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Steilpass
"Mit 1,90 Metern wäre ich Bundesligaprofi" – Warum Schweinfurts neuer Torwart Lukas Wenzel fast ein Jahr auf dem Campingplatz lebte
Der 1. FC Nürnberg hielt ihn für zu klein. Beim TSV Aubstadt fehlte trotz drei parierter Elfmeter gegen 1860 München das Vertrauen. Nun wechselt der 24-Jährige zum FC 05.
Jubelszenen nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen 1860 München. Lukas Wenzel (rechts) war der Held des Toto-Pokal-Halbfinals im März 2022.
Foto: Michael Hilpert | Jubelszenen nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen 1860 München. Lukas Wenzel (rechts) war der Held des Toto-Pokal-Halbfinals im März 2022.
Michael Kämmerer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:16 Uhr

Lukas Wenzel weiß, wie es sich anfühlt, auf zehn Quadratmetern zu hausen. Die prägendste Zeit seines Lebens verbrachte der Torhüter des TSV Aubstadt und künftig des FC Schweinfurt 05 in einem Wohnmobil. Heute hat sich der 24-Jährige mit seiner Freundin und zwei Hunden in Bastheim eingerichtet. Im Interview spricht er über fehlende Zentimeter zwischen Pfosten und Latte, seine Jugend auf dem Campingplatz und darüber, warum er nie betrunken war.

Frage: Wer hat Sie angespielt?

Lukas Wenzel: Ein Torwartkollege, dessen Spielweise mir gefällt, weil wir uns ähnlich sind: Jan Reichert vom 1. FC Nürnberg. Wenn wir uns nicht gerade bei Regionalliga-Spielen auf dem Platz begegnen, haben wir über Instagram Kontakt und gratulieren uns zu guten Leistungen.

Wie war Ihr Laufweg?

Wenzel: Bei den Bambini des TSV Steinach hat es angefangen. Schon beim ersten Training stand ich im Tor, weil ich lauffaul war. Die Position ist bei uns Tradition: Mein Vater und mein Bruder waren auch Torhüter. Durch Probetrainings und Sichtungsturniere sind größere Vereine auf mich aufmerksam geworden, erst der TSV Großbardorf, dann Rot-Weiß Erfurt. Mit zwölf Jahren habe ich viermal wöchentlich trainiert. Das war Jugendfußball unter Profibedingungen. Mir wurde klar, es wird ernst. Der Traum konnte beginnen. Wenig später hat sich der 1. FC Nürnberg gemeldet, für den ich sechseinhalb Jahre bis zum Ende der Juniorenzeit gespielt habe.

Was mussten Sie für Ihren Traum investieren?

Wenzel: Der Aufwand war extrem hoch, nicht nur wegen des täglichen Trainings. Ohne meine Eltern, vor allem meine Mutter, wäre das nicht möglich gewesen. Sie hat mich drei Jahre lang von Bad Bocklet erst nach Erfurt, dann nach Nürnberg gefahren, fünfmal und 1500 Kilometer pro Woche. Eine weitere Saison zu pendeln, wäre finanziell nicht möglich gewesen. Also haben wir uns ein älteres Wohnmobil gekauft und sind auf den Campingplatz neben dem Max-Morlock-Stadion gezogen.

Ernsthaft?

Wenzel: Elf Monate habe ich dort mit meiner Mutter, die extra ihren Job gekündigt hat, auf zehn Quadratmetern gelebt. Als 15-Jähriger habe ich nie darüber gesprochen, weil ich mich geschämt habe. Meine Kumpels habe ich nie auf den Campingplatz mitgenommen. Das war die prägendste Zeit meines Lebens. Als der damalige Trainer der Profis, Valérien Ismaël, von unserem Wohnmobil erfahren hat, habe ich einen Platz im Internat des Vereins bekommen.

Hat sich der Aufwand gelohnt?

Wenzel: Definitiv, allein wegen der sportlichen Ausbildung, die mir für meine berufliche Zukunft als Torwarttrainer nützt. Ich habe in der Junioren-Bundesliga gespielt und mir ein Netzwerk aufgebaut. Man muss aber auch sehen, dass ich die Anstrengungen und Entbehrungen auf mich genommen habe, um in die erste oder zweite Liga zu kommen. Dafür hat es nicht gereicht. Die dritte Liga oder die Regionalliga bei einem Top-Klub unter Profibedingungen habe ich noch nicht abgeschrieben.

