Markus Söder will auch in den nächsten fünf Jahre als Ministerpräsident in Bayern regieren. Ob als CSU-Generalsekretär, Finanzminister oder als Regierungschef: Seit gut 20 Jahren prägt der Nürnberger die bayerische Politik. In drei Folgen wirft unser Landtagskorrespondent Henry Stern einen persönlichen Blick auf einen wandlungsfähigen Spitzenpolitiker, der polarisiert, aber immer wieder auch überraschen kann. Teil 3: Söder als Ministerpräsident - vom Kruzifix-Verteidiger zum Corona-Schattenkanzler.
Endlich Landesvater: Vom Kruzifix-Verteidiger zu einer "politischen Nahtod-Erfahrung"
In der Migrationsdebatte 2017 hatte sich Markus Söder als politischer Scharfmacher positioniert. Auf sein neues Amt als bayerischer Ministerpräsident bereitete sich der CSU-Politiker Anfang 2018 jedoch mit demonstrativer Demut und Milde vor. Eine seiner ersten politischen Ankündigungen: Er will die Amtszeit des Regierungschefs in Bayern auf zehn Jahre beschränken.
Schon immer hat sich Söder seinem Amt entschlossen angepasst: erst "Fallbeil" als CSU-General, als Umweltminister dann Sonnenblumen-Streichler, als Finanzminister der entschlossenste Hüter der "schwarzen Null". Jetzt erfindet er sich als "Landesvater" für alle Menschen neu.
Die Messlatte liegt hoch: Söder soll bei der Wahl 2018 die absolute Mehrheit verteidigen
Doch wofür will Söder als Regierungschef stehen? Er hat nur ein halbes Jahr bis zur Landtagswahl und die Messlatte liegt hoch. Für die CSU soll er die von Horst Seehofer 2013 zurückeroberte absolute Mehrheit verteidigen.
Bereits vor seiner Wahl zum Regierungschef im März 2018 kassiert Söder die vor allem in Unterfranken heftig umstrittenen Seehofer-Pläne für einen dritten Nationalpark in Bayern ein. In einer Regierungserklärung im April 2018 schüttet er dann ein Füllhorn an Wohltaten aus. Das Credo: "Machen und Kümmern". Familiengeld, Betreuungsgeld und Pflegegeld verspricht Söder, dazu 500.000 neue Wohnungen, billigen ÖPNV für alle, sogar Mundart-Unterricht in den Schulen. Und für die Polizei neue Pferde als "bayerische Kavallerie".
Söders Programm: Mit "Bavaria One" ins Weltall
Auch als Ministerpräsident will der Franke nicht auf griffige Wortakrobatik verzichten: Er kündigt nicht nur den Ausbau der Luft- und Raumfahrtforschung an, sondern verspricht gleich ein komplettes bayerisches Raumfahrtprogramm. "Bavaria One" - das klingt nach Satire-Sendung im Spaß-Fernsehen, auf den Spott muss Söder nicht lange warten.
Allen teuren Versprechen und unzähligen Wahlkampf-Terminen zum Trotz kommt die CSU in Umfragen jedoch nicht in die Nähe der ersehnten Alleinregierung. Derart unter Druck, will der Parteichef deshalb mit einem gezielten Rechtsruck enttäuschte Wähler von der AfD zurückholen. Was folgt ist ein fataler Strategieschwenk, der Söder im Sommer 2018 nah an den politischen Abgrund bringt. Er selbst wird später von einer "politischen Nahtoderfahrung" sprechen.
Zuerst kommt aber der "Kreuz-Erlass": In jeder Behörde soll künftig ein Kreuz hängen – als "kulturelles Symbol" für Bayern. Scharfe Kritik daran kommt selbst aus den Kirchen, die christliche Symbole nicht politisch vereinnahmt sehen wollen.
In der Migrationsdebatte schimpft Söder dann über "Asyltourismus" - und steht im Streit mit der Merkel-CDU ausgerechnet an der Seite von Bundesinnenminister Seehofer, der härtere Asylregeln gar zur "Glaubwürdigkeitsfrage der CSU" erklärt – am Ende aber einlenken muss.
Weil die Wahlkampf-Strategie scheitert, wendet Söder kurz vor der Wahl um 180 Grad
Söders Strategie geht nicht auf, von der AfD kommen kaum Wähler zurück. Und in der Mitte verliert die CSU bei den Menschen deutlich, die Söders Flirt mit Rechtsaußen und der Streit mit der Kanzlerin verstört.
