Würzburg.
Aber wie erkenne ich, dass ein Familienmitglied Pflege benötigt? Wie kann ich das Tabuthema ansprechen? Und was sind die nächsten Schritte? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie erkenne ich, dass ein Angehöriger Pflege benötigt?
"Es gibt einerseits das akute Ereignis, beispielsweise ein Sturz, darauf folgt der Krankenhausaufenthalt und aus der Diagnostik wird klar, dass Pflegebedarf entsteht", erklärt Tobias Konrad. In diesem Fall müsse schnell eine Versorgung organisiert werden. Oft brauche es dann Beratungsstellen, weil Angehörige "mit der Situation überfordert sind und sich fragen, wie es weitergeht", sagt Konrad.
Andererseits entstehe Pflegebedarf als "schleichender Prozess". Die Angehörigen bemerken, dass ein Familienmitglied sich ungewöhnlich verhält, vergesslicher geworden ist oder den Haushalt nicht mehr allein meistern kann. All das sind erste Anzeichen, dass jemand Pflege benötigt, sagt Pflegeberaterin Köchel.
Wie sollte ich das Tabuthema Pflege in meiner Familie ansprechen?
Zwar nimmt der Pflegebedarf in Zeiten von Personalmangel und sinkenden Betreuungsangeboten weiter zu, trotzdem wird über Pflege in vielen Familien kaum gesprochen. "Wer macht sich gerne jetzt schon Gedanken darüber, was wäre wenn?", fragt Tobias Konrad.
Trotzdem sollten sich alle frühzeitig mit Vorsorgevollmachten oder Patientenverfügungen auseinandersetzen, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Sowohl Köchel als auch Konrad empfehlen, innerhalb der Familie offen über das Thema zu sprechen und zu schauen, welche Angehörige überhaupt betroffen sein könnten und den Bedarf zu ermitteln.
Was mache ich, wenn Angehörige sich weigern über das Thema Pflege zu sprechen oder keine Pflege in Anspruch nehmen möchten?
"Wenn Angehörige das Thema Pflege ansprechen, dann kommt es vor, dass sie bei anderen auf Granit beißen", sagt Tobias Konrad. "Dann sollte eine externe Person hinzugezogen werden." Das können Angestellte von Beratungsstellen, aber auch der Hausarzt sein. "Wichtig ist, dass es von verschiedenen Seiten angesprochen wird", sagt Konrad, "häufig sagen Angehörige Dinge fünfmal und wir sagen es einmal und dann geht es."
Dennoch komme es vor, dass Pflegebedürftige die Pflege verweigern. Für Familien ist das nur schwer auszuhalten. Trotzdem macht Pflegeberaterin Lisa-Marie Köchel deutlich: "Niemand kann zur Pflege gezwungen werden." Solange eine Person geistig fit ist und keine Gefahr für Leib und Leben darstellt, darf sie selbst entscheiden.
"Ich hatte letztens einen Fall, da gab es eine Frau, die nicht ins Pflegeheim wollte und bis zuletzt zu Hause geblieben ist, da schützt sie auch das Grundgesetz", sagt Konrad. Familien könnten dann nur zuschauen.

Ich habe bei einem Angehörigen Pflegebedarf festgestellt: Was sind die nächsten Schritte?
Als Erstes sollten Angehörige von pflegebedürftigen Menschen sich bei ihrer Pflegekasse melden. Die ist bei gesetzlich Versicherten bei ihrer Krankenkasse angesiedelt. Dort sollten sie einen Antrag auf Pflegegrad stellen.
"Die Pflegekasse beauftragt dann den medizinischen Dienst, der vor Ort oder telefonisch eine Pflegebegutachtung durchführt und sein Gutachten an die Pflegekasse weiterleitet, die wiederum den Bescheid über den Pflegegrad zustellt", sagt Lisa-Marie Köchel. Je nach Pflegegrad gibt es im Anschluss unterschiedliche finanzielle Leistungen und Kostenübernahme.
Ein Tipp der Experten: Angehörige sollten bei der Pflegebegutachtung dabei sein. Denn oft täuschten Pflegebedürftige aus Scham vor, fit zu sein. "Es macht auch Sinn, Pflegetagebuch zu schreiben, sodass die Gutachter nachvollziehen können, was tagtäglich abläuft", rät Tobias Konrad.
Ich bin mit der Entscheidung der Pflegekasse nicht einverstanden: Was mache ich nun?
Angehörige können innerhalb von vier Wochen Widerspruch gegen die Festlegung eines Pflegegrads einlegen. "Auch da können Pflegestützpunkte unterstützen, denn es ist wichtig, eine Begründung einzureichen. Nur dann wird das Ganze weiterbearbeitet", sagt Köchel.
Grundvoraussetzung für einen Pflegegrad ist eine mindestens sechs Monate anhaltende Bedürftigkeit. Entscheidend für den medizinischen Dienst ist laut Köchel zudem, wie selbstständig die zu pflegende Person noch ist. Deshalb werden unter anderem Mobilität oder kognitive und kommunikative Fähigkeiten von Pflegebedürftigen ermittelt.
Der Pflegegrad steht fest. Wie entscheide ich, ob ein Familienmitglied Zuhause gepflegt werden kann oder im Pflegeheim besser aufgehoben ist?
"Da spielt viel mit rein: Ist die Familie vor Ort, haben Angehörige Zeit, die Pflege zu übernehmen und wie hoch ist der Pflegebedarf", sagt Lisa-Marie Köchel. Sollte die Wahl auf ein Pflegeheim fallen, helfe eine Checkliste der Verbraucherzentrale. Die Pflegeberaterin empfiehlt Angehörigen, Pflegeheime zu besuchen und sich einen Eindruck vor Ort zu machen.
Bei häuslicher Pflege sollte die Wohnung dem Pflegebedarf entsprechend umgebaut werden, sagt Tobias Konrad, der auch als Wohnberater des Landkreises tätig ist. "Der Klassiker ist das Bad, dazu beraten wir extrem viel, dicht gefolgt vom Zugang zum Haus." Damit ist es aber nicht getan. Angehörige sollten auch darauf achten, dass Pflegebedürftige noch am Leben teilhaben und soziale Kontakte pflegen.
Ich fühle mich von der Informationsflut zum Thema Pflege überwältigt, wo finde ich Hilfe?
Pflegeberatung sei kein geschützter Begriff, sagt Konrad. Doch eine kostenfreie, neutrale und auf Wunsch auch anonyme Beratung würden die Pflegestützpunkte bieten. Darüber hinaus können Angehörige sich auch an ihre Pflegekasse wenden.
In der Beratung werden der aktuelle Stand und die soziale Struktur erfasst. "Wir schauen, welche Hilfen in Anspruch genommen werden und welche Unterstützung noch möglich ist", sagt Lisa-Marie Köchel. Je nach Bedarf erfolgt eine Vermittlung an andere Fach- und Beratungsstellen.