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München
Aiwanger bleibt im Amt – und die Harmonie ist dahin
Dem Freistaat Bayern steht der vielleicht härteste Landtagswahlkampf seiner jüngeren Geschichte bevor. Vor allem für die CSU stellt sich die Frage, ob sie sich nach der Flugblatt-Affäre aus der Zwickmühle befreien kann.
Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:38 Uhr

Noch vor etwas mehr als einer Woche war damit zu rechnen, dass Bayern vor dem langweiligsten Landtagswahlkampf seit Jahrzehnten steht. Jetzt kommt es im Freistaat zum vielleicht härtesten Wahlkampf seiner jüngeren Geschichte. Die bürgerlich-konservative Wählerschaft von der politischen Mitte bis weit nach rechts, die sich zuletzt ganz zufrieden zeigte mit der Koalition aus CSU und Freien Wählern, steht nach der Flugblatt-Affäre vor der Gretchenfrage: Wie hält’s du es mit Hubert Aiwanger und Markus Söder?

Dass die Harmonie zwischen dem Ministerpräsidenten und seinem Stellvertreter dahin ist, demonstrierten die beiden Herren an diesem Sonntagvormittag auf eindrucksvolle Weise. Während Söder im Prinz-Carl-Palais in München von Aiwanger „Reue und Demut“ fordert, haut der Chef der Freien Wähler im Bierzelt in Grasbrunn bei München schon wieder mächtig auf den Putz. Er sieht seine Partei durch die Affäre, die aus seiner Sicht eine „Schmutzkampagne“ war, sogar „gestärkt“. Seine Mitstreiter gehen noch weiter. „Wer jetzt weiter auf Hubert eintritt, verstärkt die gewaltige Welle der Solidarisierung, die seit Tagen durch Bayern schwappt“, twittert der schwäbische FW-Abgeordnete Fabian Mehring.

Grüne, SPD und FDP wollen die Causa Aiwanger nicht auf sich beruhen lassen

Grüne, SPD und FDP haben schon klar gemacht, dass sie die Angelegenheit mit dem antisemitischen Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit nicht auf sich beruhen lassen wollen. Sie halten Aiwangers Stellungnahmen in der Affäre für nicht ausreichend, zweifeln an seiner demokratischen Gesinnung und nehmen, nachdem Söder seinen Vize als Wirtschaftsminister nicht entlassen will, nun auch den CSU-Chef ins Visier. „Taktik geht bei Markus Söder vor Haltung“, erklärt Grünen–Fraktionschef Ludwig Hartmann. „Diese Koalition steht für alles außer Bürgerlichkeit und Anstand.“

„Die Entschuldigungen von Herrn Aiwanger sind zu spät, zu unvollständig und auch zu uneinsichtig“, sagt SPD-Landeschef Florian von Brunn. So jemand wie Aiwanger sei „kein Stellvertreter, sondern eine Schande Bayerns.“ Mit Söders Entscheidung sei nun klar, „dass die CSU unter Markus Söder nicht nur rechts blinkt, sondern auch nach rechts winkt.“

Hat Aiwanger jetzt einen Freifahrtschein?

Und auch für FDP-Landeschef Martin Hagen ist der CSU-Chef und Ministerpräsident zu einem Teil der Affäre um Aiwanger geworden. „Markus Söder fehlt offenbar die Kraft für eine klare Entscheidung“, sagt Hagen und folgert: „Alles, was Aiwanger künftig sagt und tut, wird nun auf Söder zurückfallen. Ich bin gespannt, wie sehr Hubert Aiwanger diesen Freifahrtschein ausreizen wird.“

Die Spitzen der Opposition in Bayern also spekulieren erkennbar darauf, im Wahlkampf jene potenziellen CSU-Anhänger anzusprechen, die kein Verständnis für Söders Entscheidung haben, Aiwanger im Ministeramt zu lassen. Gleichzeitig muss die CSU befürchten, Wählerinnen und Wähler an die Freien zu verlieren, die der Überzeugung sind, dass Aiwanger in der Affäre auch von Söder zu hart angefasst worden sei.

Wie die CSU sich aus dieser Zwickmühle befreien will, zeigt die Stellungnahme von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer. Er stellt sich hinter Söder. „Die Entscheidung war richtig und gut abgewogen, da es in der Flugblatt-Affäre, unabhängig davon, dass sie 35 Jahre zurückliegt, keine objektiven Beweise gibt, dass Staatsminister Aiwanger das Flugblatt erstellt oder verteilt hat“, erklärt Kreuzer, benennt aber Aiwanger zugleich als Hauptverantwortlichen für die Eskalation der Affäre. „Eine Entlassung war nicht angezeigt, obwohl Aiwangers Reaktion auf die Vorfälle und sein Krisenmanagement völlig missglückt sind und ungenügend waren“, sagt Kreuzer und versucht, den Freie-Wähler-Chef zu bändigen: „Jetzt bin ich aber der Auffassung, dass auch von Seiten von Hubert Aiwanger in der öffentlichen Diskussion und bei Wahlkampfauftritten die Angelegenheit deeskaliert werden sollte.“

Söder hat wohl auch taktisch agiert

Dass bei Söders Entscheidung auch taktische Überlegungen eine Rolle gespielt haben, darf als wahrscheinlich gelten. Einfach entlassen nämlich hätte Söder den ungeliebten Wirtschaftsminister nicht können, ohne dabei das vorzeitige Platzen der Koalition zu riskieren.

Über die Entlassung eines Ministers entscheidet der Landtag. Ohne die Zustimmung der Freien Wähler hätte Söder keine eigene Regierungsmehrheit. Im konkreten Fall wäre eine Entlassung zwar mit den Stimmen von CSU, Grünen, SPD und FDP theoretisch möglich. Doch abgesehen davon, dass es für die CSU politisch blamabel wäre, auf die Unterstützung der Ampelparteien angewiesen zu sein, hätte sich danach die Frage gestellt, ob Söder weiterhin das Vertrauen des Landtags genießt – konkret: ob die Freien Wähler einen Regierungschef unterstützen, der ihren Chef aus dem Ministeramt entlässt. Die Verfassung ist da eindeutig: In Bayern muss ein Ministerpräsident zurücktreten, „wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen.“

Am Donnerstag wird der Zwischenausschuss des Landtags zur Sondersitzung zusammentreten. Ein Antrag von Grünen, SPD und FDP, Aiwanger als Minister zu entlassen, wird aller Voraussicht nach keine Mehrheit finden. CSU und Freie Wähler wollen weiter gemeinsam regieren. Und Söder geht, wie er im ZDF-Sommerinterview sagt, „fest davon aus“, dass Aiwanger auch seinem neuen Kabinett angehören wird. Trotz allem. 

 
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