Söder spürt die Stimmung – und wendet um 180 Grad: Er entschuldigt sich für das Wort "Asyltourismus", attackiert die AfD frontal. Am Ende kommt die CSU auf 37,2 Prozent. Kein echter Erfolg - aber genug, um Söders Macht zu sichern.
Erste Amtszeit als Ministerpräsident: Bäume umarmen und Corona als Bewährungsprobe
Ein Bild aus Söders erster Amtszeit als Ministerpräsident wird in Erinnerung bleiben: Der Regierungschef im Sommer 2019 im Garten der Staatskanzlei in zärtlicher Umarmung mit einem Baum.
Nach dem Schockerlebnis im Landtagswahlkampf schaltet Söder wieder in den Landesvater-Modus zurück. "Stil und Anstand im Parlament sind wichtig", wirbt er in seiner ersten Rede im Landtag. Und: "Keiner hat die Wahrheit gepachtet." Nicht nur in den Bänken der Opposition trauen manche Abgeordnete ihren Ohren nicht.
Als zentrales Thema entdeckt der Ministerpräsident den Umwelt- und Klimaschutz. Viele Beobachter sind erstaunt über Söders "Grünfärbung". Richtig ist allerdings, dass er früher als andere für die CSU das Umweltthema besetzt hat. Söder war schon früh gegen Gentechnik oder den Donau-Ausbau. 2011 soll er als Umweltminister gar mit Rücktritt gedroht haben, hätte sich die CSU/FDP-Koalition nicht auf einen Atomausstieg bis 2022 festgelegt.
Söders "Grünfärbung": Echte Überzeugung oder politisches Kalkül?
Der Öko-Schwenk 2019 hat wohl mit der Erkenntnis zu tun, dass Umwelt- und Klimathemen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen waren. "Wenn Bayern sich verändert, muss sich auch die CSU verändern", erklärt Söder immer wieder.
Ein deutliches Zeichen dieser Veränderung: das Bienen-Volksbegehren im Februar 2019. In allen bayerischen Landkreisen stimmen mehr als die erforderlichen zehn Prozent für mehr Arten- und Naturschutz – insgesamt liegt die Zustimmung bei 18,3 Prozent.
Söder wäre nicht Söder, würde er diese vermeintliche Niederlage nicht in einen Sieg umwandeln wollen: Ein "Runder Tisch" diskutiert die Umsetzung, Söder setzt auf die Forderungen der Naturschützer noch Geld und eigene Ankündigungen obendrauf – und erklärt alles vollmundig zum eigenen "Volksbegehren plus".
Kritik an Söders Klimapolitik: Am Anfang große Ziele, aber am Ende nur kleine Taten?
Auch danach vergeht kaum ein Tag ohne neue Söder-Schlagzeile zum Klimaschutz: Millionen neue Bäume pflanzen, Kohleausstieg vorziehen, Windräder im Staatswald, Bahnfahren billiger machen, Plastiktüten verbieten. Von "Öko-Blendraketen" ist in einem Main-Post-Kommentar die Rede – und in der Tat ist die Bilanz von Söders Klimapolitik ausbaufähig: Sein ersten Klimagesetz muss er mangels konkreter Ziele schon nach wenigen Monaten ersetzen. Ehrgeizige Ziele vom Moorschutz bis zur CO2-Reduktion bleiben unerreicht. Von der Opposition muss sich Söder die Kritik gefallen lassen, bei ihm folgten großen Zielen meist nur kleine Taten.
In der CSU stößt die grüne Färbung des Parteivorsitzenden aus anderen Gründen auf große Skepsis. Manche fürchten gar, Söder entkerne damit die Partei und gefährde ihre Verankerung auf dem Land. Nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 intern massiv unter Druck, steuert Söder deshalb erneut um: Die Grünen sind jetzt wieder der politische Hauptgegner.
Zur politischen Bewährungsprobe für den Ministerpräsidenten wird die Corona-Krise ab März 2020: Vor allem in den ersten Monaten ertappen sich auch viele Söder-Skeptiker nicht nur in Bayern dabei, wie sie bei sich selbst plötzlich Bewunderung und Vertrauen in den einstigen Haudrauf entdecken.
Zu Beginn der Corona-Krise ertappen sich auch Söder-Skeptiker beim Söder-Vertrauen
Denn in der Corona-Krise treten Söders Stärken deutlich ins Licht: Er erkennt wie kaum ein anderer Politiker schnell und präzise das Problem, fasst es in griffige und verständliche Aussagen und handelt flexibel und schnell.
