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Würzburg
Würzburger Auszubildende wartet monatelang auf Visum: Wie deutsche Behörden und Bürokratie die Pflegekrise verschärfen
Eine junge Frau aus Kamerun will in Würzburg Altenpflegerin werden und hat eine zugesagte Stelle. Doch die deutsche Botschaft verhindert den rechtzeitigen Ausbildungsstart.
Mariole Kouemeni (Mitte) aus Kamerun hat im Würzburger Bürgerspital ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau begonnen. Sie, ihr Bruder Arnaud Mbeng und Stiftungsdirektorin Annette Noffz brauchten viel Geduld.
Foto: Ulises Ruiz Diaz | Mariole Kouemeni (Mitte) aus Kamerun hat im Würzburger Bürgerspital ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau begonnen. Sie, ihr Bruder Arnaud Mbeng und Stiftungsdirektorin Annette Noffz brauchten viel Geduld.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 13:11 Uhr

Der Arbeitskräftemangel in der Pflege wird immer gravierender. Heimplätze werden trotz des Riesenbedarfs teils nicht mehr belegt, weil Personal fehlt. Zwar versucht die Politik mittlerweile, mit Gesetzen und praktischen Maßnahmen die Zuwanderung von Pflegekräften aus dem Ausland zu erleichtern. Doch Heimträger verzweifeln: Deutsche Botschaften im Ausland benötigen oft viele Monate, um ein Visum auszustellen – falls überhaupt. Der Frust ist groß, Beteiligte brauchen gute Nerven und einen langen Atem, wie dieser Fall aus Würzburg zeigt. 

"Beschleunigtes Verfahren" scheitert in der Praxis

Auf dem Portal "Make it in Germany" wirbt die Bundesregierung für das "beschleunigte Fachkräfteverfahren". Das klingt nach Tempo und Direktheit und soll, im März 2020 eingeführt, den Zuzug von Fachkräften aus dem Nicht-EU-Ausland ebenso beschleunigen wie von Auszubildenden.

Heißt: Mit einem Schulabschluss und zertifizierten Deutschkenntnissen (Niveau B 2) sollen junge Leute innerhalb weniger Wochen eine zugesagte Ausbildungsstelle in Deutschland antreten können. 411 Euro Gebühr werden für das Schnellverfahren fällig. 

Für Mariole Kouemeni aus Kamerun war das viel Geld, etwa ein durchschnittlicher halber Jahreslohn. Doch die Aussicht auf eine Pflegeausbildung und die Arbeit im Würzburger Bürgerspital motivierte sie, den Schritt nach Europa zu wagen. Die 26-Jährige hatte nach dem Abitur in ihrer westafrikanischen Heimat bereits eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert.

Über den Bruder die Ausbildungsstelle in Würzburg gefunden

Doch Jobs in Kamerun sind rar, schlecht bezahlt – und eine organisierte Altenpflege gibt es praktisch nicht. Über ihren Bruder Arnaud Mbeng, der seit über zehn Jahren in Würzburg lebt, hier studiert hat und auf dem Weg zum staatlich geprüften Dolmetscher Deutsch-Französisch ist, wurde Mariole Kouemeni auf das Bürgerspital und die Altenhilfe aufmerksam. Der 33-Jährige unterstützte sie als Vermittler bei Behörden und Arbeitgeber.

So kommen im April 2022 die junge Frau aus Westafrika und Kristina Schmidt, stellvertretende Leiterin der Senioreneinrichtungen des Bürgerspitals, per Videoschalte zusammen. Kouemeni hat da bereits zwei Jahre Deutsch an einem Privatinstitut in Kameruns Hauptstadt Jaunde gelernt und die B2-Prüfung bestanden. "Es hat sofort gepasst", erinnert sich Schmidt an den ersten Kontakt.

Zum 1. September 2022 soll Mariole Kouemeni ihre Azubi-Stelle in Würzburg antreten – da beginnt das neue Ausbildungsjahr. Eigentlich genügend Vorlauf. Was aber folgt, treibt Annette Noffz, Direktorin der Stiftung Bürgerspital, schier zur Verzweiflung.

