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Steilpass
Wie der frühere Würzburger Basketballer Marvin Willoughby aus einem Sozialprojekt einen Bundesligisten machte
Er war selbst ein Sozialfall in Hamburg-Wilhelmsburg. Nun hilft er genau dort Jugendlichen einen Weg zu finden. Wie ihm sein Weggefährte Dirk Nowitzki dabei half.
Marvin Willoughby spielte einst mit Dirk Nowitzki in Würzburg und ist mittlerweile Geschäftsführer des Basketball-Bundesligisten Hamburg Towers.
Foto: IMAGO/Eibner-Pressefoto/Marcel von Fehrn | Marvin Willoughby spielte einst mit Dirk Nowitzki in Würzburg und ist mittlerweile Geschäftsführer des Basketball-Bundesligisten Hamburg Towers.
Tim Eisenberger
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:26 Uhr

Marvin Willoughby (45) spielte vor über 20 Jahren in Würzburg Basketball. Mittlerweile ist er Geschäftsführer der Hamburg Towers. Der ehemalige Nationalspieler hat nach seiner Karriere begonnen, sich in seiner Heimat sozial zu engagieren und aus diesem Projekt später einen Bundesligisten geformt. Im Interview berichtet er auch davon, welche Rolle Dirk Nowitzki dabei spielte.

Frage: Wer hat Sie angespielt?

Marvin Willoughby: Kresimir "Kreso" Loncar ich kenne ihn schon von unserer gemeinsamen Zeit, als er mit 17 Jahren von Treviso nach Würzburg verliehen wurde. Damals ist eine Freundschaft entstanden, auch wenn wir uns etwas aus den Augen verloren haben, als er in Russland oder Spanien war. Mittlerweile haben wir wieder sehr viel Kontakt, weil er als Sportdirektor in Würzburg ist und ich ja in ähnlicher Rolle bei den Hamburg Towers. Wir tauschen uns aus über die Bundesliga, Spieler, aber auch über die Familie.

Wie war Ihr Laufweg?

Willoughby: Ich bin in Hamburg aufgewachsen und habe erst mit 14 Jahren angefangen, Basketball zu spielen, aber schon mit 16 Jahren einen Profi-Vertrag unterschrieben in Bayreuth. Sie haben mir damals die Möglichkeit gegeben für ein Jahr an eine amerikanische Highschool zu gehen, um dort Basketball zu spielen. Nach diesem Jahr hat mir eine Privatschule ein Stipendium angeboten. Mit 16 war ich also erstmal zwei Jahre in den USA.

Als 16-Jähriger ist das sicher ein großer Schritt?

Willoughby: Ich wollte es damals unbedingt, weil die Ausbildung dort damals noch viel besser war als in Deutschland. Für mich war das keine große Sache. Ich war total überrascht, dass meine Mutter am Bahnsteig geweint hat, als ich in den Zug zum Flughafen nach Frankfurt stiegt. Ich habe damals nicht verstanden, wieso sie so traurig war. Im Flieger wurde mir dann klar, dass meine Mutter ihren Sohn gerade für ein Jahr ziehen lassen musste und, dass ich gleich in einem Land mit 250 Millionen Menschen bin und ich nicht einen davon kenne. Aber es war das beste Jahr meines Lebens. Mit meiner Gastfamilie bin ich noch heute befreundet.

Wie kamen Sie dann nach Würzburg?

Willoughby: Nach den zwei Jahren in den USA habe ich in Deutschland das Abitur gemacht, weil ich es meiner Mutter versprochen hatte. Ich kannte Dirk Nowitzki von den U-Nationalmannschaften und er hat mich gefragt, ob ich mit ihr zusammenspielen möchte. Ich wusste, dass sie nicht viel zahlen können, aber sie haben mir dort viel Spielzeit zugesichert. Also kam ich nach Würzburg und unterschrieb meinen Vertrag auf dem Rastplatz der A3 am Heuchelhof. 

