SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach drängt auf eine "Aufholjagd" bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Das E-Rezept soll ab Januar 2024 Pflicht werden, die elektronische Patientenakte (ePA) soll folgen. Ist Lauterbachs Plan aus Sicht fränkischer Ärzte überhaupt realisierbar? In den Praxen in Unterfranken befürchtet man Komplikationen über Komplikationen.
Dass Lauterbach das E-Rezept jetzt auf die Schnelle durchdrücken will, freut Ärztinnen und Ärzte aus der Region keineswegs: "Niemand will das E-Rezept, die Nachfrage der Patienten ist gleich Null", berichtet Dr. Jürgen Schott, Hausarzt in Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) und Vize-Bezirksdelegierter des Bayerischen Hausärzteverbands.
Für das E-Rezept: Aktuelle Gesundheitskarte und modernes Smartphone nötig
Grundsätzlich sollten die Patientinnen und Patienten fürs E-Rezept eine aktuelle Gesundheitskarte und ein entsprechendes Smartphone besitzen, bei denen Daten per Funk ausgelesen werden können. Viele, vor allem ältere Versicherte dürfte dies abschrecken. Zwar bekommen die Patienten, gerade in der Anfangsphase, ihr Rezept noch auf Papier ausgedruckt, allerdings mit verschlüsselten, also nicht lesbaren Rezeptdaten.
Hausarzt Jürgen Schott erwartet deshalb Chaos. Was, wenn man in der Apotheke vielleicht ein falsches Medikament bekommt, selbst aber nicht weiß, was auf dem Rezept steht? Und hat die Apotheke das Medikament schon aus ihrem Bestand ausgebucht, dürfe sie es gar nicht mehr zurücknehmen, sagt Schott. "Der Patient kann das Medikament dann wegwerfen. Und die Arztpraxis darf kein neues Rezept mehr ausstellen, da sie sonst einen Krankenkassenregress bekommt."
Droht durch die Umstellung auf Online-Rezepte ein Apothekensterben?
Der Grafenrheinfelder Arzt wirkt auch nicht glücklicher, wenn er sich vorstellt, dass die Rezeptvergabe zukünftig komplett online abwickelt wird. "Sollte es so kommen wie geplant, werden die Medikamente dann von Patienten im Online-Handel bestellt", sagt Schott. "Dann bekommen wir ein noch größeres Apothekensterben und niemand ist mehr da, Medikamente am Wochenende oder in der Nacht herauszugeben."
Für die Einführung des E-Rezepts brauchen die Arztpraxen neue Software und Hardware. Nutzbar sind E-Rezept-fähige Programme aber offenbar noch nicht überall: "E-Rezepte können wir aktuell nicht ausstellen; unsere Praxissoftware stellt uns das vor dem 1. Januar 2024 nicht zur Verfügung", sagt der Ochsenfurter Augenarzt Dr. Alexander Zeitz.
Viele verschiedene Praxis-Systeme: Schnittstellen anfällig für Fehler
Aber auch wenn die nötige Soft- und Hardware vorhanden ist, wird für die Arztpraxen die Ausstellung von E-Rezepten umständlich, kompliziert und zeitaufwändig sein, prognostiziert Dr. Marc Metzmacher, Digitalbeauftragter des Bayerischen Hausärzteverbands.
Als Problem sieht Dr. Metzmacher aus dem mittelfränkischen Gunzenhausen etwa die Zusammenarbeit der Systeme. "Bislang hatte man ja nur seine Software, die allenfalls mit den Druckern kommunizieren musste", sagt Metzmacher. Aber mit den zusätzlichen Schnittstellen gebe es nun eine "Vielzahl an Komplikationen, die auftreten können". Und Metzmacher befürchtet, dass Praxen bei technischen Problemen allein gelassen "und von einer Hotline zur nächsten verwiesen werden".
Jedes einzelne Patientenrezept müsse in Zukunft elektronisch signiert werden, sagt der Digitalbeauftragte. "Dieser Vorgang benötigt bis zu einer halben Minute oder mehr - da starrt man nur auf den PC und wartet", sagt Metzmacher. Allein die Signatur der E-Rezepte führe "zu einem erheblichen Mehraufwand, der wahrscheinlich während des Betriebs nicht geleistet werden kann".
E-Rezepte in der Testphase: Mehrbelastungen von Patienten und Praxen
Die Umsetzung der Digitalisierung "ist eine einzige Farce", sagt Dr. Tobias Freund. Den Hausarzt aus Kitzingen ärgert vor allem, "wie langsam, umständlich, ineffizient und teuer das umgesetzt wurde beziehungsweise wird". Grundsätzlich halte er das E-Rezept und die elektronische Patientenakte für eine gute Sache, sagt Freund. Noch allerdings "funktioniert das alles nicht".
Der Kitzinger Mediziner hat E-Rezepte in seiner Praxis getestet. Sein vorläufiges Fazit: "Wir müssen immer wieder viele Stunden teure EDV-Beratung in Anspruch nehmen, um das System fit zu machen und zu halten." Das koste Zeit, die in der Patientenversorgung fehle. Auch die elektronische Krankschreibung funktioniere nur zum Teil, immer wieder gebe es Fehlermeldungen.
