Der Kapitän geht von Bord: Semjon Bär beendet seine Laufbahn als Eishockeyspieler der Mighty Dogs Schweinfurt. Der Publikumsliebling steht in Zukunft als Co-Trainer des viertklassigen Bayernligisten hinter der Bande. Was ihn zu diesem Schritt bewogen hat, wie viele Zähne er schon auf dem Eis verloren hat und wie lange er braucht, um seine Schutzausrüstung anzuziehen, verrät der 32-Jährige im Steilpass-Interview.
Semjon Bär: Mein Fußballtrainer bei der SG Dittelbrunn, Vladimir Slintchenko. Vor eineinhalb Jahren bin ich dort gelandet, nachdem ich öfters bei den Spielen zugeschaut und mit den Jungs hinterher ein Bier getrunken hatte. Vladi hat mich als Neuling sehr warmherzig in der Mannschaft aufgenommen. Ich habe gleich gemerkt: cooler Typ. So ist er auch mein Freund geworden.
Bär: Eishockey ist mein Beruf, Fußball meine Leidenschaft. Zuvor habe ich nicht im Verein gespielt. Dafür fehlte die Zeit. Ich war zehn Jahre Eishockeyprofi in der zweiten und dritten Liga mit zwei Trainingseinheiten am Tag und zwei Spielen in der Woche. Das Vereinsleben in Dittelbrunn, wo ich auch wohne, genieße ich jetzt umso sehr. Allerdings kann ich nur zum Fußball, wenn die Eishockey-Saison beendet ist, weil wir mit den Mighty Dogs freitags und sonntags spielen.
Bär: Es kommt nicht vor, dass ich die Sportarten verwechsle. Ich weiß meinen Körper einzusetzen, aber bin kein Raubein, das sich Fouls leistet. Obwohl ich Verteidiger bin, habe ich noch nie eine Karte gesehen. Ich komme über die Schnelligkeit und Technik und bin ein Taktikfreak.
Bär: Ich komme ursprünglich aus Bremerhaven. Auch wenn dort jeder Fan von Werder Bremen ist, ist Eishockey die Sportart Nummer eins. Ich habe mit 13 Jahren sehr spät angefangen, in Bremerhaven nahezu den kompletten Nachwuchs durchlaufen und anschließend einen Profivertrag für die zweite Liga bekommen. Leider habe ich nur wenig gespielt. Mit 1,73 Metern fehlt mir die Größe. Daher bin ich mit Anfang 20 in die dritte Liga gewechselt, erst nach Nordhorn, dann nach Hamburg. 2018 kam ich nach Bad Kissingen in die vierte Liga, wo der Verein nach eineinhalb Jahren plötzlich den Spielbetrieb eingestellt hat.
Bär: Eigentlich wollte ich die Karriere beenden und zurück nach Bremerhaven. Aber es kam ein vernünftiges Angebot aus Schweinfurt, verbunden mit einem neuen Job. Mittlerweile bin ich hier verwurzelt und habe beim ERV Schweinfurt einen unbefristeten Vertrag. Die Wertschätzung, die ich erhalte, ist groß. Doch nach 15 Jahren im Herren-Eishockey und einer Reihe von Verletzungen tut mir nach jedem Spiel alles weh. Als Spieler gehe ich deshalb vom Eis und werde zur neuen Saison Co-Trainer von Andreas Kleider. Nur noch bei zahlreichen Ausfällen stehe ich im Notfall als Spieler zur Verfügung.
Bär: Bis vor fünf, sechs Jahren bin ich eigentlich glimpflich davongekommen. Mittlerweile habe ich von oben bis unten so gut wie alles durch: Gehirnerschütterung, Schlüsselbeinbruch, zwei Rippenbrüche, Muskelriss in der Leiste, Knochenabsplitterung im Knie mit Flüssigkeitsansammlung, Syndesmosebandriss, Mittelfußbruch, Adduktoren, Schleimbeutel. Das müsste es gewesen sein. Die Schutzausrüstung hilft zwar, die Tacklings abzufedern, aber es ist kein Panzeranzug, der dich in Watte packt. Die Bodychecks tun schon richtig weh.
