Eishockey in Schweinfurt vor 3000 Zuschauern in der – drittklassigen – 2. Liga – was in den 1990er Jahren Realität war, scheint heute unvorstellbar. Die Mighty Dogs des ERV Schweinfurt ziehen in der – viertklassigen – Bayernliga nur noch ein überschaubares Publikum in ihren Bann. Gerald Zettner hat als Spieler die alten Zeiten und mehrere Aufstiege mitgemacht. Der 52-jährige Sportleiter will an die Erfolge von früher anknüpfen und enttäuschte Fans zurückgewinnen. Wie das zu schaffen ist, welche Rolle die Stadt Schweinfurt spielt und ob er ein schlechtes Gewissen wegen des Energieverbrauchs beim Eismachen hat, erzählt der vierfache Vater im Interview.
Gerald Zettner: Unser bisheriger Kapitän bei den Mighty Dogs, Semjon Bär, der seine Karriere auf dem Eis diesen Sommer beendet hat und Co-Trainer der ersten Mannschaft wird. Ich war mitbeteiligt, dass er vor eineinhalb Jahren bei uns als hauptamtlicher Nachwuchstrainer eingestellt wurde. Semmi ist beliebt bei den Kindern und sehr engagiert. Er bringt alle fachlichen und menschlichen Voraussetzungen für diese Aufgabe mit.
Zettner: Ich bin gebürtiger Schweinfurter und habe als Kind jede freie Minute genutzt, um auf der Eisbahn Schlittschuh zu laufen. Dort hat mich jemand angesprochen, ob ich zum Eishockey-Training kommen möchte. Ich habe alle Nachwuchsteams des ERV Schweinfurt durchlaufen und bin mit 17 Jahren in die erste Mannschaft gekommen – zu einer Zeit, als der Verein sehr erfolgreich war. Wir sind in die 2. Liga aufgestiegen. Ich war Außenstürmer und bei den Toren und Punkten immer weit vorne. Ich erinnere mich an eines meiner ersten Spiele, in dem ich gegen Dorfen fünf Treffer erzielt habe. Als der Verein aus finanziellen Gründen freiwillig mehrere Ligen abgestiegen ist, bin ich für ein Jahr nach Haßfurt gegangen, weil ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere weiterhin 2. Liga spielen wollte.
Zettner: Die Anhänger hatten Verständnis und waren genauso über den Abstieg enttäuscht wie die Spieler. Außerdem bin ich dem ERV bis auf diese eine Saison immer treu geblieben und habe nach der Rückkehr meine aktive Karriere mit Anfang 30 in Schweinfurt beendet. Direkt im Anschluss bin ich Funktionär geworden und hatte seitdem fast alle Positionen inne: Vorstandsmitglied, Co-Trainer, Abteilungsleiter, Trainer und Sportlicher Leiter, was meine aktuelle Funktion ist. Aus privaten und beruflichen Gründen hatte ich mich zwischenzeitlich für mehrere Jahre zurückgezogen.
Zettner: Ich bin Geschäftsführer und habe in Schweinfurt ein Unternehmen gegründet, das auf Personalmanagement spezialisiert ist. Wir beraten größere Unternehmen in Sachen Digitalisierung und bieten dafür Software an.
Zettner: Eishockey ist eine Familie. Man kennt so viele Leute. Ich mag die Atmosphäre in der Eishalle und das Miteinander im Verein. Die Sportart zeichnet sich durch ihre Schnelligkeit und Vielseitigkeit aus. Ein Spieler muss mehrere Dinge kombinieren: die Technik auf den Schlittschuhen und mit dem Stock sowie die Spielintelligenz.
Zettner: Im Durchschnitt komme ich auf 20 bis 25 Stunden in der Woche. Die Sommerpause von April bis September ist die arbeitsintensivste Zeit, wenn es um die Kaderplanung für die nächste Saison geht. Ich schaue mich nach neuen Spielern um. Spielervermittler melden sich, andere Spieler bewerben sich selbst. Im Winter gehe ich nicht zu jedem Training, sondern nur zu den Heimspielen. Auswärts kann ich es auch nicht mehr einrichten. Wir fahren im Durchschnitt Strecken von 300 Kilometern. Da schalte ich zu Hause den Livestream ein.