Auch in der Familienpraxis Mainstockheim (Lkr. Kitzingen) wird das E-Rezept schon genutzt. Aber, sagt Dr. Mohammad Ahmadi, der unterfränkische Bezirksvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands, der Einsatz verlaufe nicht unproblematisch: Seine Praxis könne das E-Rezept aktuell nur bei Patienten nutzen, die zu "unserer Apotheke vor Ort" gehen. Bei einem seiner Patienten, der in einer Apotheke in Kitzingen war, konnte das Rezept wegen Softwareproblemen nicht abgerufen werden. "Der Patient musste wieder zu uns in die Praxis kommen und sich ein normales Rezept ausstellen lassen, nachdem zuvor mehrfach die Apotheke mit meinen Arzthelferinnen und mir telefoniert hatte", berichtet Ahmadi.
Bleibt der Patient noch Herr über seine Daten?
Die Digitalisierung bleibe bislang ohne Mehrwert für Praxen und Patienten, warnt die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB). Die Anwendungen hätten "hauptsächlich bei Krankenkassen für effizientere Verwaltungsabläufe gesorgt und damit zu Einsparungen in Millionenhöhe geführt", heißt es in einer aktuellen Mitteilung. In den Praxen hingegen sei der Aufwand gestiegen.
Anwendungen wie die elektronische Patientenakte könnten Diagnostik und Therapie zwar unterstützen - sie müssten sich aber "aufwandsarm in den Praxisalltag integrieren lassen und einen spürbaren Nutzen" bieten. Noch sei das keineswegs der Fall, berichtet die KVB. Damit der Start des E-Rezepts gelinge, müsse "die Technik reibungslos funktionieren", unabhängig vom eingesetzten Praxissystem.
KVB-Vorstandsbeauftragter für Unterfranken: "Neuerungen oft nicht zu Ende gedacht"
Joachim Lentzkow, der neue KVB-Vorstandsbeauftragte für Unterfranken, bemängelt, dass bei der Digitalisierung "Neuerungen oft nicht zu Ende gedacht" seien. Der Hausarzt mit Praxis in Goldbach (Lkr. Aschaffenburg) hält die elektronische Gesundheitsakte grundsätzlich für wichtig. "Allerdings sind die Systeme dafür nicht richtig genormt, jeder macht seinen Stiefel und das kann nicht sein", sagt Lentzkow. Eine sinnvolle Digitalisierung sichere einen "unkomplizierten, nicht zeitfressenden Umgang mit den Daten". Und sie erlaube dem Patienten, "Herr über seine Daten" zu bleiben.
Sagt mal Leute, pennt ihr? Lest ihr keine Zeitung? Guckt ihr im TV nur Trash?
Übrigens belästigen auch die Krankenkassen ihre Mitglieder regelmäßig mit Informationen auf Papier. Liest die jemand?
Täuscht der Eindruck, dass auch die Ärzte durchaus etwas mehr Veränderungsbereitschaft an den Tag legen könnten?
Wozu gibt es Testpraxen, die bei der Einführung dabei sind und das System erproben und wo es - wenn man den Leuten die Zeit geben würde- reifen könnte?
Ich arbeite selbst in der Entwicklung, wenn auch in einem anderen Bereich. Anfangsschwierigkeiten und Kinderkrankheiten sind normal. Das hat sicher schon jeder bemerkt, der ein neues Auto gekauft hat, was ganz neu auf dem Markt eingeführt wurde. Tests sind nicht perfekt und es bleiben Lücken.
Aber hier im Gesundheitssystem beschleicht mich das Gefühl, dass in kurzer Zeit das nachgeholt werden soll, was in den letzten 5 Jahren nicht geworden oder versäumt wurden.
Und da sind wir wieder am Anfang: den Schmerz, den man am Anfang bei der Einführung eines unreifen Systems hat, diesen Schmerz würde ich mir und meinen Patienten nicht zumuten wollen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.
Wir haben in Deutschland gerade so viele Themen, wo wir mit Vollgas unterwegs sind. Manchmal ist man mit weniger Geschwindigkeit schneller am Ziel, weil es durchaus Kurven geben soll, durch die man mit Vollgas nicht heil durchkommt…
E-Rezept bringt für die meisten Patienten Vorteile, denn man hat nur einen Weg zur Apotheke. Bisher musste man häufig 2-3 fahren, da das Medikament nicht vorrätig war.
Im Gegensatz dazu habe ich das *Recht* zu wissen was auf dem Rezept steht -- auch - im wahrsten Sinne des Wortes - auf dem Papier. Die EU-DSGVO regelt - auch gegenüber dem Staat - zudem dieses Auskunftsrecht und die daraus resultierende Pfilcht unzweideutig.
Im Klartext. Notfalls regeln das Gerichte.
Die Digitalisierung muss voran getrieben werden weil Deutschland stellt sich immer als Technologieland hin und dann hinken wir allen anderen hinter her weil sich die Leute dagegen wehren.
Es müsste halt bis alles funktioniert noch die nächsten 2 Jahre parallel laufen mit Papierrezept. Die Elektronische AU finde ich bereits gut muss ich sie nicht mehr zur Krankenkasse und Arbeitgeber schicken.
Und wenn alles funktioniert um auf die Älteren Rücksicht zu nehmen müsste es halt so gemacht werden Patienten bis Geburtsjahr 1970 bekommen auf Wunsch Papier der Rest muss sich eben mit der Digitalisierung auseinander setzen was man eigentlich auch Leute zumuten kann die jünger als 50 sind.