Viele Ärzte und Apotheker in Deutschland sind gerade ziemlich sauer auf einen Mann, der gar nicht mehr im Amt ist: Jens Spahn, bis Herbst Bundesgesundheitsminister. Der CDU-Politiker hat viele Jahre lang die umfassende Digitalisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben. Wäre es nach seinen Vorstellungen gegangen, wären sowohl die elektronische Krankschreibung, wie auch das elektronische Rezept jetzt schon eingeführt. Doch zahlreiche Pannen rund um die Einführung der neuen Gesundheitstools sorgen laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) in den Praxen für erheblichen Ärger und große Skepsis.
Gesundheitskarte der neuesten Generation verursacht oft Systemabsturz
Der Sprecher der unterfränkischen Kassenärzte, Dr. Christian Pfeiffer aus Giebelstadt (Lkr. Würzburg), teilt den Frust vieler seiner Kolleginnen und Kollegen. Der Gesetzgeber hat Kassenärzte verpflichtet, ihre Praxis mit einer Telematik-Infrastruktur (TI) auszustatten, um am praxisübergreifenden "Versicherungsstammdatenmanagement" teilzunehmen. Doch noch hat Pfeiffer an der Telematik keine rechte Freude: Sie neige dazu, komplett abzustürzen, wenn eine Gesundheitskarte der neuesten Generation (G2.1) ins Kartenlesegerät eingeführt wird.
Giebelstädter Arzt: Systemabsturz ausgerechnet am Impfnachmittag
"Wir hatten einen Fall ausgerechnet an einem Impfnachmittag", berichtet der Hausarzt über einen solchen Zusammenbruch des Telematik-Systems. "Das war sehr ärgerlich, ich konnte ja meinen geimpften Patienten keinen Ausdruck über die Corona-Impfung mitgeben." Mittlerweile habe er sich einige Tricks angeeignet. So schließt er etwa ein externes Lesegerät an, um die Telematikstruktur zu umgehen. "Und von Kollegen habe ich gehört, dass es hilft, diese neuen Gesundheitskarten erstmal über die Heizung zu halten, dann laden die sich nicht elektrostatisch auf und die Telematik stürzt nicht ab."
Der KV-Vorstandsbeauftragte für Unterfranken sagt, es nerve schon sehr, dass der Praxisbetrieb, ohnehin durch Corona und die Winterinfekte aktuell hochbelastet, durch unausgereifte Strukturen behindert werde. "Grundsätzlich sind wir Hausärzte nicht gegen Digitalisierung, aber Systeme müssen praxistauglich sein und großflächig getestet", sagt Pfeiffer. "Und sie sollten nicht während einer Pandemie eingeführt werden."
Kassenärzte fordern einjährige Testphase bei elektronischen Rezepten und Krankschreibungen
Seine oberfränkischen Kollegin Dr. Petra Reis-Berkowicz hat in ihrer Funktion als Vorsitzende der KVB-Vetreterversammlung vor Weihnachten eine Petition gegen die "verpflichtende Einführung gesetzlich festgelegter Anwendungen innerhalb der Telematikinfrastruktur ohne ausreichende Testphasen" auf den Weg gebracht. Über 50 000 Ärztinnen und Ärzte haben die Petition unterzeichnet. Gemeinsam wollen sie erreichen, dass elektronisches Rezept wie auch elektronische Krankschreibung erst noch eine einjährige Testphase durchlaufen, bevor der verpflichtende Start kommt.
Die elektronische Krankschreibung hat Pfeiffer in seiner Praxis auch schon getestet: "Eine Erleichterung bringt das aktuell wirklich nicht. Im Gegenteil." Seiner Erfahrung nach dauert die Krankschreibung auf elektronischem Wege "drei- bis viermal so lang wie die Krankschreibung auf Papier". Zudem kann aktuell die Krankschreibung elektronisch nur an die Krankenkassen, nicht aber an den Versicherten selbst und dessen Arbeitgeber übermittelt werden. "Das bringt ja dem Patienten keine Erleichterung." Was Pfeiffer besonders ärgert ist, dass er bei einer elektronischen Übermittlung an die Kasse nicht sicher sein kann, ob die Information tatsächlich durchgegangen ist. "Dann sitzt man abends da und muss das kontrollieren. Das bedeutet zusätzliche Arbeit, die kein Arzt braucht."