Zettner: Ich bin ein Freund von jungen, ehrgeizigen Talenten. Sie bekommen bei uns die Eiszeiten, die sie in der drittklassigen Oberliga nicht haben, um sich weiterzuentwickeln. Da die Bayernliga die stärkste vierte Liga in Deutschland ist, sind wir ein gutes Sprungbrett. Zu uns kommt keiner, um das große Geld zu verdienen. Das können wir nicht bieten. Wir haben nur zwei Spieler, die ausländischen Kontingentspieler, die vom Eishockey leben können. Dafür müssen sie bei uns in der Nachwuchsabteilung mitarbeiten.
Zettner: Zunächst einmal wollen wir in der Bayernliga wieder in die Play-offs, die wir in den letzten Jahren knapp verpasst haben, im nächsten Schritt dann unter die besten Sechs. Die Oberliga ist nicht unrealistisch, wenn wir aus den eigenen Reihen einen Großteil des Teams stellen können. Aber es dauert, bis die Nachwuchsarbeit Früchte trägt. Ziel ist es, alle zwei Jahre einen Jugendspieler in der ersten Mannschaft zu etablieren und auf Oberliga-Niveau zu bringen. Mit einem Stamm von sieben, acht Einheimischen und gezielten Verstärkungen von außen können wir in der dritten Liga mithalten. Ich bin optimistisch, dass wir das in den nächsten Jahren schaffen.
Zettner: Leider wurde in der Vergangenheit einiges kaputtgemacht. Früher haben wir daheim vor 2000 bis 3000 Zuschauern in einem Freiluftstadion gespielt. Es tut schon weh, wenn heute nur noch 400 in die Halle kommen. Ich würde mir wünschen, dass Eishockey in Schweinfurt wieder an Popularität gewinnt und eine neue Euphorie entsteht – was stark mit dem sportlichen Erfolg zusammenhängt. Nur so können wir neue Fans begeistern und auch die älteren wieder zurückholen. Dann lassen sich auch die Sponsoren mitnehmen, um den Etat zu steigern. Vom Budget sind wir nämlich nicht im oberen Drittel der Bayernliga angesiedelt, was sich an unserem kleinen Kader zeigt. Bei einer Sache hört die Nostalgie jedoch auf: Auf einer Freieisfläche im Nieselregen möchte ich heute nicht mehr spielen. In der Halle ist man einfach wetterunabhängig.
Zettner: Auch wenn der Icedome an manchen Stellen in die Jahre gekommen ist, haben wir dort gute Bedingungen. Selbst letztes Jahr in der Energiekrise gab es Mitte September noch rechtzeitig Eis für den Trainings- und Spielbetrieb. Das war in anderen Stadien nicht der Fall, denn die Eisaufbereitung benötigt viel Energie.
Zettner: Wir müssen unseren Teil zum Energiesparen beitragen und haben Verständnis, wenn die Eismaschine zwei Wochen später als sonst eingeschaltet wird. Es gibt mittlerweile Kälteanlagen, die weit weniger Strom verbrauchen als die jahrzehntealte Einrichtung in Schweinfurt. Doch dafür können wir Eishockeyspieler nichts. Die Modernisierung ist Sache der Stadt als Eigentümerin der Halle. Mit der Energie, die ein Flutlichtspiel im Fußballstadion verbraucht, können wir wahrscheinlich zwei Wochen Eis machen. Ein schlechtes Gewissen habe ich jedenfalls nicht.
Zettner: Ich gebe ab zu Cedric Anton aus Poppenhausen, der seit einigen Jahren in den USA lebt und am College mit einem Stipendium erfolgreich American Football spielt – mit dem Ziel, in die Profiliga NFL zu kommen. Er ist ein Freund meines ältesten Sohnes und hat einen interessanten Werdegang, da er in Schweinfurt mit Football angefangen hat.
Das Interview-Format "Steilpass"
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