Bär: Ich bin ein gemütlicher Typ, ziehe mich entspannt an und nehme mir 20 Minuten Zeit. Jeder hat sein eigenes Ritual: Der eine macht es in fünf Minuten, der andere in 25. Die Bekleidung ist umfangreich: Schwitzanzug, Genitalschutz, Strapsengurt, Stutzen, Hose, Schlittschuhe, Schienbeinschoner, Brustpanzer, Ellbogenschoner, Trikot, Helm mit Visier, Handschuhe und Schläger gehören zur Ausstattung. Auf den Mundschutz verzichte ich, weil ich sonst schlecht Luft bekomme, sich der Speichel im Mund verteilt und ich nicht reden kann. In meiner Position als Center muss ich das aber. Der Mundschutz ist auch keine Pflicht.
Bär: Beide mittleren Schneidezähne und ein seitlicher sind aus Keramik. Zum Glück zahlt den Zahnersatz die Berufsgenossenschaft. Sonst hätte mich das viel Geld gekostet. Natürlich ist es kein angenehmes Gefühl, wenn dir mit dem Puck die Zähne aus dem Mund geschossen werden. Wenn es der Mannschaftsarzt erlaubt, spielt man mit Zahnlücke weiter und geht danach erst ins Krankenhaus.
Bär: Definitiv. Auf dem Eis bleibt niemand liegen, der nicht gravierend verletzt ist. Wer dagegen auf dem Rasen am Knöchel getroffen wird, krümmt sich eine Minute lang. Beim Eishockey hat dich der Gegner für solche Aktionen gleich auf dem Kieker. Das traut man sich kein zweites Mal. Die Fußballer sollten weniger schauspielern.
Bär: Im Spiel ist einfach mehr erlaubt. Daher geht es gröber zu. Lässt der Schiedsrichter viel durchgehen, nutzen das die Spieler mit versteckten Fouls und Trashtalk aus. So schaukelt sich das hoch und gipfelt in einer Prügelei, die allerdings nicht zu Verletzungen führt.
Bär: Seit April 2022 bin ich in Vollzeit hauptamtlicher Trainer und Koordinator für den Nachwuchs beim ERV Schweinfurt, nachdem ich eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann absolviert habe. Dem Verein ist viel an der Jugendarbeit gelegen, um sich in der Bayernliga eine solche Stelle zu leisten. Ich bin verantwortlich für die U7, U9, U11 und U20. Mein Hauptaugenmerk liegt auf den unteren Altersklassen, damit eine gute Grundausbildung stattfindet. Wenn ich nicht auf dem Eis bin, kümmere ich mich um die ganze Organisation und Verwaltung.
Bär: Bei uns läuft es richtig gut. Wir hatten letztes Jahr über 60 Neuanmeldungen. Die U13 und U15 sind Meister geworden. Die U11 spielt in der höchsten Spielklasse. Und in der Laufschule, wo wir die Grundlagen des Schlittschuhlaufens vermitteln, haben wir 40 Kinder. Es gibt zum Glück keine Nachwuchssorgen. Das Problem ist, dass uns die guten Spieler mit 15 Jahren verlassen, um in ein Sportinternat zu wechseln, und unsere erste Mannschaft nicht von der Ausbildung profitiert. Das soll sich in den nächsten Jahren ändern, damit wir für die Bayernliga keine Spieler mehr einkaufen müssen. Mein Wunsch ist es, dass der Nachwuchs von auswärts zu uns kommt. Dafür müssen unsere Jugendteams aber noch erfolgreicher werden.
Bär: Das glaube ich nicht. Unserem Sport fehlt die große Präsenz in den Medien, vor allem im Fernsehen, das sich auf die Großereignisse beschränkt. Vielmehr sind es der gute Ruf unserer Nachwuchsabteilung und die Mundpropaganda, die einen Anfänger zu uns locken. Viele Eltern sind positiv überrascht, wie strukturiert bei uns alles organisiert ist im Vergleich zu anderen Sportarten.
Bär: Der Puck fliegt zu Gerald Zettner, den Sportleiter der Mighty Dogs, der selbst lange in Schweinfurt aktiv war. Er kennt den Sport aus beiden Perspektiven – als Spieler und Funktionär. Im professionellen Eishockey halten sich leider nicht immer alle an das, was versprochen wurde oder vertraglich vereinbart ist. Bei Gerald und den Mighty Dogs ist das anders. Viele Funktionäre können sich von ihm eine Scheibe abschneiden.
Das Interview-Format "Steilpass"
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