Über die Würzburger Ausländerbehörde und die Agentur für Arbeit wird das "beschleunigte Verfahren" in die Wege geleitet. Nach einigen Wochen liegen im Sommer 2022 die erforderlichen Dokumente vor, die Wohnungsfrage ist geklärt – Kouemeni kann in Würzburg bei ihrem Bruder einziehen. Ansonsten stellt das Bürgerspital für ausländische Kräfte auch möblierte WG-Zimmer zur Verfügung.

So kann die 26-Jährige Mitte Juli bei der deutschen Botschaft in Kamerun online einen Termin für die Visa-Erteilung beantragen, die sie weitere 80 Euro kostet. Obwohl das beschleunigte Verfahren hierfür eine Frist von maximal drei Wochen vorsieht, bekommt Kouemeni erst zwei Monate später einen Termin, für den 15. September – da hat das Ausbildungsjahr in Würzburg schon begonnen.

Arbeitgeber und Auszubildende bemühen sich vergeblich um zügigen Visa-Termin

Sämtliche Telefonate und Mails des Bürgerspitals als künftiger Arbeitgeber an die deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt blieben laut Noffz und Schmidt erfolglos. Man habe auch keine Erklärung für die Verzögerung erhalten. In Kamerun fürchtet Mariole Kouemeni um ihre Stelle. Und es kommt noch dicker. 

Nach dem Visa-Termin in der deutschen Botschaft in Jaunde Mitte September, in dem die Unterlagen auf Vollständigkeit durchgesehen werden, sieht die Behörde ein überraschendes Problem: Der vorgelegte Ausbildungsvertrag aus Würzburg sei noch nicht von der Stiftungsleitung unterschrieben gewesen. Statt gleich beim Termin teilt man dies der jungen Frau erst weitere drei Wochen später mit – telefonisch. "Das hätte man auch anders machen können", kritisiert Schmidt.

Um noch in das Ausbildungsjahr in Würzburg einzusteigen, ist es jetzt, Anfang Oktober, zu spät. Nachdem die Unterschrift umgehend nachgereicht wurde, bekommt Mariole Kouemeni Mitte November eine Mail von der Botschaft, dass sie am 6. Dezember ihr Visum abholen kann. Davor muss sie sich noch einen neuen Reisepass besorgen. Durch die entstandene Verzögerung ist er kein ganzes Jahr mehr gültig, wie die deutsche Botschaft aber verlangt.

Maximal drei Wochen dürfen laut "beschleunigtem Verfahren" bis zur Ausstellung des Visums vergehen. Im Fall von Mariole Kouemeni werden es fast drei Monate. 411 Euro hat sie für eine "Beschleunigung" gezahlt, die zur nervigen Verzögerung wird.

"Das ist höchst unfreundlich und befremdlich."
Bürgerspital-Direktorin Annette Noffz über den Umgang der deutschen Botschaft in Kamerun

Die 26-Jährige tritt ihre Ausbildungsstelle schließlich offiziell zum 1. April 2023 an. Bitten, das Visum einige Tage früher zu datieren, damit sie sich in Würzburg schon einleben kann, werden von der Botschaft zurückgewiesen. "Das ist höchst unfreundlich und befremdlich", ärgert sich Stiftungschefin Noffz. Kouemeni darf frühestens am 1. April einreisen und kann einige Tage später ihre Ausbildung beginnen.

Mittlerweile haben Kouemeni und ihr Bruder die bürokratische Odyssee einigermaßen verdaut. Die Arbeit mit den alten Menschen macht der Kamerunerin Freude, im Bürgerspital ist man sehr zufrieden mit ihr.

