
Zuletzt ging alles ganz schnell: 30 Jahre spaltete die Debatte, ob Hitlers erklärter Lieblingsmaler Hermann Gradl (1883-1964) als Ehrenbürger von Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) haltbar ist und als Straßenpatron taugt, weite Teile der Stadtgesellschaft. Im Januar distanzierte sich dann der Stadtrat ganz ohne Debatte von der Ehrenbürgerschaft - und beschloss, mit der Gradlstraße nicht mehr den schwer belasteten Künstler, sondern dessen Vater, den Bezirksamtmann Jakob Gradl (1803-1905), zu ehren.
Mehrere Städte und Gemeinden in Unterfranken stellten sich zuletzt die Frage, inwieweit sie - fast 80 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs - die Namen von Nazi-Profiteuren aus dem Stadt- oder Dorfbild verbannen sollten. So heißt das Willy-Sachs-Stadion in Schweinfurt seit Sommer 2021 offiziell nur noch Sachs-Stadion, die Stadt Würzburg beschloss, unter anderem den Straßen und Wegen, die dem Mozartfest-Gründer Hermann Zilcher (1881-1948), dem Städtische-Galerie-Gründer Heiner Dikreiter (1893-1966), dem Komponisten Carl Schadewitz (1887-1945) und dem Medizin-Nobelpreisträger Karl Ritter von Frisch (1886-1982) gewidmet waren, neue Namen zu geben.
Der Umgang der Gemeinden mit Nikolaus Fey ist sehr unterschiedlich
Auch die Nikolaus-Fey-Straße im Würzburger Stadtteil Heidingsfeld wird umbenannt. Der fränkische Heimat- und Mundartdichter hat mittlerweile schon ein gutes Dutzend Stadt- und Gemeinderäte beschäftigt. NSDAP-Mitglied Fey (1881-1956) war als unterfränkischer Beauftragter der Reichsschrifttumskammer unter anderem dafür zuständig, die Texte anderer regionaler Autoren auf ihre Vereinbarkeit mit der braunen Ideologie zu überwachen. Eigene Texte hat er im Sinne der Nationalsozialisten überarbeitet, die Machtübernahme von Adolf Hitler und seinen Schergen verglich Fey mit dem Befreiungskampf des historischen Bauernführers Florian Geyer.

Dennoch, von Alzenau am Untermain über Lohr im Spessart bis Oberaurach in den Haßbergen waren es rund 20 unterfränkische Gemeinden, die dem Dichter in den 60er und 70er Jahren die Ehre erwiesen, eine Straße nach ihm zu benennen. Umbenannt haben ihre Fey-Straßen nun zuletzt unter anderem Karlstadt, Lohr (beide Lkr. Main-Spessart), Haßfurt (Lkr. Haßberge), Alzenau (Lkr. Aschaffenburg), Margetshöchheim und Estenfeld (beide Lkr. Würzburg).
Aber es gibt auch Kommunen, die sich nach einiger Diskussion entschieden, Fey die Ehre zu belassen, so Bergtheim (Lkr. Würzburg) und Wiesentheid (Lkr. Kitzingen). Lediglich um eine sogenannte Kontextualisierung, also einen Hinweis auf die NS-Vergangenheit, will man die Straßenschilder dort ergänzen. Die Anwohnerinnen und Anwohner seien wegen des zu erwartenden Aufwands für Adressänderungen und neue Papiere dagegen, lautete das Hauptargument in Bergtheim. In Wiesentheid, wo Fey geboren wurde und Ehrenbürger war, mutet das Nein zur Straßenumbenennung inkonsequent an: Die dortige Grund- und Mittelschule hat den umstrittenen Dichter nämlich 2021 aus ihrem Namen gestrichen.
Dingolshausen und Ebern: Wichtigeres, als über Straßenschilder zu diskutieren
Noch nicht einigen auf eine Lösung konnten sich bislang die Stadträte in Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt), wo Fey gestorben ist. Die Debatte wurde vor Monaten vertagt. In anderen Kommunen wie Dingolshausen (Lkr. Schweinfurt) oder Ebern (Lkr. Haßberge) haben die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister festgestellt, es gebe Wichtigeres zu tun, als über Straßenschilder zu diskutieren.
Das mag so sein. Allerdings besteht auch eine Verantwortung, solange noch Zeitzeugen und vor allem auch Opfer der Nazi-Politik und ihrer Verdrängung in der Nachkriegszeit leben, über die Tauglichkeit von Menschen, die mit dem damaligen Unrechtssystem verstrickt sind, als Namenspatron zu entscheiden. So jedenfalls sieht es der Historiker Dr. Niels Weise vom Leibniz-Institut für Zeitgeschichte in München.
In Würzburg wurde eine eigene Kommission eingerichtet
Weise war Mitglied der Würzburger Kommission zur Überprüfung von Straßennamen, die sich fast fünf Jahre lang mit rund 90 vermeintlich oder tatsächlich belasteten Namensgebern auseinandersetzte und am Ende dem Stadtrat für viele Einzelfälle Empfehlungen gab, mal fürs Belassen von Namen, mal für die Kontextualisierung und eben auch fürs Streichen beziehungsweise Umbenennen. Der Stadtrat folgte den Ratschlägen weitestgehend.