Auf einem Rastplatz?

Willoughby: Der "Basketball-Professor" Wolfgang Malisch wohnte damals schon am Heuchelhof und er hat den Treffpunkt vorgeschlagen. Also fanden die Vertragsverhandlungen eben dort statt, wobei wir uns sehr schnell einig waren. Meine einzige Forderung war, dass mein Auto einen CD-Player hatte. Das war damals sehr neu, aber ich wollte meine Hamburger Musik, vor allem Samy Deluxe, in Würzburg hören.

Von Würzburg wechselten Sie nach Köln und schließlich nach Italien, wo sie die negativen Seiten des Profi-Basketballs kennenlernten.

Willoughby: Der Verein dort hat mich einfach nicht bezahlt. Das war die "Business-Seite" des Basketball-Geschäfts. Ich wollte zwischendurch gar nicht mehr spielen und war total frustriert. Die Saison habe ich in Frankreich beendet und dann habe ich mich leider verletzt.

Eine Verletzung mit Folgen...

Willoughby: Ich hatte einen Knorpelschaden im Knöchel. Wenn ich weiter als Profi hätte spielen wollen, hätte die Gefahr bestanden, dass mein Fuß versteift werden muss. Ich hatte insgesamt drei Operationen am Gelenk, aber bei jedem Comeback-Versuch tat mir nach einem Training der Fuß weh. Das war das Ende meiner aktiven Zeit auf dem Feld.

Was macht die Karriere neben der Karriere?

Willoughby: Ich war bei meinem Karriereende ja erst 26, hatte mir zum Glück aber genug Geld zur Seite gelegt, dass ich in Hamburg etwas aufbauen konnte. Ich habe angefangen in meinem Heimat-Stadtteil Wilhelmsburg, der ein sozialer Brennpunkt war, Basketball-Camps anzubieten und mit Freunden zusammen Basketball-Angebote für Kinder zu machen.

Aus diesen Camps entwickelte sich dann ein Basketball-Bundesligist.

Willoughby: Ja, vom Sozial-Cup zur Leistungsmannschaft ging es sehr schnell. Mit dem ersten Jahrgang haben wir das JBBL-Team Piraten Hamburg gegründet. Da war damals auch der spätere Nationalspieler Ismet Akpinar dabei. Wir haben dann Strukturen aufgebaut, um den Kids zu helfen, ihr Talent zu maximieren. 

Dafür gab es auch Unterstützung von der Dirk-Nowitzki-Stiftung.

Willoughby: Genau. Dirks Schwester Silke hat damals mit der Stiftungsarbeit begonnen und wusste auch selbst noch gar nicht genau, was sie damit machen möchte. Wir wollten Sportsozialarbeit machen und den Kindern durch Basketball soziale Kompetenzen vermitteln. Das wollten Silke und Dirk zum Glück damals auch. Wir haben den Kindern das erzählt, was ihnen die Lehrer auch erzählen, aber uns haben sie natürlich besser zugehört. Am Anfang kam da wichtige finanzielle Unterstützung. Ohne die Dirk-Nowitzki-Stiftung hätte es die Sozialarbeit, für die wir viele Auszeichnungen bekommen haben, nie gegeben. Nur so konnte ich Trainer und Mitarbeiter bezahlen und schließlich Sponsoren für dieses Projekt gewinnen. 

Ohne die Stiftung gäbe es heute also keinen Bundesliga-Basketball in Hamburg?

Willoughby: Wenn sie uns damals nicht unterstützt hätten, hätte es uns nicht gegeben. Ich möchte nochmal betonen, dass die Stiftung auch nichts mit den Leistungsteams oder dem Profi-Basketball zu tun hatte. Auch die Towers haben wir ja erst sechs Jahre später gegründet, aber die Stiftung hat uns vorher bei den sozialen Projekten geholfen. Mit der Aufmerksamkeit, die wir dafür bekommen haben, konnten wir auch finanziell etwas aufbauen und neue Sponsoren gewinnen.

