
Markus Söder will auch in den nächsten fünf Jahre als Ministerpräsident in Bayern regieren. Ob als CSU-Generalsekretär, Finanzminister oder als Regierungschef: Seit gut 20 Jahren prägt der Nürnberger die bayerische Politik. In drei Folgen wirft unser Landtagskorrespondent Henry Stern einen persönlichen Blick auf einen wandlungsfähigen Spitzenpolitiker, der polarisiert, aber immer wieder auch überraschen kann. Teil 1: Vom Provokateur zum Lebensminister.
Söder als Stoibers "General": Ungeduld und Provokation von Beginn an als Markenkern
Was ist die erste Charaktereigenschaft, die einem zum jungen Landtagsabgeordneten Markus Söder einfällt? Ungeduld vielleicht. "Schmarri" entfuhr es ihm in quälend langen Ausschusssitzungen. Sein Bein wippte nervös unter dem Tisch, wenn die Kollegen sich in Details verloren. Auch die eigenen Parteikollegen ließ Söder gerne spüren, wenn er sie für politische Dünnbrettbohrer hielt.
Markus Söder polarisierte schon um die Jahrtausendwende – auch in der CSU. Manche hielten ihn für ein außergewöhnliches politisches Talent. Andere für einen lauten Hallodri ohne politischen Kompass.
2003 ist es dann soweit für Söder: Nach dem Wahltriumpf mit Zwei-Drittel-Mehrheit macht Edmund Stoiber den 36-Jährigen zum CSU-Generalsekretär. Söder wird Stoibers Mann fürs Grobe – und lässt in den vier Jahren Amtszeit keine Chance auf eine griffige Schlagzeile aus.

Er kämpft für das Sandmännchen und zetert gegen die Modernisierung der Mainzelmännchen. Er attackiert Rot-Grüne gerne auch mal unter der Gürtellinie und lässt kaum ein Fettnäpfchen aus – etwa als er Berliner Politikjournalistinnen weiß-blaue Bikinis aus der CSU-Kollektion zukommen lässt und auf dem Begleitkärtchen eine "perfekte Performance bei Badewetter" wünscht.
Ein Mann für Schlagzeilen und knackige Botschaften
Im Main-Post-Gespräch fordert Söder 2004 ein tägliches Schulgebet und "mehr Patriotismus in Deutschland". Für Journalisten sind Interviews mit Söder schon damals recht einfach – weil er immer in Schlagzeilen denkt und seine Botschaft griffig in Worte kleidet.
Die kommunikative Stärke hilft Söder auf dem Weg nach oben sehr – zumal er komplett schmerzfrei scheint bei massivem Widerspruch: Hauptsache wahrgenommen werden und den Menschen im Kopf bleiben.
Weil der Generalsekretär in den CSU-Führungsriegen auf viel Misstrauen stößt, nutzt er die Zeit für ausgiebige Basisarbeit: Kein Ortsverband scheint zu klein, als dass der "General" nicht mal vorbeikommt. Söder kann bei solchen Terminen sehr gewinnend und unterhaltsam sein. Nicht als Selbstzweck, es dient der eigenen Karriere.
Fleiß an der Basis zahlt sich aus, ist offenbar seine Erkenntnis aus dieser Zeit. Bis heute: Auch im Landtagswahlkampf 2023 setzte Söder auf unzählige Termine überall im Freistaat. Im Landtag kursierte schon der Witz, man müsse bei der Grillparty im eigenen Garten aufpassen, dass nicht plötzlich der Ministerpräsident mit Bratwürsten auf der Terrasse steht und wirbt: "Bei uns in Bayern darf jeder essen, was er will."
Unaufhaltsam nach oben: Resozialisierung als "Bayerischer Außenminister" in Brüssel
2007, nach dem schwierigen Wechsel von Edmund Stoiber zu Günther Beckstein, braucht Söder einen politischen Neuanfang. Vielen in der CSU gilt er als politischer Rowdy ohne echte Überzeugungen. Und Beckstein kommt zwar auch aus Nürnberg, doch das Verhältnis der beiden gilt als schwierig. Der neue Ministerpräsident traut Söder kein großes Ressort in seinem Kabinett zu. Der Franke wird Europaminister – ein Posten ohne Gestaltungsmacht und jenseits der öffentlichen Wahrnehmung.

