Es sind verzweifelte Schilderungen aus der Pflege, die das unterfränkische Bündnis "Dienst-Tag für Menschen" auf einer Online-Pinnwand gesammelt hat. "Für die Pflege ist es schon lange fünf nach Zwölf", sagt Annette Noffz, leitende Stiftungsdirektorin des Bürgerspitals in Würzburg zu den emotionalen Momentaufnahmen. Immer mehr Senioren- und Behinderteneinrichtungen in der Region könnten den steigenden Bedarf der pflegebedürftigen Menschen nicht mehr bedienen – und kämpfen ums Überleben. "Wir haben unzählige Gespräche mit Politikern geführt, mit Ministern und Staatssekretären, aber unter dem Strich ist nichts passiert", sagt Noffz. "Wir wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll."
Auch im Bürgerspital sei die Situation "bedrückend", sagt die Direktorin. Fachkräfte fehlen. Diejenigen, die da sind, arbeiten am Limit. Trotzdem können Betten nicht belegt werden, Einnahmen bleiben aus, das Defizit steigt. Gerade hat das Bürgerspital deshalb die Angebote der ambulanten und mobilen geriatrischen Rehabilitation wegen nicht ausreichender Finanzierung stillgelegt.
Regelmäßig stünden Angehörige weinend vor den Mitarbeitern, weil sie keine pflegerische Unterstützung mehr fänden, sagt Noffz. "Wir tun, was wir tun können – aber wenn der Mangel an Mitarbeitenden weiter steigt, werden wir unsere Leistungen weiter einschränken müssen."
Frust, Erschöpfung, Verzweiflung: Lange Liste über die Not in Pflegeeinrichtungen
Ähnlich sieht es bei allen Bündnispartnern aus der Region aus, davon zeugen die Einträge auf der Online-Pinnwand eindrücklich. "Erschöpfung und Frustration sind mittlerweile ständige Begleiter", heißt es da. Oder: "Langjährige Führungskräfte sind am Ende ihrer Kräfte und stiegen aus dem Beruf aus." Von ausländischen Pflegefachkräften ist die Rede, die seit einem Jahr versuchen, ihre Anerkennung zu erhalten und nun ihre Kraft verlieren, "gegen das System zu kämpfen".
Die Sammlung erschreckt. "In der Coronazeit waren wir alle systemrelevant – jetzt sind wir verzichtbar", kritisiert Walter Herberth, Oberpflegeamtsdirektor der Stiftung Juliusspital in Würzburg. Die Politik stütze Wirtschaftsunternehmen mit Milliarden, Gesundheitseinrichtungen lasse sie im Stich. Auch im Juliusspital würden manche Leistungen nur noch durch Stiftungsmittel gesichert.
Fünf konkrete Vorschläge und Forderungen, was die Politik tun muss
Wie lässt sich der Notstand in der Pflege konkret verbessern? Das Bündnis "Dienst-Tag für Menschen" nennt fünf zentrale Punkte: die 35-Stunden-Woche, ein verpflichtendes soziales Jahr, das "längst überfällige" Verbot der Leiharbeit, die vereinfachte Anerkennung von ausländischen Pflegekräften und eine Neuregelung der Kontrollen durch MDK und Heimaufsicht.
Entscheidend sei, dass Verantwortlichkeiten länger zwischen Bund und Ländern hin und her geschoben werden, sagt Herberth. Reden, zuhören, Verständnis zeigen - das bringe die Pflege nicht weiter. "Die Politik muss jetzt handeln, dringend."
Was hält man in Berlin und München in den Gesundheitsministerien von den fünf Forderungen aus Unterfranken? Das sagen die Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Sabine Dittmar (SPD), und Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU):
1. Forderung: Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in der Pflege
Sabine Dittmar begrüßt alle Ansätze, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Pflegekräfte verbessern. Das entsprechende Förderprogramm der Regierung werde jedoch "nur sehr zögerlich abgerufen", sagt die Bundestagsabgeordnete aus Maßbach (Lkr. Bad Kissingen). Generell sei das Vereinbaren einer 35-Stunden-Woche "Aufgabe der Tarifpartner vor Ort" – der Gesetzgeber regele nur die zulässige Wochenhöchstarbeitszeit.
"Sicher ist, dass eine Arbeitsentlastung notwendig ist und man neue Modelle prüfen sollte", sagt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Er befürworte deshalb Initiativen der Arbeitgeber, die sich an der individuellen Lebenssituation des Personals orientieren. Dazu gehöre auch die Anpassung der Arbeitszeiten. Arbeitgeber müssten da "eigenständig tätig werden".
