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Kitzingen/Würzburg
Wie Medizinischer Dienst und Heimaufsicht  die Pflege kontrollieren: Was lief beim Pflegedienst in Kitzingen schief?
Ein ambulanter Pflegedienst soll Millionen Euro an Leistungen zu Unrecht abgerechnet haben. Fiel der mutmaßliche Betrug nicht auf? Was der Medizinische Dienst sagt.
In Deutschland sollen Pflegeinrichtungen regelmäßig kontrolliert und so Skandale verhindert werden. Trotzdem kommt es immer wieder zu Missständen, wie ein aktueller Fall in Kitzingen zeigt (Symbolbild).
Foto: Getty Images, Montage:MP | In Deutschland sollen Pflegeinrichtungen regelmäßig kontrolliert und so Skandale verhindert werden. Trotzdem kommt es immer wieder zu Missständen, wie ein aktueller Fall in Kitzingen zeigt (Symbolbild).
Manfred Schweidler
 und  Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:30 Uhr

Pflegeinrichtungen sollen regelmäßig kontrolliert werden, um dadurch eine qualitativ hochwertige Pflege zu gewährleisten. Dennoch kommt es immer wieder zu Missständen. Aktuell stehen die drei Würzburger Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes vor Gericht: Sie sollen jahrelang in einer Einrichtung in Kitzingen Millionen Euro für nicht erbrachte Pflegeleistungen kassiert haben. Wie kann das sein? Wie läuft die Kontrolle von Pflegeeinrichtungen ab? Wer zieht bei Mängeln Konsequenzen? Und was lief in diesem Fall in Kitzingen schief?

Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wer ist für die Kontrolle von Pflegeeinrichtungen zuständig?

Grundsätzlich werden laut Bundesgesundheitsministerium alle Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste vom Medizinischen Dienst (MD), vom Prüfdienst des Verbandes der Privaten Krankenversicherung oder einem beauftragten Sachverständigen überprüft - in der Regel einmal im Jahr. Diese Besuche werden am Tag zuvor angekündigt.

Daneben überwacht und kontrolliert die Heimaufsicht, die in Bayern bei den Kreisverwaltungsbehörden angesiedelt ist, die Pflegeheime. Hierbei geht es um die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen.

Was prüft der Medizinische Dienst?

Der Medizinische Dienst Bayern prüft in ambulanten, stationären und teilstationären Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe die Qualität der Pflege und die Einhaltung der vorgeschriebenen Standards. Dafür erhält er von der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern (ARGE) einen sogenannten Prüfauftrag. Insgesamt gibt es drei Arten von Prüfungen: Regelprüfungen, Anlassprüfungen und Wiederholungsprüfungen.

Regelprüfungen finden einmal im Jahr statt und müssen gesetzlich vorgeschrieben einen Tag vorher angekündigt werden. Regelprüfungen beinhalten laut ARGE bei den ambulanten Pflegediensten auch die Abrechnungsprüfung.

Anlassprüfungen erfolgen zum Beispiel bei Beschwerden. Diese Kontrollen sind unangekündigt, Ziel sei die "Abwendung von Schaden", sagt ein Sprecher des MD Bayern. Wurde in einer Einrichtung ein Mangel beanstandet, wird in einer Wiederholungsprüfung kontrolliert, ob der Missstand behoben wurde.

Inhaltlich steht bei den Überprüfungen des MD die "Ergebnisqualität" im Fokus. Das heißt, es geht nicht nur um die Aktenlage, sondern um den Pflegezustand der Menschen. Durchgeführt werden die Prüfungen von Mitarbeitern des Medizinischen Dienstes.

Wie läuft eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst ab?

Eine Regel- oder Wiederholungsprüfung in einer stationären Pflegeinrichtung dauert nach Angaben des MD Bayern fast immer zwei Tage und erfordert zwei oder drei Mitarbeitende vor Ort. In einer ambulanten Pflegeeinrichtung können Regel- und Wiederholungsprüfungen laut MD je nach Zahl der Pflegebedürftigen auch in geringerem Umfang durchgeführt werden. Bei einer Regelprüfung wird je nach Einrichtungsgröße eine Stichprobe der Bewohnerinnen und Bewohner gezogen, die geprüft werden. 

Was genau wird kontrolliert?

Bei der Überprüfung einer Pflegeinrichtung wird nach Angaben des MD Bayern nicht nur die Pflegedokumentation gesichtet, es werden auch die körperliche und pflegerische Situation der Pflegebedürftigen, der Zustand der Zimmer oder der Medikamentenplan kontrolliert. Zudem werden nach Angaben des Medizinischen Dienstes Gespräche mit den Pflegekräften und der Einrichtungsleitung geführt.

Die Prüfergebnisse werden in einem Prüfbericht festgehalten und an die ARGE sowie an die geprüften Einrichtungen und die zuständige Heimaufsicht übermittelt. Darin enthalten sind gegebenenfalls auch Vorschläge, wie man die Pflege in der Einrichtung verbessern könne, so der MD Bayern-Sprecher.

Was passiert, wenn der Medizinische Dienst Missstände entdeckt?