Doch Söder erklärt sich kurzerhand zum "bayerischen Außenminister" und fokussiert sich auf das, was er am besten kann: schöne Bilder und möglichst viele Schlagzeilen produzieren. So lässt er in der bayerischen Vertretung in Brüssel einen Maibaum aufstellen und kämpft für den Schutz des fränkischen Bocksbeutels gegen europäische Flaschennormierung.
Nur wenige Tage nach seiner Berufung empfängt Söder den Main-Post-Korrespondenten zum Interview in seinem neuen Büro in der Staatskanzlei: "Es ist vielleicht kein Schaden, wenn man nicht jeden Tag in der Zeitung stehen muss", kokettiert er. Und liefert postwendend ein paar griffige Zitate für das Publikum in Unterfranken: Für Franken gebe es "keinen Grund für Minderwertigkeitskomplexe". Zur fränkischen Identität gehöre "der Bocksbeutel genauso wie das Kruzifix". Und für einen fränkischen "Tatort" wolle er sich schon gerne einsetzen.
Söder will den "Franken-Tatort" – aber seine Frau hat die Fernbedienung
Ein Problem gebe es aber daheim, sagt der frühere BR-Redakteur noch: Seine Frau schaue am Sonntag lieber romantische Rosamunde-Pilcher-Filme statt Krimis. Er sei "schon froh, wenn ich mich an der Fernbedienung überhaupt mal durchsetzen kann". Ob ihm das gerade eingefallen ist? Jedenfalls hat Söder selbst viel Spaß an seiner Pointe.
Politisch Zählbares kann der "Außenminister" dann zwar kaum vorweisen, als Beckstein nach nur einem Jahr den Chefsessel schon wieder räumen muss. Doch er hat aus dem wohl unwichtigsten Amt eine große Show gemacht - und Sympathiepunkte gesammelt.
Aufmerksamkeit um jeden Preis: Söder setzt auf die politische Macht der Bilder
Apropos Show. Bilder spielen in der Politik-PR von Markus Söder eine große Rolle. Und nichts scheint ihm für ein gutes Foto zu peinlich zu sein. Söder in einer venezianischen Gondel auf dem Nymphenburger Kanal. Söder im knallroten Weihnachtspulli mit Rentier. Söder als CSU-Kronprinz (!) in König Ludwigs Venusgrotte in Schloss Linderhof. Oder mit riesigem Hut und einem Lämmchen auf dem Arm.
Man darf nicht denken, dass solche Fotos per Zufall entstehen. Söder will Bilder, die polarisieren und über die diskutiert wird. Aufmerksamkeit ist für ihn die wichtigste Währung. Wenn Söder sein Mittagessen in sozialen Netzwerken postet ("Söder isst…"), ist ihm Spott sicher - doch er erreicht damit die Menschen.

