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Mainstockheim/Grafenrheinfeld
Wichtige Arzneimittel fehlen: Wie Hausärzte in Unterfranken nach Lösungen für ihre Patienten suchen
In Apotheken fehlen Herzmedikamente, Blutdrucksenker, Insulinpräparate: Die Liste der Lieferschwierigkeiten ist lang. Was das für Hausärzte jetzt bedeutet.
Nicht nur Apotheken in Unterfranken haben mit den großen Engpässen bei Medikamenten zu kämpfen: Für viele Hausärztinnen und Hausärzte bedeutet es Mehraufwand.  
Foto: Monika Skolimowska, dpa | Nicht nur Apotheken in Unterfranken haben mit den großen Engpässen bei Medikamenten zu kämpfen: Für viele Hausärztinnen und Hausärzte bedeutet es Mehraufwand.  
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:22 Uhr

Lieferengpässe bei Medikamenten belasten unterfränkische Hausärzte und ihre Patienten in immer stärkerem Maß. "In den letzten Monaten hat sich die Lage wirklich dramatisch zugespitzt", sagt Dr. Mohammad Ahmadi, Facharzt für Allgemeinmedizin in Mainstockheim (Lkr. Kitzingen) und Bezirksdelegierter des Bayerischen Hausärzteverbands. Pro Tag, sagt Ahmadi, bekomme er fünf bis zehn Anrufe aus Apotheken wegen nicht lieferbarer Medikamente, verbunden mit der Bitte um Alternativ-Rezepturen für seine Patienten.

Aber was tun, wenn wichtige Medikamente nicht oder kaum ersetzt werden können?

Digitoxin fehlt: Erst Engpass, seit Anfang Dezember kompletter Lieferstopp

Dies sei etwa bei Digitoxin der Fall, sagt der Hausarzt, einem verbreiteten Herzmedikament, das bei Vorhofflimmern oft verschrieben wird, um den Herzrhythmus zu stabilisieren. Schon seit Anfang September seien alle Wirkstärken und Packungsgrößen der Digitoxin-Tabletten des Hauptherstellers nicht lieferbar. Anfang Dezember habe der Hersteller dann mitgeteilt, dass er die Produktion dieses Medikaments komplett einstelle, sagt Ahmadi.

Alternativen? "Schwierig", sagt der Mainstockheimer Hausarzt. Digitoxin beeinflusse Puls und Blutdruck von Herzpatienten kaum, Alternativmedikamente könnten dies nicht leisten. "Ich führe dauernd Gespräche mit Patienten, die große Angst haben, weil sie ihr gewohntes Herz-Medikament nicht mehr bekommen können", berichtet Ahmadi. Oft müsse er den Angehörigen dieser Patienten erklären, "warum es halt jetzt ohne das gewohnte Mittel gehen muss".

Das Herzmedikament Digitoxin fehlt: Für Dr. Jürgen Schott und seine Frau Dr. Astrid Schott vom Hausarztzentrum Grafenrheinfeld bedeutet dies einen höheren Zeitaufwand und viele Gespräche mit Patienten. 
Foto: Helmut Glauch (Archivbild) | Das Herzmedikament Digitoxin fehlt: Für Dr. Jürgen Schott und seine Frau Dr. Astrid Schott vom Hausarztzentrum Grafenrheinfeld bedeutet dies einen höheren Zeitaufwand und viele Gespräche mit Patienten. 

Frustrierend für den Arzt, bedrohlich für die Patienten. So sieht das auch Dr. Jürgen Schott aus Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt). "Digitoxin wird relativ rasch überdosiert. Wir sind froh, wenn die passende Dosis für jeden Patienten gefunden und der Patient stabil ist", erklärt Schott, der 30 Jahre Erfahrung als Hausarzt hat. Werde bei einem Lieferengpass oder Lieferstopp das Medikament ausgesetzt und Wochen oder Monate später eventuell wieder verordnet, sei es schwierig und zeitaufwändig, die Patienten wieder auf das Medikament einzustellen.