In den ersten Monaten der Pandemie schießen Söders Popularitätswerte bundesweit durch die Decke. Wie es der Zufall will, ist Söder gerade Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz und erklärt deshalb in ungezählten Pressekonferenzen neben der Kanzlerin alle bundesweiten Corona-Beschlüsse.
Auch in Bayern läuft in der Corona-Krise längst nicht alles rund. Der CSU-Chef wird später selbst einräumen, dass das Durchsetzen des Lockdowns deutlich einfacher gewesen sei, als den komplizierten Prozess der Lockerungen zu moderieren. Bei aller Kritik im Detail: Am Ende kann Markus Söder bei Corona seine Krisenfestigkeit beweisen.
Der alte Söder kommt dagegen schon 2021 beim Kampf um die Kanzlerkandidatur der Union wieder zum Vorschein. Das Problem ist nicht, dass Söder seinen Hut in den Ring wirft – sondern dass er sich nach der Niederlage gegen Armin Laschet als schlechter Verlierer zeigt. Und keinen Hehl daraus macht, dass er den CDU-Mann für den falschen Kandidaten hält.
Die Wahrheit liegt in der Wahlurne: Markus Söder und die Landtagswahl 2023
Corona und die Kanzlerfrage – allein diese beiden Themen zeigen die Vielschichtigkeit des Politikers Markus Söder. Fixe Auffassungsgabe, klare Kommunikation und schnelles Handeln stehen auf der Haben-Seite. Söder lässt sich auch von Widerständen nicht beirren und hat sich mit großer Beharrlichkeit ein Netzwerk aufgebaut, dass ihn politisch trägt.
Söder kann charmant sein. Er hat über die Jahre gelernt, dass es ihn sympathischer macht, wenn er sich auch mal selbst auf den Arm nimmt. Er kann aber auch schroff sein und Gesprächspartner eiskalt abperlen lassen, wenn er genervt ist. Nur wenige Spitzenpolitiker können wie Söder ein komplexes Problem sofort auf den Kern reduzieren und in griffige Schlagzeilen packen. Großen Zielen folgt bei ihm allerdings nicht selten wenig Durchhaltevermögen bei der kleinteiligen Umsetzung – und eine recht große inhaltliche Flexibilität, wenn sich in der öffentlichen Meinung der Wind dreht.
Söders Anpassungsfähigkeit an Amt und Zeitgeist kann man positiv sehen - oder als rückgratlos kritisieren. Und manchmal kommt man in der Politik auch ohne eigenes Zutun in Bedrängnis – wie Söder im Landtagswahlkampf 2023 mit Hubert Aiwangers Flugblatt-Affäre.
"Die Wahrheit liegt in der Wahlurne", sagte einst Horst Seehofer. Diese Wahrheit ist für Markus Söder am 8. Oktober 2023 bitter: Er bleibt mit der CSU unter dem Wahlergebnis von 2018. Die Verluste erklärt er mit der Migrationskrise und der Aiwanger-Affäre – zwei "Sondereffekten", die ihm nicht anzulasten seien.
Geht Söder angeschlagen in seine zweite Amtszeit als Ministerpräsident? Die Koalition mit den Freien Wählern ist durch sein angespanntes Verhältnis zu Hubert Aiwanger jedenfalls belastet. Und schon 2024 steht mit der Europawahl ein neuer Härtetest für Söder an. Wahrscheinlich wird er sich wieder einmal politisch neu erfinden müssen.
Im ersten Teil geht es um Söders Imagewandel vom knallharten CSU-Generalsekretär unter Stoiber zum mitfühlenden Umweltminister: Vom Provokateur zum Lebensminister
Lesen Sie im zweiten Teil unserer Serie, wie sich Söder gegen viele interne Widerstände durchsetzt: Söder und Seehofer - Machtkampf mit "Schmutzeleien"
Söder muss also die FW stellen, wo immer sie kann. Das wird schwierig. Zu oft ist Söder mit seiner Bierzeltpolemik über das Stöckchen der freien Wähler gesprungen.
Es wird also Streit im Kabinett geben. Es wird um Macht gehen. Da wird keine Rücksicht daraufgenommen, ob Bayern vor die Hunde geht.
Ich sag mal so:“Söder hat fertig“ Zulange hat er dem Rechtspopulisten von Aiwanger tatenlos zugesehen und in vielen Fällen auch unterstützt.