Wie mit den aufwändigen Kostümen bei der Fastnacht in Franken in Veitshöchheim: Shrek, Marylin Monroe, Punk, Gandhi . . . – auch wer mit dem fränkischen Fasching nicht viel anfangen kann: Die Bilder vom geschminkten Söder kennen alle.
Ein wenig anders ist es da schon mit dem Politiker-Derbleckn auf dem Münchner Nockherberg: Dort hat Söder nicht die Kontrolle über das Bild, das von ihm gezeichnet wird. Ab 2006 war Stephan Zinner Söders Double – und anfangs schien das Original nicht sehr begeistert von der prollig-derben Kopie. Doch Zinners Söder kam an – und machte sogar das Rowdyhafte sympathisch. So war es wohl ernst gemeint, als der CSU-Chef 2021 zum Abschied Zinners vom Nockherberg twitterte: "Schade, dass er als Double aufhört".
Positive Bescheide unterschreibt der Umweltminister, Ablehnungen seine Staatssekretärin
Aus Söders Zeit als Umweltminister von 2008 bis 2011 gibt es eine schöne Anekdote, die seine Konsequenz auf dem Weg nach oben gut beschreibt: Auf seine Anweisung sollen alle Briefe, Bescheide oder Zuwendungen an Kommunen und Verbände, die eine positive Botschaft enthielten, zur Unterschrift auf seinem Schreibtisch gelandet sein. Wurden Bitte oder Antrag abgelehnt, so heißt es, musste Söders Staatssekretärin Melanie Huml unterschreiben.
Auch in seiner Zeit als Finanzminister gab es so gut wie keinen Breitband-Förderbescheid, den er nicht - für ein Foto vor Ort - höchstpersönlich an die Bürgermeister übergeben hätte. Die eigene Person mit einer positiven Botschaft verbinden, lautete das Ziel. Auf dass sich die Gebauchpinselten später mal daran erinnern, dass dieser Söder der richtige Mann für höchste Aufgaben ist.

Jahrelang bearbeitete Söder in unzähligen Landtagssitzungen mit intensiven Gesprächen zu diesem Zweck auch die Abgeordneten auf den CSU-Hinterbänken. Wen er dort für talentiert und ihm gewogen hielt, dem vermittelte er recht unverblümt die schöne Botschaft: Setz' auf mich und du kannst was werden. Ein Aufwand, der sich später im knallharten Machtkampf mit Horst Seehofer auszahlen sollte.

Wenn beim Landtagskorrespondenten das Telefon klingelt: "Söder hier"
Auch Münchner Journalisten konnte es in diesen Jahren passieren, dass das Telefon klingelte und es unverhofft hieß: "Söder hier." Er wolle nur mal offen reden, was halte man denn halte von diesem oder jenem. So bekam der Minister ein Gefühl dafür, was denn im Landtag so gesprochen und gedacht wurde. Und zugleich prüfte er ab, welche Journalisten er ernst nehmen musste.
Doch Söder lieferte auch: Die Fahrt zu wichtigen Terminen außerhalb Münchens nutzte er im bereitgestellten Presse-Bus für lockeres Hintergrundgeplauder. Stets war da viel über das Innenleben der CSU zu erfahren. Etwa den Machtkampf mit Karl-Theodor zu Guttenberg, später dann vor allem mit Horst Seehofer. Natürlich konnte Söder dabei seine Sicht der Dinge unter die Journalisten bringen. Aber seine messerscharfen Analysen erwiesen sich oft als treffend.

Die Zeit als Umweltminister nach 2008 nutzte Söder für den Imagewandel – hin zum mitfühlenden "Lebensminister", der im Urlaub am Gardasee sogar kleine Singvögel aus Netzen rettete. Doch im großen politischen Spiel war er noch nicht dabei. Auf dem Höhepunkt der Landesbank-Krise etwa eilte der damalige Finanzminister Georg Fahrenschon von Krisensitzung zu Krisensitzung – während Söder ein Tierheim besuchte. Am nächsten Tag musste er die Schlagzeile lesen: "Fahrenschon rettet Bayern, Söder die Igel".
Lesen Sie im zweiten Teil, wie sich Söder gegen viele interne Widerstände durchsetzt: Söder und Seehofer - Machtkampf mit "Schmutzeleien"
Der dritte Teil beschäftigt sich mit Söder als Ministerpräsident seit 2018: Vom Kruzifix-Verteidiger zum Corona-Schattenkanzler
Der Autor über mehr als 20 Jahre mit Markus Söder