"Wir müssen dann die Patienten sehr engmaschig kontrollieren", sagt Schott. "Müssen dafür die Patienten, die teils bettlägerig sind, häufiger einbestellen, Blut abnehmen, die Blutwerte anschauen, öfter mit den Angehörigen reden." Diese erhöhte Vorsicht sei nicht nur nötig bei Digitoxin – ganz grundsätzlich könne ein Aussetzen gewohnter Medikamente oder die Umstellung auf andere Medikamente ein Risiko darstellen. Als Beispiel nennt der Mediziner aus Grafenrheinfeld  Blutdrucksenker.

Wegen Umstellung irritiert: Manche Patienten nehmen Blutdrucksenker doppelt

So habe es längere Zeit Lieferprobleme mit Valsartan gegeben. Dieser Blutdrucksenker sei "durchaus etwa durch Candesartan ersetzbar", erklärt Schott. Es sei aber vorgekommen, dass Patienten oder deren Angehörige sich das gewohnte Valsartan wieder besorgt hätten, etwa bei einer Verschreibung bei einem Facharztbesuch. Manche Patienten hätten dann gar nicht realisiert, dass sie dann gleich zwei Blutdrucksenker parallel einnahmen - "bis sie mit extrem niedrigem Blutdruck in die Sprechstunde gekommen sind", sagt Schott.

Blutdrucksenker gehören zu den Medikamenten, die besonders oft von Lieferengpässen betroffen sind. Hausärzte müssen umstellen - und ihre Patientinnen und Patienten intensiver kontrollieren.  
Foto: Bernd Weissbrod, dpa | Blutdrucksenker gehören zu den Medikamenten, die besonders oft von Lieferengpässen betroffen sind. Hausärzte müssen umstellen - und ihre Patientinnen und Patienten intensiver kontrollieren.  

Dass gerade ältere Patienten mit der zwangsweisen Umstellung ihrer Blutdrucksenker nicht klar kommen und entweder dann gar nichts mehr oder zu viel davon einnehmen –diese Erfahrung hat auch Hausarzt Dr. Andreas Hahn aus Poppenhausen (Lkr. Schweinfurt) gemacht. Er weiß von Patienten, die so viel eingenommen hatten, dass ihnen daheim schwarz vor Augen wurde und sie sich am Fuß der Kellertreppe wiederfanden.

Diabetiker betroffen: Aktuelle Lieferengpässe auch bei Insulin-Produkten

Nicht nur Herz- und Blutdruckpatienten, auch Diabetiker sind von den Engpässen oder Lieferstopps in der Pharmaindustrie betroffen. Laut einer Lieferengpassliste des Bundesgesundheitsministeriums sind aktuell etliche Insulinpräparate nicht lieferbar. "Das macht die Therapie schwierig und aufwändig für uns Hausärzte", sagt Dr. Petra Gehrsitz aus Karlburg (Lkr. Main-Spessart). "Wir müssen die Patienten nämlich neu schulen."

So gebe es derzeit Lieferengpässe bei sogenannten Pen-Produkten für Insulin: "Sieht aus wie eine Art Kugelschreiber, bei dem man mit einem Rädchen die Zahl der Einheiten einstellen kann, die dann subkutan injiziert werden müssen", erklärt die Hausärztin. Im Moment seien aber Patronen-Produkte eher lieferbar als die Pens. "Das bedeutet, dass die Patienten die Patrone in den Pen einführen und ein paar Handgriffe mehr machen müssen." Nicht einfach für viele Patienten, die älter sind oder nicht mehr gut sehen. 

Und nicht nur für ältere oder schwer erkrankte Patienten sind die vielen Lieferschwierigkeiten ein Ärgernis. "Die Leute bekommen ein Rezept, gehen in die Apotheke, dort werden sie zurück zum Arzt geschickt. Oder ihnen wird gesagt, dass sie benachrichtigt werden", berichtet der Mainstockheimer Hausarzt Dr. Mohammad Ahmadi. Probleme gebe es auch bei Schmerzmitteln oder Antibiotika. So fehle etwa der antibiotische Saft Cotrim, der Kindern bei Blaseninfekten verschrieben wird. "Der ist praktisch nicht ersetzbar", sagt Ahmadi.