Für Weise ist klar, dass jede Straßenbenennung eine Ehrung des Namenspatrons bedeutet, diesen zum Vorbild für andere macht. Insofern scheiden Menschen, die sich aktiv für den Nationalsozialismus, für die damals propagierten menschenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Ideale stark gemacht haben, als Namensgeber aus. Entschieden werden müsse der jeweilige Einzelfall.
Die Erinnerungskultur verändert sich mit der Zeit
Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass sich Geschichtsbilder oder die Vorstellung, wessen Biografie als NS-belastet zu bewerten ist, im Lauf der Zeit geändert haben. Hinzu kämen neue historische Erkenntnisse. Deshalb dürften sich die Verantwortlichen in der Politik auch nicht hinter den Entscheidungen ihrer Vorgänger verstecken. Was vielen in den 50er und 60er Jahren unproblematisch schien, "muss es heute nicht mehr sein". Die Erinnerungskultur verändere sich eben.

Historiker Weise sagt, schon die Debatte um die Straßennamen sei wichtig. Am Ende müsse nicht in jedem Fall eine Umbenennung stehen. "Manchmal reicht die Kontextualisierung". Wenn die Diskussion aber, wie im Marktheidenfelder Fall Gradl, aktuell vom Stadtrat gar nicht geführt werde, sei das eher problematisch. Die Auseinandersetzung mit der jüngeren Zeitgeschichte, mit den Fehlern und Versäumnissen, bleibe eine Aufgabe für heutige Generationen.
Müssen auch Martin Luther und Julius Echter weichen?
Gleichzeitig warnt Niels Weise davor, der Versuchung zu erliegen, sich in der Straßennamen-Debatte auch mit den Größen vergangener Jahrhunderte zu beschäftigen. Er halte nichts davon, nun auch die Denkmäler oder Straßen, die Otto von Bismarck, Martin Luther oder Julius Echter würdigen, zu schleifen, auch wenn man diesen Männern aus heutiger Sicht ganz bestimmt Rassismus und Antisemitismus vorwerfen könne.

Zurück in die unterfränkischen Gemeinderäte. Hauptargument, warum sich vielfach einzelne Mitglieder und manchmal eben auch das ganze Gremium gegen Straßen-Neubenennungen wehren, sind die Unbequemlichkeiten und Kosten, die entstünden, wenn Anwohnerinnen und Anwohner, mancherorts auch Gewerbetreibende, ihre Anschrift in den persönlichen Dokumenten, auf Rechnungspapier oder Homepages ändern müssen.
Ein überzeugendes Argument, an einem NS-Profiteur als Namensgeber festzuhalten, sei das nicht, sagt Historiker Weise. In der Tat sichern Kommunen, die sich für Umbenennungen entscheiden, in aller Regel zu, die Kosten für die Korrektur von Reisepässen, Personalausweisen, Führerscheinen oder Grundbucheinträgen zu übernehmen.
Wäre eine Volksabstimmung gewesen, so hätten die Schweinfurter für Ihren Willy das nicht gewollt.
Das ist ein Totschlagargument für nahezu alle Dinge. "Wichtigeres" wird es immer geben egal um was es sich handelt. Überhaupt fragt man sich was da für Diskusionen nötig sind! Die Fakten liegen auf dem Tisch. Als Anwohner möchte ich nicht in einer Straße wohnen die nach einem Befürworter des Nationalsozialismus benannt ist. Das wäre mir auch den oftmals überschaubaren Aufwand wert.
Es gibt Menschen die ziehen notgedrungen öfter im Leben um und müssen ihre Adressen ändern. So ein Riesenaufwand ist das nicht, abgesehen von möglicherweise Firmen.
Immerhin schön, wenn man selbige "fast fünf Jahre" - sicher ehrenamtlich - arbeiten lässt um die gewünschten Ergebnisse zu bekommen.
Und die doofen Anwohner und Firmen zahlen das ganze dann.
Neue Papiere, Visitenkarten, Briefpapier, Werbematerial, Anschreiben an Freunde, Verwandte, Kunde etc. wg. neuer Adresse.
Alle Kommentare belegen, dass ewig Gestrige nicht tot zu kriegen sind.
Wer Experten traut, begibt sich in den Abgrund (siehe u.a Corona).
Aufklärung ist immer besser als Aufhebung.
Und ja, in einem Land, in dem die Landesflaggen von kriegstreibenden Nationen ungestraft geschwenkt werden dürfen, sollte die eigene Geschichte kein Tabu sein, dass man hinter Tresortüren versteckt.
Wir haben nur noch Experten und Besserwisser in Deutschland , welche das Land
bevormunden und auch nur ihre eigene Meinung gelten lassen !
da gebe ich Ihnen völlig recht. Jeder oder Jede scheint in diesem Land für irgendwas ein/e Experte/in zu sein.