Ähnlich ernüchternde Erfahrungen hat Wolfgang Schiedermair gemacht, Würzburger Sprecher des Bayerischen Apothekerverbands. Auch Apotheken sind per Gesetz verpflichtet worden, sich an die Telematik-Infrastruktur anzubinden. Sie brauchen dafür nicht nur "Konnektor", zugehörige Gerätekarte plus Kartenlesegerät, sondern auch einen elektronischen Heilberufler-Ausweis für rund 500 Euro. Dieser berechtigt Apothekerinnen und Apotheker, im digitalen System tätig zu werden. Und nicht zuletzt braucht es die zugeteilte digitale Signatur der Apotheke.
Mit Tools und Ausweisen ausgestattet, hat sich der Inhaber der Würzburger Glocken-Apotheke schon einige Male daran gemacht, ein elektronisches Rezept an die zuständige Abrechnungsstelle zu übertragen. Von Ärzten erhalte er im Moment zwar keine elektronische Rezepte übermittelt, sagt Schiedermair. "Aber bei selbst hergestellten Rezepturen wie speziellen Hautcremes oder etwa beim Methadon-Programm möchte ich die Arbeit, die ich damit habe, ja abrechnen."
Unpraktisch: 32-stelliger Code für die Abrechnung eines e-Rezepts
Dass die elektronische Abrechnung ihm die Arbeit erleichtert, kann der Apotheker nicht behaupten. "Bisher hatten wir ein Rezept in Papierform, haben dann zwecks Abrechnung unsere Daten draufgeschrieben. Jetzt müssen wir zusätzlich im elektronischen Rezept einen 32-stelligen Code übertragen, damit die Daten überhaupt übermittelt werden", klagt Schiedermair. Und selbst wenn er den 32-stelligen Code fehlerfrei eingegeben hat, könne er nicht sicher sein, die Vergütung zu erhalten: "Manchmal werden die Datensätze von der Abrechnungsstelle nicht korrekt gelesen, dann bekomme ich als Apotheker auch kein Geld. Und man zögert halt, eine Software zu benutzen, wegen der man dann nicht bezahlt wird."
Die wenigsten Apotheker fühlen sich beim elektronischen Rezept gut vorbereitet
Umfragen in anderen Würzburger Apotheken ergeben, dass die wenigsten sich beim elektronischen Rezept gut vorbereitet und informiert fühlen. "Da sind noch zu viele Fragen offen, deshalb läuft das bei uns noch nicht", heißt es. Oder einfach: "Wir haben noch kein elektronisches Rezept verarbeitet." Die Erleichterung darüber, dass der neue SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach Ende Dezember wegen technischer Probleme die flächendeckende Einführung des elektronischen Rezepts erst einmal gestoppt hat, ist spürbar.
Und Sprecher Wolfgang Schiedermair verweist auf ein Grundproblem: "Selbst wenn das digitale Rezept kommt, werden wir auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte eine Parallelstruktur haben." Rezepte auf Papier werde es weiter geben, dazu die komplizierten elektronischen Rezepte. Zwar sei die Umstellung "im Prinzip richtig", sagt der Apotheker. Aber: "Das Ganze ist eine Hoppla-Hopp-Aktion, schlecht vorbereitet, schlecht konzipiert."
Digitale Patientenakte: eine Chance oder eine Gefahr?
Der Würzburger Apotheker hätte sich gewünscht, dass die Digitalisierung in einzelnen kleinen Schritten kommt. "Meiner Ansicht nach wäre es sinnvoller gewesen, erst nur die Patientenkarteien zu digitalisieren und etwa bei chronisch Kranken die Medikation auf der Karte zu dokumentieren."
Auch die digitale Patientenakte ist Gesetz und soll flächendeckend kommen. Doch während etliche Krankenkassen ihren Mitgliedern bereits Apps oder auch Schulungen schmackhaft machen, mit denen sie ihre privaten Gesundheitsdaten verwalten können, sind Datenschützer noch uneins, ob die digitale Patientenakte eine Chance ist - oder eine Gefahr.