Warum fehlen in Deutschland immer mehr wichtige Medikamente?

Laut der neuesten Liste des Bundesgesundheitsministeriums sind aktuell 307 Medikamente in Deutschland nicht lieferbar. Warum aber fehlen immer mehr Medikamente? Befragten Ärzten zufolge lassen Pharmaunternehmen die Wirkstoffe ihrer Medikamente oft in Billiglohnländern wie Indien oder China produzieren und machen sich dabei teilweise von einem einzigen Großproduzenten abhängig. Stockt etwa wegen eines Lockdowns die Herstellung oder kommt es beim  Transport zu Verzögerungen, sei schnell ein Engpass die Folge. 

Viele Ärzte, wie auch der Grafenrheinfelder Allgemeinmediziner Dr. Jürgen Schott, machen die Krankenkassen mitverantwortlich. Weil die Kassen Rabattverträge mit nur einem oder ganz wenigen Herstellern abschlössen, drängten sie Konkurrenten aus dem Markt, die sich dann aus der Produktion zurückzögen.

Die Kassen beantworten solche Kritik damit, dass Rabattverträge sich kostensenkend auswirkten und eine Begrenzung der Kassenausgaben die Lohnnebenkosten stabilisiere. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat angekündigt, die Strukturen im Gesundheitswesen so ändern zu wollen, dass die Arzneiproduktion sicherer wird.

 
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  • D. E.
    Und vermutlich sind die Grünen wieder daran schuld.
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  • H. G.
    Das ist die Quittung dafür, dass das gesamte Gesundheitswesen zum Geschäft gemacht wurde. Das Märchen, dass der Markt im Prinzip alles regelt, war noch nie wahr. Die Pharmaindustrie möchte gerne wenige teure Medikamente verkaufen. Die altbewährten, für die oft Patente schon abgelaufen sind, sind den Pharmaunternehmen nicht lukrativ genug, lässt man die Patienten lieber wegsterben.
    Gesundheitswesen ist Daseinsvorsorge und nicht als Renditebeschleuniger geeignet.
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  • T. W.
    Genau so ist das! Bravo!
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  • J. F.
    @rosenkavalier: Wenn unsere gut bezahlte Regelungselite den Preis so weit drückt, dass nicht mehr rentabel produziert werden kann, dann stellen die Unternehmen halt die Produktion ein. Das wundert mich jetzt nicht. Ein Dankeschön und Applaus für geleistete Arbeit reicht den wenigsten Menschen.
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  • T. W.
    Für ein Land wie Deutschland ist das ein Armutszeugnis!!! Unser System heißt eigentlich SOZIALE Marktwirtschaft und nicht profitgierige Marktwirtschaft! Aber da sind wir schon lange nicht mehr....... FDP und Co sei Dank......
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  • O. S.
    Selbst Fiebersaft für Kinder fehlt. Wichtige Medikamente für unsere Bevölkerung sind nicht vorhanden weil die Lieferung sich Verzögert etc…
    Hier sollte schnellstens wieder ein Umdenken erfolgen!!!!!
    Ein Arzt und ein Krankenhaus können auch nur so gut sein wie Medikamente zur Heilung oder Besserung beitragen.
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  • M. S.
    D ist eine wirkliche Banenenrepublik geworden
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  • M. B.
    Hauptsache das Zeug welches aus Indien oder China kommt (irgendwann) ist billig damit sich die Firmen beim Weiterverkauf eine goldene Nase verdienen. Der Aktionär möchte ja schließlich eine ordentliche Dividende. Ob Patienten Medikamente dringend benötigen ist den Pharmakonzernen egal.
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  • J. F.
    Top-Medizin zum Discounter-Preis bleibt halt langfristig illusionäres Wunschdenken. Da helfen "Gesundheitsreformen" (die nur Kostensenkungsaktionen sind) und Super-Rabattverträge der Krankenkassen nicht weiter. Eine goldene Nase wollen sich viele 'verdienen' . Man denke nur an das Politik-Umfeld bei den sog. Maskendeals.
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