Woher haben Sie diese soziale Ader?

Willoughby: Weil ich selbst ein Sozialfall war und ohne Geld aufgewachsen bin. Ich habe davon profitiert, dass Menschen mir und meinen Freunden gezeigt haben, dass es nicht egal ist, was mit uns passiert. Es gab Trainer oder Sozialarbeiter, die uns Selbstvertrauen gegeben und uns nicht der Straße überlassen haben. Sie haben uns gezeigt, dass wir es zu etwas bringen können, wenn wir aktiv und engagiert sind. Das will ich so zurückgeben.

Hatten Sie dabei ein Vorbild?

Willougby: Ich hatte eine alleinerziehende Mutter, die den ganzen Tag gearbeitet hat und zwei Kinder hatte, die etwas anders aussahen als der Rest. Sie hat es geschafft, dass wir beide glückliche produktive Mitglieder der Gesellschaft sind. Sie hat mir gezeigt, dass man arbeiten muss und ist der stärkste Mensch, den ich je erleben durfte.

In deiner Jugend hast du viel Rassismus erlebt. Wie beurteilst du

Willoughby: Ich habe genug Situationen erlebt, in denen ich beleidigt oder benachteiligt wurde, weil ich anders aussehe. Aber es kommt auch immer darauf an, wie man es selbst annimmt und damit umgeht. Ich habe sehr, sehr früh gemerkt, dass mich Rassismus nur erreichen kann, wenn ich es zulasse. Wenn mich jemand wegen meines Aussehens nicht respektiert, ist das sein Problem. Der Erfolg im Sport hilft dabei natürlich.

Stört es Sie, dass Sie als Geschäftsführer der Hamburg Towers weit weg sind von einem Job im sozialen Bereich?

Willoughby: Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich sofort wieder eine U 16 oder U 19-Mannschaft trainieren. Aber ich muss dafür den wirtschaftlichen Rahmen schaffen. Mit Erfolg kommen auch Dinge, wie Gespräche mit Agenten, die notwendig sind, auch wenn sie keinen Spaß machen. Wir haben mit den Sponsorengeldern, die wir über die Bundesliga-Mannschaft erwirtschaften, Trainer verpflichtet für die Arbeit an der Basis oder ein Trainingszentrum geschaffen. Natürlich hänge ich in dem Hamsterrad fest, diesen Kreislauf mit der ersten Mannschaft anzutreiben, um nachhaltig diese Arbeit zu machen.

Das bedeutet: Die Bundesliga-Mannschaft ist ein Mittel zum Zweck?

Willoughby: Ja, klingt hart, aber es ist so. Natürlich ist es die Kirsche auf der Torte und ein Leuchtturm.

Eine unangenehme Frage zum Abschluss: Sie haben mal einen Eigenkorb erzielt. Wie erinnern Sie sich daran?

Willoughby: Da schließt sich der Kreis. Es war gegen Bonn, damals noch in der Carl-Diem-Halle. Es gab damals noch nach der Halbzeit Sprungball. Auf dem Video sieht man, wie Kreso Loncar mir noch einen Block stellt, aber in Richtung des eigenen Korbs. Ich habe die Chance genutzt und den Ball hineingelegt, leider halt in den eigenen Korb. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, als ich es gemerkt habe. Wir haben das Spiel auch noch ganz knapp verloren.

Wen spielen Sie an?

Willoughby: Silke Mayer, Dirks Schwester, die ich erst zuletzt gesehen habe, als Dirk Nowitzki in die Hall of Fame aufgenommen wurde.

Das Interview-Format "Steilpass"

In unserem Interview-Format "Steilpass" übernehmen die Interviewten die Regie. Am Ende des Gespräches dürfen sie entscheiden, wer als Nächstes an der Reihe ist, von uns befragt zu werden – sie spielen also den nächsten Protagonisten oder die nächste Protagonistin an.
Quelle: cam

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