
Dass der Schuh in der Pflege nicht nur drückt, sondern seine Sohle längst abgetreten ist, zeigt der von der CSU Main-Spessart organisierte Bürger-Pflegetalk mit dem Bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek in der Sinngrundhalle in Burgsinn. Ein großes Thema war der allgegenwärtige Personalmangel. Sogenannte Springerpools seien laut Holetschek in Bayern in 30 Modellprojekten eingeführt worden – finanziert mit 7,5 Millionen Euro. Bayern fördere die Kurzzeit- und Tagespflege, installiere Gemeindeschwestern und wolle für Bürokratieabbau sorgen – der Minister gibt sich konkret: "Wir tun etwas. Aber Verbesserung kommt nicht von heute auf morgen, weil der Schlüssel das fehlende Personal ist." Das Personal sei aber nicht kurzfristig zu beschaffen. Deshalb müsse jetzt an jeder Schnittstelle angesetzt werden.
Und davon gibt es viele. Die Bezahlung alleine könne nicht die Lösung sein, findet Holetschek. Es sei ohnehin ein Problem, Löhne und Gehälter zu erhöhen, aber gleichzeitig die Erstattungsbeträge an die Betreiber nicht anzupassen. Eine Verantwortliche der Caritas Sozialstation aus Lohr lieferte das praktische Beispiel: Die Fahrtstrecke zu einem Patienten, von Lohr nach Ruppertshütten, belaufe sich auf rund 40 bis 50 Kilometer. Für die Anfahrt bekomme die Station 4,60 Euro erstattet. Für das wechseln eines Wundverbands 9,80 Euro. Mit der aufwendigen Dokumentation sei eine Fachkraft insgesamt mehr als eine Stunde beschäftigt – ihr Stundenlohn: Zwischen 50 und 70 Euro. Insbesondere in der ländlichen Region gehe die Kalkulation so nicht auf.
Forderung nach verpflichtendem sozialem Jahr kommt gut an
Die Pflege sei ein toller Beruf, der nicht andauernd nur an seiner Belastung gemessen werden sollte, sagte Holetschek. Die Generalistische Ausbildung, die drei Pflegeberufe vereint, sei bereits ein Schritt in die richtige Richtung, dem Berufsbild wieder mehr Attraktivität zu verleihen. Vielleicht, warf Holetschek ein, könnte auch ein verpflichtendes soziales Jahr ein Teil der Lösung sein. Die soziale Kompetenz und die Bereitschaft, den Beruf zu ergreifen, sehe er dadurch gesteigert. Für diese Forderung erntete er ausgiebigen Applaus. Und, so Holetschek, man müsse auch ausländisches Fachpersonal in den Arbeitsmarkt integrieren.
Immer wieder wurde bei der Veranstaltung in Burgsinn auch die optimierte Gesundheitsvorsorge zum Thema. Stichwort Prävention: Möglichst lange gesund zu Hause zu leben, um die Pflege zu entlasten. Das verhindere aber nicht den Pflegefall, sondern verschiebe lediglich den Eintrittsfall, sagte Hausarzt Dr. Bernold Schenk aus Gemünden: "Letztendlich stirbt jeder. Vorher kommt die Situation der Pflege." Es müsste auf Pflegestationen gesetzt und gesellschaftlicher Druck vom Personal abgewandt werden, damit die Menschen, die sich für die Bevölkerung einsetzen, nicht in die Pleite oder die Unlust zur Berufsausübung getrieben werden. Es sei wichtig, junge Menschen zum Medizinstudium zu motivieren, doch auch das hiesige Personal müsse "gehegt und gepflegt" werden. Im Eingangsbereich des Klinikum Main-Spessart sei auf einem Plakat zu lesen: Wir begrüßen unsere neuen philippinischen Mitarbeiter: "Aber wie kümmere ich mich um die, die schon seit 20 Jahren da arbeiten?"

Probleme in der Pflege dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden
Ein weiterer Arzt wehrte sich dagegen, unterschiedliche Baustellen im Pflegesystem miteinander aufzuwiegen: "Der Fall in Lohr ist ein Hilferuf. Das eine heißt nicht, dass wir das andere vernachlässigen." Auch der Gesundheitsminister widerspricht: "Das sehe ich nicht so. Ich glaube, gleiche Löhne für gute Arbeit muss für alle gelten die hier sind."
Da Fachpersonal nicht wie Unkraut aus dem Boden wächst, brauche es – neben 2700 neuen Studienplätzen in Bayern – neue personalplanerische Ansätze. Etwa Modelle wie Teampraxen und medizinische Versorgungszentren, Gemeindeschwestern und Springerpools, durch die Personal auch kurzfristig dort eingesetzt werden kann, wo es benötigt wird. Auch die Digitalisierung soll helfen. Stichwort: E-Akte und Bürokratieabbau.
Aber Holetschek machte klar, dass die Pflege eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung sei. So müssten Prioritäten gesetzt und etwa darüber nachgedacht werden, ob die Ausbildungskosten im Gesundheitsbereich komplett übernommen werden. Doch der Staat könne nicht alles leisten. Dass die Verstaatlichung der Pflege auch nicht der Königsweg sei, könne man in Großbritannien beobachten.
Was interessiert, sind die großen Themen
Eine Frau im Publikum wollte von Holetschek wissen, wie die Versorgung mit Medikamenten gewährleistet werden könne. Sie sagte, dass sie unter allergischem Asthma leide und seit neun Monaten auf ihr Notfallspray warte. 430 Arzneimittel seien derzeit Mangelware, sagte Holetschek. 40 Prozent der Antibiotika kämen aus China. Viele Wirkstoffe kämen nicht mehr aus Europa. Apotheker müssten deshalb bei der Herstellung unterstützt werden. Rahmenbedingungen müssten so gesteuert werden, dass wieder vor Ort produziert werde. Denn, so Holetschek, auch die Arzneimittelversorgung zähle zur kritischen Infrastruktur.
Immer wieder kamen an diesem Abend die großen Themen zur Sprache. Gegen Ende der Veranstaltung wurde aus dem Publikum die Gebührenordnung für Ärzte angesprochen, die 30 Jahre lang nicht angepasst wurde. Karl Lauterbach könnte die mit einem Handstrich – per Verordnung – anpassen, sagte Holetschek. Aus dem Publikum hallten Rufe, dass sich in 16 Jahren CDU-Regierung ebenfalls nicht um das Problem gekümmert wurde. Es wurde lauter. Gastgeber Thorsten Schwab beendete die Veranstaltung an diesem Punkt und nutzte die letzten Minuten noch dazu, Wahlkampf für die Landtagswahl im Oktober zu machen. Doch niemand folgte ihm mehr. Zu aufgeregt diskutierten die Menschen untereinander. Zu viele Fragen blieben offen.