Aber der Zweifel bleibt: Ist der Hilferuf nach ausländischen Arbeits- und Fachkräften – nicht nur für die Pflege – an entscheidenden Stellen wirklich angekommen? Auf Nachfrage der Redaktion reagiert das Auswärtige Amt mit Verspätung. Man könne sich aus Datenschutzgründen nicht zum Einzelfall äußern, heißt es.

Generell werden Engpässe bei der Termin- und Visavergabe durch die deutsche Botschaft in Kamerun eingeräumt. Sie arbeite mit dem Auswärtigen Amt an "einer Erhöhung der Bearbeitungskapazitäten". Die vorgeschriebene Drei-Wochen-Frist für den Visa-Termin bei der Botschaft wird, so geht aus der Antwort hervor, im Moment nicht eingehalten. 

"Das muss einfacher gehen, mit weniger Bürokratie!"
Stiftungsdirektorin Annette Noffz zur Anwerbung von Pflegepersonal aus dem Ausland

Dem Bürgerspital zufolge handelt es sich um keinen Einzelfall. "Wir arbeiten uns mit einem unglaublich hohen Aufwand daran ab", klagt Noffz. Man ringe mit Behörden um Aufenthalt, Genehmigungen, Beglaubigung und Anerkennungen. "Das muss einfacher gehen, mit weniger Bürokratie!"

Eine Forderung, die immer lauter auch andere Heimträger in Unterfranken wie Caritas, Arbeiterwohlfahrt (AWO) oder das Kommunalunternehmen (KU) des Landkreises Würzburg erheben. "Wir warten von Vertragsunterzeichnung bis Arbeitsbeginn häufig zwei Jahre", bedauert Ulrike Hahn, AWO-Bereichsleiterin Senioren und Reha. Der Aufwand sei enorm, zur Unterstützung für die Ankommenden aus dem Ausland hat die AWO eigens zwei Integrationshelfer angestellt.

KU-Vorständin Eva von Vietinghoff-Scheel spricht von massiven bürokratischen Hürden: "Wir haben nicht das Gefühl, dass die zuständigen Behörden die Lage erkannt haben und die Träger ausreichend unterstützen." Und die Anerkennungsverfahren, bemängelt sie, "dauern immer länger". Er würden immer weitere Bedingungen und Voraussetzungen vorgegeben.

Gerade hat der Bundestag das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz mit dem Ziel eines leichteren Zuzugs aus Nicht-EU-Ländern geändert, Bayern setzt seit 1. Juli auf eine "Fast Lane", also die Schnellspur für ausländische Pflegekräfte: Verfahren werden nun zentral beim Landesamt für Pflege abgewickelt, das soll Zeit sparen. Mitspielen müssten dann allerdings auch deutsche Botschaften überall auf der Welt.

In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, weder die deutsche Botschaft in Kamerun noch das Auswärtige Amt hätten auf eine Nachfrage der Redaktion reagiert. Zwischenzeitlich hat sich das Auswärtige Amt dazu gemeldet, der Beitrag wurde an der entsprechenden Stelle aktualisiert.

 
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  • M. S.
    Folgender Kommentar ist sehr gehässig und ich bin mir nicht sicher ob er veröffentlicht wird. Böse ist er nicht gemeint.

    Wenn Deutschland so agiert treibt man die Leute erst recht in die Hand von Schleppern. Trotz Sahara und Mittelmehr scheinen die Erfolgsaussichten groß zu sein!

    Im Ernst: Man hat hier eine bereits gut ausgebildete Frau die konkrete Pläne für die Zukunft hat und man legt ihr solche Steine in den Weg und lässt sich nicht einmal ein paar Tage vorzeitig einreisen.

    Auf der anderne Seite leben zigtausende jugen Afrikaner teils jahrelang perspektivlos in Westeuropa, auch in Deutschland bis sie irgendwann oftmals weiterhin ohne Perspektive eine Bleiberecht gewährt bekommen oder in seltenen Fällen abgeschoben werden.

    Die demokratischen Parteien sorgen meiner Meinung nach so für ihren eigenen Untergang.
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  • M. S.
    Funktioniert in Deutschland überhaupt noch etwas? Oftmals begegnet man nur leeren Worten die nicht mit Leben gefüllt werden.