Die Befugnis, Missstände zu beseitigen, liege bei der ARGE und der Heimaufsicht, heißt es vom MD Bayern. Die ARGE könne zum Beispiel die Vergütung kürzen oder den Versorgungsvertrag kündigen. "Im Extremfall kann die Heimaufsicht Pflegeeinrichtungen schließen", so der MD-Sprecher.

Die Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes sollen von 2018 bis 2022 nicht erbrachte Pflegeleistungen in einer Einrichtung in Kitzingen abgerechnet haben. Wann und wie oft wurde dieser Pflegedienst in diesem Zeitraum vom Medizinischen Dienst kontrolliert?

Nach Auskunft des MD Bayern fand die letzte Regelprüfung des beschuldigten Pflegedienstes in Kitzingen am 12. Februar 2019 statt. In den Jahren 2020, 2021 und 2022 habe es keine Regelprüfungen gegeben.

Dafür seien am 21. Juni 2021 und am 15. und 16. März 2022 Anlassprüfungen durchgeführt worden, am 17. August 2022 fand dann eine Wiederholungsprüfung statt, teilt der MD Bayern auf Anfrage mit. Generell sei jede Einrichtung einmal pro Jahr zu prüfen – "eine Anlassprüfung ersetzt dann eine Regelprüfung".

Im September 2022 wurde eine Senioren-Wohnanlage in Kitzingen durchsucht. Mittlerweile stehen die Betreiber des ambulanten Pflegedienstes wegen mutmaßlichen Betruges vor Gericht.
Foto: Archivbild: Hans Will | Im September 2022 wurde eine Senioren-Wohnanlage in Kitzingen durchsucht. Mittlerweile stehen die Betreiber des ambulanten Pflegedienstes wegen mutmaßlichen Betruges vor Gericht.

Wie lief die Kontrolle in der Pflegeeinrichtung in Kitzingen ab?

Der Fall wird derzeit am Landgericht Nürnberg-Fürth verhandelt. Zeugenaussagen im laufenden Prozess legen nahe, dass die Überprüfungen des Pflegedienstes nur mangelhaft erfolgten. Einer Kontrolleurin des Medizinischen Dienstes zufolge könnten Pflegebetriebe kritische Vorgänge ohne Weiteres verschleiern.

Aus ihrer Praxis kritisierte die Zeugin, dass die Kontrollen stets angekündigt werden und dass die Pflegedienste bei der Auswahl der Patienten, anhand derer stichprobenartig geprüft werde, mitentscheiden. Erst wenn der Pflegedienst alle Überprüfungen ablehne, gebe es eine sogenannte "Strukturkontrolle".

Nach Aussage der Kontrolleurin vor Gericht fehlten bei dem Pflegedienst in Kitzingen viele Unterlagen. Ihre Mahnung, dass die vorgeschriebene Pflegefachkraft in dem Betrieb fehle, sei abgetan worden. Es habe geheißen, man werde "zeitnah" eine einstellen. Dies habe sie akzeptieren müssen.

Wie fiel das Ergebnis der Kontrollen des Pflegedienstes in Kitzingen aus?

"Der Medizinische Dienst Bayern hat auch in diesem Fall die Prüfberichte unverzüglich erstellt und an die ARGE weitergeleitet", heißt es vom MD. Für Fragen zu konkreten Anlässen oder Ergebnissen der Prüfungen sowie zu angeordneten Maßnahmen sei die ARGE zuständig.

Dort teilt Sprecherin Regina Greck auf Nachfrage mit: Die AOK Bayern und die ARGE seien "nach Hinweisen auf Abrechnungsunregelmäßigkeiten durch den Pflegedienst" tätig geworden und hätten "auch die Staatsanwaltschaft unterrichtet". Bei der durch die ARGE eingeleiteten Qualitätsprüfung durch den Medizinischen Dienst "wurden bei den in der Stichprobe überprüften Pflegebedürftigen keine Anhaltspunkte für eine problematische pflegerische Versorgung, das heißt nicht sicher gestellte Pflege, festgestellt".

Der ARGE-Sprecherin zufolge erbrachte erst "die unangekündigte Durchsuchung der Staatsanwaltschaft Beweise für gravierende pflegerische Mängel mit Gefährdung der Pflegebedürftigen, woraufhin die Versorgung umgehend neu organisiert wurde". Über weitere Einzelheiten könne man wegen des laufenden Gerichtsverfahrens nicht informieren.

Wo liegen Schwächen der Kontrollpraxis und was müsste sich verbessern?

Immer wieder kommt der Vorwurf auf, dass die Prüfungspraxis lückenhaft geregelt sei. ARGE-Sprecherin Regina Greck sagt: "Die Pflegekassen fordern seit langem die Möglichkeit zu unangemeldeten Regelprüfungen der Pflegedienste". Nur so könnten Missstände umfassend und nachhaltig aufgedeckt werden. "Zudem fordern die Pflegekassen bei Auffälligkeiten in der Abrechnung die Möglichkeit eigenständiger Überprüfung der Abrechnung mittels unangemeldeter Hausbesuche bei den Pflegebedürftigen."

 
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