Es war eine lange und engagierte Debatte gewesen, an deren Ende am 10. März nach einer Entscheidung des Würzburger Stadtrates feststand: Fünf Straßen werden in Würzburg umbenannt, weil ihre Namensgeber ins Unrechtsregime des Nationalsozialismus verstrickt waren.
Einstimmig beschlossen wurde damals die Umbenennung der nach Nikolaus Fey (Schriftsteller), Carl Schadewitz (Komponist), Heiner Dikreiter (Maler und Galeriedirektor) und Karl Ritter von Frisch (Mediziner und Zoologe) benannten Straßen und Wege. Eine heftige Debatte hatte es um die Rolle von Mozartfest-Gründer Hermann Zilcher gegeben, nach dem eine Straße im Frauenland benannt ist. Aber auch hier entschied sich der Stadtrat mit klarer Mehrheit für eine Umbenennung.
Kriterium: Würzburger Straßen sollen nach Frauen benannt werden
Inzwischen steht fest, welche Namen vier der fünf Straßen erhalten sollen, nur beim Karl-Ritter-von-Frisch-Weg läuft noch die Abstimmung mit dem Freistaat Bayern, in dessen Eigentum sich der auf dem Uni-Gelände am Hubland gelegene Weg befindet. Die Vorschläge für die neuen Namen hat eine eigens einberufene "AG Straßenbenennung" des Stadtrates gemacht.
Ein Kriterium stand dabei von Anfang an fest: Alle neu zu benennenden Straßen werden Namen von Frauen tragen. Damit soll das nach wie vor eklatante Missverhältnis zwischen den nach Männern und Frauen benannten Straßen in Würzburg zumindest etwas ausgeglichen werden.
Bei nur zwei Gegenstimmen (AfD) beschloss der Stadtrat am Donnerstag die neuen Namen. Ein interfraktioneller Änderungsantrag, die im sogenannten Märchenviertel gelegene bisherige Nikolaus-Fey-Straße künftig "Rapunzelweg" zu nennen, war zuvor gescheitert.
Die folgenden biografischen Angaben zu den neuen Namensgeberinnen beruhen auf einer vom Stadtarchiv Würzburg erarbeiteten Vorlage für den Stadtrat:
Rosa Buchbinder (bisherige Carl-Schadewitz-Straße)
Rosa Buchbinder wurde am 10. August 1897 als Tochter des jüdischen Ehepaars Karl und Karoline Buchbinder in Bad Kissingen geboren. Zwischen 1916 bis 1929 war sie am Würzburger Stadttheater als Harfenistin engagiert, 1929 wechselte sie ans Stadttheater Nürnberg. 1933 wurde sie unter Berufung auf das nationalsozialistische "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" aufgrund ihrer Herkunft aus einer jüdischen Familie entlassen.
Danach kehrte sie zunächst nach Würzburg zurück, wo auch ihre Mutter noch wohnte; angesichts des zunehmenden Verfolgungsdrucks emigrierte sie 1937 in die USA und lebte in New York. Ihre Schwester Hilde wurde am 20. September 1940 im Zuge der NS-Krankenmorde ermordet. Ihre Versuche, in den USA als Harfenistin tätig zu sein, scheiterten, ihren Lebensunterhalt erwirtschaftete sie als Fabrikarbeiterin. Sie starb am 16. Mai 1953 in New York.
Milly Marbe-Fries (bisheriger Heiner-Dikreiter-Weg):
Die Malerin Milly Marbe-Fries wurde am 30. Mai 1876 in Frankfurt/Main geboren. Ihre Mutter Anna Fries galt den Nationalsozialisten aufgrund ihres familiären Hintergrunds als Jüdin, Milly Marbe-Fries wegen ihres evangelischen Vaters – in der menschenverachtenden NS-Terminologie – als "Mischling I. Grades" bzw. "Halbjüdin". Drei gemäß der NS-Ideologie als "Volljüdinnen" eingestufte Kusinen von Milly Marbe-Fries mussten ins Ausland emigrieren, eine wurde in der Shoa ermordet.
Milly Marbe-Fries zog mit ihrem Mann, dem Psychologieprofessor Karl Marbe, 1910 nach Würzburg. Hier schuf sie zahlreiche Kunstwerke, zumeist Stillleben, Landschafts- und Porträtbilder, womit sie sich in der Weimarer Republik einen Namen machte. Ab 1932 bewohnte sie mit ihrem Mann die von ihnen errichtete "Villa Marbe" im Judenbühlweg.
Ab 1933 zog sich Milly Marbe-Fries aus der Öffentlichkeit zurück, da sie aufgrund des nationalsozialistischen Rassenwahns Diskriminierung und Ausgrenzung befürchten musste. Öffentlich ausstellen durfte sie ihre Bilder nicht mehr, erst 1946 konnte sie ihre Werke wieder bei einer Ausstellung in der Mozartschule zeigen. Sie starb am 7. August 1947 in Würzburg.
Theresia Winterstein (bisherige Hermann-Zilcher-Straße)
Theresia Winterstein stammte aus einer Sinti-Familie und wurde am 21. Dezember 1921 geboren. Die bereits während der Weimarer Zeit existierenden, Sinti und Roma diskriminierenden Gesetze wurden in der NS-Zeit deutlich verschärft, 1939 wurde der Familie Würzburg als Wohnort zugewiesen.