    Im Falle dieser jungen Frau (und sicherlich vielen Leidensgenossen) ist es sehr beschämend! Die Frau hat beste Unterstützung und trotzdem geht so einiges schief. Es wird ihr ein Ausbildungsjahr geklaut und sie in Unsicherheit gelassen.

    Weiterhin zockt man dieser jungen Frau für diese schäbige Gegenleistung über 400,- € ab. Wer weiß was dieser Betrag in Westafrika bedeutet schlackert mit den Ohren! Möchte nicht wissen wie vielen für ihr Geld keinerlei Gegenleistung bekommen haben und die Segel gestrichen hatten!
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  • E. W.
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  • H. S.
    Unser Bürokratismus macht langfristig alles kaputt, vernichtet Arbeitsplätze, lässt Unternehmer ins Ausland abwandern, verhindert Bau- und Ausbautätigkeit, verhindert erneuerbare Energie, zahlt keine von Berlin versprochenen Zuschüsse aus u.v.m. Das einzige was Bürokratie schafft, ist ein immer mehr sich selbst aufblähender Apparat. Typisches Beispiel: Das LRA will schon wieder anbauen.
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  • R. T.
    Wenn ich richtig gelesen habe, dann geht es hier um eine Auszubildende und nicht um eine bereits qualifizierte Fachkraft. Warum fördern diese Beamten nicht zügig die junge Frau? Hat die etwa Leichen im Keller oder was soll der Aufriss um Papiere? Wer im hiesigen Bürgerbüro einen Reisepass beantragt, muss 6 Monate warten, bis er ihn in den Händen hält. Das Getöne durch Digitalisierung ginge alles viel schneller, funktioniert nur bei der Gebühren- und Rechnungstellung.
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  • E. W.
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  • m. w.
    Und wenn dann (fast) alle Arbeitsstellen, die hier in D (fast) keiner mehr machen möchte, weil z. B zu wenig honoriert bzw. inzwischen "gesellschaftsfähig" nicht anerkannt sind, dann sind bis dahin Roboter konstruiert, die diese, z.B. pflegerischen Tätigkeiten uvm von günstigen ausländischen Arbeitern erledigt werden!
    Leider werden diese Vorgänge meist von fachfremden Schreibtischtätern entschieden. Es gibt viele Möglichkeiten eine Arbeit aufzuwerten und nicht nur über Std.Lohn.
    Wer kontrolliert einen Arbeitsvertrag eines ausländischen Angestellten? Wird der Mindestlohn immer eingehalten?
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  • C. B.
    Benötigen lange weil Bürokratie? Oder verzögert man absichtlich?
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  • M. E.
    Eines vorab: Bestimmte Regeln und Gesetze m ü s s e n eingehalten werden.

    Ich konnte persönlich jedoch miterleben, daß Freitag um 12 Uhr der Sachbearbeiter einer dt Botschaft monierte, daß er jetzt nichts mehr mache, da er ins Wochenende gehen würde, obwohl es um eine sehr dringende Sache ging!
    Solch ein Verhalten kann ich absolut nicht verstehen und ist mit dem Beamtengesetz zu gewissen Anläßen nicht vereinbar.
    Wenn das mehrmals geschieht kommen ganz schöne Zeitverzögerungen zustande.
    Gleichwohl muß bedacht werden, daß die Bürokratie in den meisten Schwellenländern sehr sehr träge laufen kann und von diesen Behörden benötigen die Ausreisewilligen ja doch auch so einiges an Papieren.
    Erst vor kurzem beklagte ein nach Italien zurückgezogener Freund die dortige Bürokratie, viel schlimmer als in WÜ, meinte der.
    Personal im AA wird auch knapp sein. Vorschlag: Mehr Inlandsbeamte abordnen in konfrontierte Schwerpunkt-Botschaften, evtl Rentner aktivieren.
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