
Arzneimittel fehlen, im Winter drohen neue Grippe- und Coronawellen. Es mangelt an jungen Allgemeinmedizinern und die Digitalisierung stockt. Die Liste der Probleme in den Hausarztpraxen ist lang. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) warnt bereits vor einem "Praxenkollaps". In Unterfranken ist ein Viertel der Praxen von einer Schließung bedroht, sagt Joachim Lentzkow, Hausarzt aus Goldbach (Lkr. Aschaffenburg) und neuer Vorstandbeauftragter der KVB für Unterfranken. Im Gespräch erklärt der 57-Jährige, warum ältere Hausärzte dringend umdenken müssen, weshalb er Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zwiespältig sieht - und wo die Digitalisierung nicht zu Ende gedacht ist.
Joachim Lentzkow: Das ist vorsichtige Panikmache. Es gibt Bedrohungen, die einen Praxenkollaps befürchten lassen – beispielsweise, wenn bei der Digitalisierung Änderungen so unausgegoren wie das E-Rezept durchkommen und nicht optimiert werden. Hinzu kommt das Problem der Altersstruktur.
Lentzkow: Zu wenige Medizinstudienabgänger lassen sich als Hausärzte nieder. Das ist eine große Gefahr. In Unterfranken sind bei den Hausärzten 39 Prozent 60 Jahre oder älter – mehr als im bayerischen Durchschnitt. Ich glaube, dass wir Mediziner umdenken und mehr für die Zukunft planen müssen. Bei Studierenden besteht grundsätzlich Interesse an einer Niederlassung. Aber noch lassen wir die jungen Ärzte oft allein, statt uns um sie zu bemühen. Wir müssen uns anstrengen, sie in die Praxen einladen und ausbilden, uns kümmern.
Lentzkow: Genau. Und fragen Sie mal, welcher von den älteren Ärzten eine Weiterbildungsermächtigung hat und wie viele Studierende bei ihm in den letzten zehn Jahren ein Praktikum gemacht haben. Leider leben noch viele ältere Kollegen in der Überzeugung, dass die Jungen schon auf sie zukommen werden.
Lentzkow: Es gibt keine unterversorgten Bereiche – aber es gibt Gegenden, die darauf zusteuern. Zum Beispiel Gerolzhofen, Bad Brückenau, Bad Königshofen oder Lohr am Main. Das heißt, dort haben wir Sorge, in diesen Bereichen wird eine Niederlassung von der KVB gefördert. Die Hausärzte, die dort die 60 überschreiten, sind Kollegen, die nie eine Arbeitszeitregelung kennengelernt haben und Tag und Nacht für ihre Patienten da sind. Das ist von der Generation nach uns nicht mehr zu erwarten, und das ist gut so. Die Jungen haben Recht und wir können davon etwas lernen. Aber natürlich müssen wir die Bedingungen schaffen, dass die Versorgung trotzdem gut funktioniert.
Lentzkow: In genauen Zahlen ist das schwer zu sagen, aber 25 Prozent sehe ich als bedroht.
Lentzkow: Das bedeutet eine schlechtere hausärztliche Versorgung. Wenn man auf Orte wie Mellrichstadt oder Hammelburg blickt, wird es eng – dann muss man unter Umständen weit zum nächsten Hausarzt fahren. Und es gibt keine schlüssigen Konzepte, das zu verhindern.

Lentzkow: Aus meiner Sicht hängt es sehr an den Einzelpraxissitzen. Der Trend geht klar in Richtung Gemeinschaftspraxis oder MVZ. Dort können sich Kollegen absprechen und gegenseitig vertreten.
Lentzkow: Ich sehe MVZs als eine Möglichkeit. Ich bin selbst im Landkreis Aschaffenburg in einer Gemeinschaftspraxis mit zwei Partnern und zwei angestellten Ärzten tätig und wir können unser Dorf gut versorgen, ohne dass wir in Stress geraten. Es ist immer jemand da, immer jemand ansprechbar. Auch große MVZs haben diesen Vorteil bei der Versorgung, aber es geht gerade im hausärztlichen Bereich die individuelle, persönliche Betreuung der Patienten verloren. Die Bindung zwischen Arzt und Patient ist weniger eng – es ist mehr eine Geschäftsbeziehung als in einer kleineren Praxis.
