Hohe Arbeitsbelastung und schlechter Verdienst, das verbinden viele mit einer Tätigkeit im Pflegebereich. Dieses schlechte Image macht den Pflegeberuf vermeintlich unattraktiv. Die Folgen: Fachkräftemangel und ein drohender Pflegenotstand.
Christine Beyer (49) und Ute Schönbach (47) arbeiten seit 30 Jahren im Pflegebereich. Sie müssen deshalb bei der Suche nach Pflegepersonal kreativ werden. Beyer ist seit zehn Jahren Pflegedirektorin im Klinikum Würzburg Mitte und hat zuvor lange als Krankenschwester gearbeitet, während ihre Kollegin in diesem Jahr die Leitung für den Fachbereich Personal und Recht übernommen hat.
Im Interview erzählen sie, wie oft es vorkommt, dass Bewerberinnen und Bewerber kurz vor Antritt der Stelle absagen, welche Forderungen ihnen im Bewerbungsgespräch begegnen und ob sie ihren Beruf wieder ergreifen würden.
Ute Schönbach: Frustrierend würde ich nicht sagen. Natürlich ist es schwierig, Fachkräfte oder überhaupt Arbeitskräfte zu finden. Wir haben in allen Bereichen Probleme, geeignetes Personal zu finden. Natürlich sagt man sich dann ab und an, Mensch, vor zehn bis 15 Jahren ging vieles noch einfacher, aber bereits da mussten Personaler sich mehr anstrengen, um Bewerber zu gewinnen. Es reicht schon lange nicht mehr, nur noch eine Ausschreibung in den Printmedien zu veröffentlichen. Wir müssen unkonventionelle Ideen finden und gehen, um die Menschen anzusprechen und zu uns zu holen.
Christine Beyer: Es gibt offene Stellen, die begehrter sind als andere, aber im Prinzip haben wir immer offene Stellen. Mich erfüllt es mit Sorge, denn im Pflegebereich kommt es schon vor, dass Stellen mehrere Monate unbesetzt bleiben.
Beyer: Das hat zugenommen, denn die Bewerber haben die maximale Auswahl und versuchen, das Optimum für sich herauszuholen. Wir verlassen uns auf eine Zusage und dann macht der Bewerber, weil er glaubt etwas Besseres gefunden zu haben, einen Rückzieher. Ich fange dann wieder bei Null an, weil nicht noch fünf andere Bewerber da sind, mit welchen die Stelle nachbesetzt werden kann. Es ist schon frustrierend. Die Verlässlichkeit der Bewerber ist eine andere geworden.
Schönbach: Es ist ein Imageproblem. Die Ausbildung wird in der Gesellschaft eher mit negativen Schlagworten verbunden: schlechter Verdienst, schlechte Arbeitsbedingungen, emotionale Belastungen. Auf Berufsmessen sagen Eltern zu ihren Kindern, 'da gehen wir lieber weiter, Pflege ist nicht das Richtige für dich, der Verdienst ist schlecht und du musst im Schichtdienst arbeiten'. Wer sich mit dem Tarifvertrag TV-L beziehungsweise der einschlägigen Entgelttabelle einmal näher beschäftigt, stellt fest, dass der Verdienst nicht so gering ist, wie viele glauben.
Beyer: Die Gesellschaft und der Anspruch an die Work-Life-Balance verändern sich. Jeder weiß, dass Arbeitsdichte und Verantwortung in der Pflege hoch sind. Es braucht viel Empathie, eine hohe Fachkompetenz und Expertise. Pflege ist eine Mischung aus Wissenschaft und sozialem Verständnis. Das ist eine große Herausforderung. Dafür ist der Beruf aber umso erfüllender, weil er vielseitig ist. Die Motivation, diesen Beruf zu ergreifen, ist gleichgeblieben. Bewerber möchten Menschen helfen. Manche stellen sich den Beruf jedoch anders vor und fragen sich: Was gebe ich dafür, um meiner Berufung nachzugehen und wo übersteigt es das, was ich mir vorgestellt habe und geben kann?
Beyer: Nach der Ausbildung verdienen Berufseinsteiger 3150 Euro (brutto). Hinzu kommen noch einmal Zulagen in Höhe von circa 300 Euro, zusätzlich Weihnachtsgeld und Sonderzahlungen. Mit einer spezialisierten Fachweiterbildung steigt der Verdienst auf bis zu 4400 Euro (brutto). Wer Leitungsverantwortung hat, verdient entsprechend mehr.