1939/40 trat Theresia Winterstein wiederholt als Tänzerin und Sängerin im CC-Varieté in der Eichhornstraße und im Würzburger Stadttheater auf. Allerdings wurde ihr alsbald die Ausübung dieser Tätigkeit nicht mehr erlaubt. Bereits zuvor hatte sie ihren späteren Mann Gabriel Reinhardt kennengelernt, den die NS-Behörden als "Vollzigeuner" einstuften, Theresia Winterstein dagegen als "Zigeunermischling mit überwiegend zigeunerischem Blutsanteil", wodurch sie besonders gefährdet war. Zugleich wuchs der Druck der Behörden auf sie, sich zwangsweise sterilisieren zu lassen.
Ihre Zwillinge durfte sie zwar zur Welt bringen, musste sie aber einen Monat nach der Geburt, im April 1943, der Gestapo übergeben, die sie in die Universitätskinderklinik brachte. Vermutlich wurden dort medizinische Experimente an den Kindern vorgenommen, eine Tochter starb. Im August 1943 wurde Theresia Winterstein zwangssterilisiert, Familienmitglieder wurden nach Auschwitz deportiert.
Nach dem Krieg lebte sie zeitweilig in den USA. In Deutschland gründete sie später eine Frauenorganisation der Sinti und Roma, die sich insbesondere auch der Anliegen von Zwangssterilisierten annahm. Am 1. April 2007 ist Theresia Winterstein in Frankfurt gestorben.
Elli Michler (bisherige Nikolaus-Fey-Straße):
Die Schriftstellerin Elli Michler wurde am 12. Februar 1923 in Würzburg geboren. Während des Krieges war sie in einem Industrieverband dienstverpflichtet. Die Arbeit dort bezeichnete sie rückblickend als "stumpfsinnig" und "ungeliebt".
Michler studierte in Würzburg und zog später nach Frankfurt. Bereits in den 1950er Jahren schrieb sie erste lyrische Versuche. 1980er Jahren veröffentlichte sie erstmals einen Band mit Werken von sich, dem bis zu ihrem Tod noch mehrere weitere folgten. 2010 erhielt sie für ihr dichterisches Werk das Bundesverdienstkreuz.
"Mit ihren Gedichten versuchte sie, die im modernen Alltag verlorengegangenen Werte wieder ins Bewusstsein zu rufen: Verbundenheit mit der Natur, Verwurzelung in der Heimat, Geborgenheit in der Liebe. Elli Michler hat sich einen sicheren Platz unter den erfolgreichsten Lyrikerinnen unserer Zeit errungen", heißt es in einer Beschreibung ihres Werkes durch ihren Verlag. Elli Michler starb am 18. November 2014 in Heilbronn.
Über das Leben von Theresia Winterstein veröffentlichte der Historiker und frühere Main-Post-Redakteur Roland Flade 2008 das Buch "Dieselben Augen, dieselbe Seele. Theresia Winterstein und die Verfolgung einer Würzburger Sinti-Familie im 'Dritten Reich'".
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/leserforum-eine-schande-wie-mit-geschichte-umgegangen-wird-art-10715944
Wie wird jetzt wohl die Hochschule für Musik mit ihrem "Zilcher"-Brunnen umgehen?
Und wer regelmäßig die Veranstaltung "Musik publik – Short Recitals zur Mittagszeit" in der Bibrastraße besucht, schreitet unter einem "Zilcher-Porträt-in-Öl" einher...
Vielleicht kann da mal die Stadt Würzburg nachfragen?
Aber trotzdem zu dürftig. Zum Beispiel gar kein Vergleich, was z.B. Barbara Stamm geleistet hat.
Es geht eben nicht nur um Personen, die sich um Würzburg "verdient" machten!
Dutzende von Würzburger Straßennamen beziehen sich auf Personen, deren Bedeutung sich losgelöst vom Namen der Stadt allgemein definiert.
Da sich @nonymus nogel aber mehrfach, z.Bsp. in der Debatte um die Nazidichter FEY-Straße in Karlstadt, in diesem Forum eindeutig positioniert hat, zähle ich ihn zu den sog. Unbelehrbaren...
Da nützten auch Leseempfehlungen meinerseits zu Faktenlagen nichts!
Zur Erwähnung des Namens Stamm, auch im Zusammenhang mit dem Jörgschen Faulhaberplatzumbenennungsvorschlag (Schöner TOP-Titel für den Stadtrat) evtl. mal recherchieren "BSE-Skandal", "Rücktritt Stamm", "WDR Monitor Stamm", "Seehofer Raus aus Bayern" u.s.w.
Zur Sache: wenn sich die Personen nicht um Würzburg verdient gemacht haben müssen/sollen, sondern "deren Bedeutung sich losgelöst vom Namen der Stadt allgemein definiert", so sehe ich auch das hier nicht als gegeben.
Der lange Namen wird sicher abgekürzt. Niemand wird milly-marbe-fries-straße sagen.