Lentzkow: Dagegen laufen viele Initiativen seitens der Ärztekammern. Bei einer investorengeführten MVZ-Landschaft steht der Gewinn im Vordergrund. Natürlich wollen auch wir Ärzte Geld verdienen. Problematisch bei Investor-gesteuerten MVZs ist aber, dass sie unter Umständen noch Kliniken im Portfolio haben, diese vielleicht bedienen müssen und so großzügig Klinikeinweisungen veranlasst werden. Solche Gerüchte gibt es. Als Hausarzt halte ich gewinnorientierte Medizin für riskant.
Lentzkow: Ein Problem ist sicher die Digitalisierung. Da hängen wir am Datenschutz, es geht um Gesundheitsdaten und die sind sensibel, aber das bremst uns aus. Hinzu kommt, dass Neuerungen oft nicht zu Ende gedacht sind. Wir erleben das bei der elektronischen Krankschreibung: Wir schicken die Formulare an die Krankenkassen, die aber übermitteln sie nicht automatisch an den Arbeitgeber, weil niemand im Vorfeld diese Schnittstelle bedacht hat. Daran hakt die Entwicklung. Und das ist analog auf das E-Rezept übertragbar. Ich bin eigentlich ein Fan der elektronischen Gesundheitsakte und finde es sehr sinnvoll, diese Daten immer dabei zu haben. Allerdings sind die Systeme dafür nicht richtig genormt, jeder macht seinen Stiefel und das kann nicht sein. Wir wollen die Digitalisierung – aber irgendwie kriegen wir sie nicht hin.
Lentzkow: Eine sinnvolle Digitalisierung ist eine, bei der der Patient Herr über seine Daten ist und einen unkomplizierten, nicht zeitfressenden Umgang mit den Daten erlaubt. Das bedeutet, dass ich als Arzt Teile der elektronischen Patientenakte wie Befunde an den Patienten und Kollegen übermitteln oder dass ich den Medikamentenplan an die Apotheken leiten kann. Letztlich geht es darum, Arbeitsabläufe zu optimieren, weniger zu stempeln, einzuscannen, zu unterschreiben und zu faxen. Sinnvoll ist alles, was das Personal entlastet, vor allem die medizinischen Fachangestellten (MFA). Denn die zu finden, wird immer schwieriger.
Lentzkow: Wir arbeiten mit Menschen und das kann auch mal schwierig sein. Patienten sind in einer Ausnahmesituation und man muss wissen, wie man mit Erkrankten umgeht. Eine MFA, die gut ausgebildet ist und Erfahrung hat, ist ein unbezahlbarer Schatz. Nur: Solches Personal zu finden und zu halten, ist nicht leicht. Das liegt hauptsächlich am Geld, uns fehlt ein Inflationsausgleich und wir können uns die Tarife, wie sie Kliniken bezahlen, nicht leisten. Das ist eine erhebliche Bedrohung für die Praxen.
Lentzkow: Es ist das gleiche Level. Wir haben schwierige Arbeitssysteme im Gesundheitswesen, sperrige Ausbildungen und scheitern daran, jungen Menschen die Berufsbilder positiv zu vermitteln. Da verbauen wir uns so viel.
Lentzkow: Ich kann beispielsweise dafür sorgen, dass sich die bestehenden Gesundheits-Einrichtungen besser vernetzen und mit Gemeinden gemeinsam Bedingungen schaffen, um junge Ärzte zu halten. Die Idee ist, dass ein junger Arzt aus der Rhön nach seinem Pflichtpraktikum im Klinikum in Bad Neustadt in der Rhön bleibt, weil er dort eingebunden ist und sich wohl fühlt. Man muss die Jugend von Anfang an packen. Nur: Wenn wir damit heute anfangen, dauert es zwölf Jahre, bis diese Studierenden fertig sind. Dann sind die jetzt 60-Jährigen 72. Viele dieser Kollegen werden so lange arbeiten, sie fühlen sich verpflichtet, ihre Patienten nicht hängen zu lassen – und ehrlich gesagt: Das rettet uns ein bisschen den Kopf.