Schönbach: Es ist ein Markt der Bewerber geworden. Sie wissen, dass sie parallel fünf bis sechs Angebote haben können und stellen selbstbewusst ihre Forderung: 'Für das Geld komme ich und wenn sie mir das nicht zahlen, dann gehe ich zur Alternative A, B oder C'. Ob die anderen Einrichtungen das Geld tatsächlich zahlen, können wir nicht nachprüfen. In der Vergangenheit hatten Bewerber natürlich auch ihre finanziellen Vorstellungen, aber heute hat das durchaus eine andere Dimension.
Beyer: In meinen Anfängen im Klinikum Mitte mussten wir in der Pflege Bewerber bitten, sich in drei Monaten noch einmal zu bewerben. Sie konnten ihren Abteilungswunsch äußern und wir haben geschaut, ob wir dem nachkommen können. Heute wissen Bewerber ganz genau, in welche Abteilung sie möchten und wenn sie ihre Gehaltsvorstellungen oder eine Möglichkeit auf Weiterqualifizierung nicht bekommen, dann sagen sie ab. Es gibt garantiert einen Arbeitgeber, der auf ihre Forderungen eingeht.
Schönbach: Es werden immer wieder Summen gefordert, wo das Gehaltsgefüge nicht mehr passt. Wir haben einen Tarifvertrag, da gibt es Rahmenbedingungen und entsprechende Grenzen. Der Tarif ermöglicht eine gewisse Flexibilität, aber das geht nicht ins Unendliche. Diese hohen Gehaltsforderungen kommen durchaus auch von Bewerbern, die frisch aus der Ausbildung kommen und keine 15 bis 20 Jahre Berufserfahrung mitbringen.
Beyer: Wir haben seit 2018 ein Flexi-Team. Rund 50 Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit selbst wählen, sie müssen aber beim Einsatzort flexibel sein und haben kein festes Team um sich. Von den Mitarbeitern auf Station werden sie als helfende Hand gesehen, weil sie Arbeitsspitzen oder Personalausfälle abfangen. Der Vorteil: Die Mitarbeiter der Station müssen seltener einspringen.
Beyer: Alle Mitarbeiter im Flexi-Team arbeiten am Wochenende – oft eines anstatt zwei. Das ist aufgrund des Zuverdienstes attraktiv. Zu einseitig darf es aber nicht werden, wenn das Flexi-Team nur noch Montag bis Freitag arbeiten würde, dann würde die Stimmung kippen.
Schönbach: Früher folgte nach der Ausbildung eine Vollzeitbeschäftigung, aber so ist es schon lange nicht mehr. Berufsanfänger fragen sich, warum sie 39 oder 40 Stunden arbeiten sollen. Ein Phänomen, das in allen Bereichen unseres Unternehmens auftritt. Viele möchten nur noch in Teilzeit arbeiten, um private Verpflichtungen besser händeln zu können. Es werden andere Schwerpunkte gesetzt. Doch was ist die Alternative, dass uns diese Kräfte nicht zur Verfügung stehen?
Beyer: Das ist aber auch abhängig von der Lebenssituation. Der Trend geht dazu, nicht am Wochenende arbeiten zu wollen. Es gibt aber auch diejenigen – zum Beispiel junge Mütter – die das Wochenende bevorzugen, weil dann der Partner die Kinderbetreuung übernehmen kann. Es ist wichtig, ein Gleichgewicht herzustellen, sonst kollabiert das System.
Beyer: Die Ausbildungsstruktur muss sich noch entwickeln, da sind andere Länder weiter. Wir brauchen ein mehrschichtiges System mit unterschiedlicher Dauer und unterschiedlicher Ausbildung von Kompetenzen. Wer seinen vorrangigen Schwerpunkt in der Grundpflege hat, ist zum Beispiel in der einjährigen Pflegefachhelferausbildung richtig. Für zusätzlich höher qualifizierte Tätigkeiten ist die dreijährige Ausbildung das Richtige oder auch das Pflegestudium. Dass in der Schweiz und in Amerika Krankenschwestern hoch angesehen sind, liegt sicherlich auch daran, dass die Ausbildung eine andere ist.
Schönbach: Wenn wir schon kapituliert hätten, dann würden wir nicht mehr hier sitzen und hätten uns schon vor Jahren beruflich anderweitig orientiert. Ich würde immer wieder in den Personalbereich gehen – mit allem, was dazugehört. Es ist der Job, in dem ich mich wohlfühle und den ich sehr gerne ausübe.
Beyer: Krankenschwester ist ein wunderschöner Beruf. Ich bin Krankenschwester und wollte mich weiterqualifizieren, um auch strategisch tätig zu sein. Es ist für mich Voraussetzung, den Beruf gut zu kennen und zu wissen, was vor Ort passiert. Nur so kann ich mitsprechen und die Belange der Pflege vertreten. Nur so gelingt ein gutes Miteinander zum Wohl der Patienten und des Unternehmens.