Welche Entbehrungen meinen Sie?

Wenzel: Meine Freunde gingen ins Freibad, auf Partys oder ins Kino. Das konnte ich nicht. Ich hatte keine Freizeit, war immer anständig und nie betrunken. Ich habe nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Profi werden heißt verzichten lernen.

Warum haben Sie es nicht in die Bundesliga geschafft?

Wenzel: Als ich Jugendspieler in Nürnberg war, hat mir der Cheftrainer Michael Köllner gesagt, ich sei für einen Profivertrag fünf Zentimeter zu klein. Mit 18 Jahren habe ich das als Schlag ins Gesicht empfunden. Ich hatte sogar homöopathische Mittel eingenommen, um zu wachsen. Allein wegen der Körpergröße von 1,80 Metern ist mein Traum geplatzt.

Finden Sie nicht, dass es für einen Torhüter auf die Größe ankommt?

Wenzel: Es gibt genügend Torhüter, die nicht besonders groß sind, aber auf hohem Niveau spielen, zum Beispiel Yann Sommer. Im modernen Torwartspiel geht es um mehr, als nur Bälle abzuwehren. Als elfter Feldspieler musst du mitspielen können. Kleinere Torhüter haben den Vorteil, schneller am Boden zu sein. Leider ist ein Keeper ohne Gardemaß unabhängig von der Leistung weg vom Fenster. Ich bin mir sicher: Mit 1,90 Metern wäre ich Bundesligaprofi.

Ihre Karriere haben Sie trotzdem fortgesetzt.

Wenzel: Nach der Jugend bin ich zu Lok Leipzig in die Regionalliga Nordost gewechselt. Die zwei Jahre als Vollprofi waren meine schönste Station. Jedes Heimspiel hatten wir zwischen 3000 und 5000 Zuschauern. Auswärts gegen Chemnitz waren es sogar 10.000. Als ich in Leipzig keinen Stammplatz mehr hatte, bin ich den Schritt zurück in die Heimat gegangen, zum TSV Aubstadt, um wieder Spielpraxis zu sammeln. Ich gehe nicht viermal in der Woche zum Training, um mich auf die Bank zu setzen.

Seit der Winterpause ist das in Aubstadt wieder ihr Schicksal.

Wenzel: Deswegen habe ich für die neue Saison beim FC Schweinfurt 05 unterschrieben. In drei Jahren hatte ich nie das Vertrauen der Aubstädter Verantwortlichen, obwohl ich zum Erfolg beigetragen habe, insbesondere mit den drei gehaltenen Elfmetern im Pokalspiel gegen 1860 München. Jede Saison wurde mir ein Konkurrent vor die Nase gesetzt und ich musste meinen Stammplatz immer wieder erobern.

Was macht die Karriere neben der Karriere?

Wenzel: Ich schließe gerade meine Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen ab. In Leipzig und Nürnberg, wo ich in einer Sportförderklasse die Mittlere Reife gemacht habe, blieb dafür keine Zeit. In Verbindung mit der Laufbahn als Fußballer liegt der Fokus künftig auf meiner neu eröffneten Torwartschule. Als Vermögensberater arbeite ich dann nur noch nebenbei.

Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Torwartschule?

Wenzel: Talentierte, ambitionierte Torhüter werden in den Vereinen nur mäßig gefördert. In Schweinfurt, Garitz und Bastheim will ich deshalb täglich in Kleingruppen ein 90-minütiges Torwarttraining anbieten – von der Jugend bis zu den Erwachsenen. Die Nachfrage in der Region ist enorm.

Wen spielen Sie an?

Wenzel: Der Steilpass geht nach Oberfranken zu Lucas Zahaczewski, der beim Drittligisten SpVgg Bayreuth unter Vertrag steht. Er kommt ursprünglich aus Oberthulba und wurde als Torwart bei der SpVgg Greuther Fürth ausgebildet. In den Jugendderbys zwischen dem Club und dem Kleeblatt sind wir aufeinandergetroffen.

Das Interview-Format "Steilpass"

In unserem Interview-Format "Steilpass" übernehmen die Interviewten die Regie. Am Ende des Gespräches dürfen sie entscheiden, wer als Nächstes an der Reihe ist, von uns befragt zu werden – sie spielen also den nächsten Protagonisten oder die nächste Protagonistin an.
Quelle: cam

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