2. Forderung: Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahres
"Eine sehr gute Sache", sagt Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar zum sozialen Jahr. Junge Menschen könnten sich so gesellschaftlich sinnvoll engagieren und "nicht wenige entscheiden sich danach für eine Tätigkeit im sozialen Bereich". Das müsse gefördert werden. Sie könne jedoch Bedenken der freien Wohlfahrtsverbände gegenüber einer Dienstpflicht nachvollziehen, schränkt Dittmar ein. "Zudem würde sie auch verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen."
Bayerns Gesundheitsminister kann sich ein verpflichtendes soziales Jahr "gut vorstellen". Die Diskussion sollte aber nicht auf ein soziales Pflichtjahr nach der Schule beschränkt sein, sondern "dem Einzelnen Flexibilität gewähren, wann er das Jahr absolviert". Gleichzeitig warnt der CSU-Politiker: Die professionelle Pflege könne nicht durch Laien ersetzt werden, auch drohten bei einer erzwungenen Tätigkeit in der Pflege Qualitätseinbußen und Demotivation.
3. Forderung: Verbot der Leiharbeit in der Pflege
Für ein klares Verbot der Leiharbeit will sich Sabine Dittmar nicht aussprechen. Die Zunahme der Leiharbeit in der Pflege schaffe Probleme, Ungleichbehandlungen sorgten für Ärger, räumt sie ein. Die gerade in Kraft getretene Pflegereform beschränke die Leiharbeit daher. Aber: "Verbieten wollen wir sie nicht, denn es kann immer Arbeitsspitzen geben, in den Wintermonaten zum Beispiel aus Krankheitsgründen, wo es ohne Leiharbeit nicht geht."
Bevorzugungen der Leiharbeiter gegenüber dem Stammpersonal würden oft für ein negatives Betriebsklima sorgen, sagt auch Klaus Holetschek. "Die zunehmende Tendenz zur Leiharbeit sollte daher gestoppt werden" Ein Verbot lehnt der bayerische Gesundheitsminister jedoch ab. Mit "belastbaren Ausfallkonzepten" der Arbeitgeber würde Leiharbeit "gar nicht erst erforderlich". Bayern unterstütze deshalb Modellprojekte für Spingerkonzepte.
4. Forderung: Schnellere und einfachere Anerkennung von ausländischen Pflegekräften
"Wir brauchen diese Menschen", sagt Gesundheitsstaatssekretärin Sabine Dittmar. Deshalb vereinfache die Bundesregierung aktuell die Regelungen für die Anerkennungsbehörden der Länder, so dass berufliche Qualifikationen ausländischer Pflegekräfte schneller und unbürokratischer anerkannt würden. Dazu würden Mustergutachten zur Verfügung gestellt und Anerkennungslehrgänge durchgeführt. "Hier sind dann aber auch die Länder gefragt, die vorhanden Möglichkeiten zu nutzen."
Mit der Zentralisierung beim Landesamt für Pflege sei das Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegefachkräfte in Bayern neu aufgestellt und beschleunigt worden, sagt Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Zudem unterstütze die Staatsregierung die Pflegeeinrichtungen bei der Integration der ausländischen Fachkräfte. Zum Problem werde jedoch häufig, dass "in den deutschen Auslandsvertretungen teilweise mit erheblichen Wartezeiten und überbordender Bürokratie zu kämpfen ist". Der Bund müsse da für einen niedrigschwelligen Zugang und ein digitales Visaverfahren sorgen.
5. Forderung: Reform der Pflegekontrollen durch Medizinischer Dienst und Heimaufsicht
Aus Sicht von Sabine Dittmar hat die Regierung hier "alles Wichtige bereits umgesetzt". Qualitätssicherung und Kontrollen "sind und bleiben wichtig" – aber "unnötige Kontrollen, unnötige Bürokratie gehören abgeschafft". Deshalb würden gute Pflegeheime nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle zwei Jahre geprüft.
Hingegen sieht Klaus Holetschek durchaus "Vereinfachungspotenziale" beim neuen Prüfverfahren für Pflegeheime, er sei dazu aktuell im Austausch mit dem Medizinischen Dienst Bayern. "Wichtig ist, dass nur pflegefachlich Notwendiges dokumentiert werden muss", so der CSU-Politiker.