Der "Stöpsel" ist gezogen, aus dem Ellertshäuser See wird das Wasser abgelassen. Es ist das zweite Mal, dass der mit 33 Hektar Fläche größte Stausee Unterfrankens zwischen Ebertshausen und Fuchsstadt im Landkreis Schweinfurt für Sanierungsmaßnahmen trockengelegt wird. Beim ersten Mal, 1983, hatte man keine Erfahrung, nicht alles lief gut. Nun hat das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen als Betreiber der Staustufe das mit drei bis fünf Millionen Euro veranschlagte Projekt von langer Hand vorbereitet.
Trotzdem wird es massive Auswirkungen haben: für die Natur, für die Tiere, für die Menschen. Wieso wird der See trockengelegt und wie ist der Ablauf? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Warum muss das Wasser im Ellertshäuser See abgelassen werden?
Die sogenannte vertiefte Überprüfung, die regelmäßig an allen staatlichen Wasserspeichern in Bayern durchgeführt wird, hat erheblichen Sanierungsbedarf an den Massiv- und Wasserbauteilen offenbart. Der Ablassschieber auf dem Seegrund und die 80 Meter lange Abflussleitung müssen erneuert werden. Mikroben, winzig kleine Lebewesen, fressen an den Stahlbauteilen. Im Fachjargon spricht man von mikrobiell induzierter Korrosion, kurz MIC. Damit der in den 1950er-Jahren gebaute Stausee weiterhin seine Funktionen – Hochwasserrückhaltung und Niedrigwasseraufhöhung – erfüllen kann, ist eine aufwendige Sanierung nötig. Gleichzeitig soll der See entschlammt werden, um die Wasserqualität zu verbessern.
Hat man Alternativen geprüft?
Das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen sieht keine andere Möglichkeit als das Ablassen des Wassers. Die korrodierten Stahlbetonbauten auf dem Seegrund könnten auf andere Weise nicht trockengelegt werden. Den Vorschlag aus der Bevölkerung, Spundwände um das Abflussbauwerk aufzubauen und das Wasser nur dort herauszupumpen, halten die Fachleute technisch für nicht machbar. Der Wasserdruck hinter den Spundwänden würde zu hoch. Durch Ausspülungen im Untergrund könnte das Wasser dann in die Baugrube drücken und – noch schlimmer – den Dichtkörper durchstoßen. Folge wäre ein Dammbruch. 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser würden sich dann auf einmal über das Tal ergießen und alle darunter liegenden Ortschaften überschwemmen.
Wo fließt das Wasser hin?
Das Wasser aus dem See wird über ein Abflussrohr unter dem Hauptdamm hindurch hinaus in den Sauerquellenbach geleitet. Von dort fließt es in den Geißler, der in die Lauer mündet. Danach geht es weiter in die Saale, dann in den Main und Rhein und letztlich in die Nordsee.
Wie lang dauert es, bis der See leer ist?
Am 29. September wurde der Schieber ein kleines Stück geöffnet, um den Wasserspiegel erst einmal um einen Meter auf das Winterstauziel (333,50 mNN) abzusenken. Statt der üblichen acht Liter wurden 300 Liter Wasser pro Sekunde über das Abflussrohr in den Sauerquellenbach geleitet. Aktuell laufen Stabilisierungsarbeiten am Vordamm, um den Vorsee weiter aufstauen zu können. Er wird zur Übergangsheimat für Fische. Der Schieber wird nun Zug um Zug weiter aufgemacht, der Durchfluss auf bis zu 500 Liter pro Sekunde erhöht. Bis Ende Oktober wird bereits gut die Hälfte des Wasser abgelaufen sein, spätestens Ende November soll der See leer sein.
Wie geht es weiter?
Über die Wintermonate passiert erst einmal nichts. Der Schlamm bleibt liegen und soll auf natürliche Weise entwässern. Im Frühjahr, wenn er ziemlich trocken ist, wird er mit Lastwagen abgefahren und entweder auf Äckern ausgebracht, für Rekultivierungsmaßnahmen verwendet oder entsorgt, je nachdem wie hoch die Schadstoffbelastung ist. Im März 2022 beginnen die eigentlichen Bau- und Sanierungsmaßnahmen. Wenn alles glatt läuft, kann der See ab Mitte 2022 wieder eingestaut werden.
Wie viele Fische sind im See und was passiert mit ihnen?
Die Fische müssen vor der kompletten Entleerung in Sicherheit gebracht werden. Das Abfischen soll Anfang November erfolgen, wenn die Seefläche schon deutlich geschrumpft ist. Das Wasserwirtschaftsamt hat damit Profis aus Norddeutschland beauftragt, die mit großen Schleppnetzen über den See fahren und möglichst viele Tiere aus dem Wasser holen sollen. Die kleinen Fische kommen in den Vorsee und werden später wieder eingesetzt. Die größeren werden an Angelsportvereine oder an die Gastronomie verkauft.
Der Fischereiverband Unterfranken geht von insgesamt 20 bis 25 Tonnen Fisch aus. 1983, als der See schon einmal trockengelegt wurde, hat man 18 Tonnen Fisch herausgeholt. Viele Tiere verendeten damals. Sie blieben im Abfluss stecken oder verbuddelten sich im Schlamm und erstickten.
Was ist das Problem beim Abfischen?
Das Abfischen ist grundsätzlich für die Tiere mit Stress und damit auch mit Leiden verbunden. Die Fische sollen deshalb so kurz wie möglich außerhalb des Wassers sein. Das größte Problem ist der Schlamm. Je weiter der Wasserspiegel abgesenkt wird, desto kritischer wird die Situation. Große Fische wühlen Schlammlöcher auf, in denen kleinere sich einbuddeln. Der Schlamm setzt sich in den Kiemen fest und muss sofort ausgespült werden, damit sie nicht qualvoll ersticken. Dazu braucht es viel Frischwasser, das über Schlauchleitungen herbeigeschafft werden soll.
Was bedeutet die Sanierung für die Angler?
Es wird Jahre dauern, bis am Ellertshäuser See wieder geangelt werden kann. Zuerst einmal muss wieder Wasser im Becken sein, um überhaupt neuen Fischbesatz einbringen zu können. Dann muss sich der See erholen und der Besatz akklimatisieren. Auch am Vorsee kann in dieser Zeit nicht geangelt werden. Er soll ebenfalls entschlammt werden und wird dafür im Frühjahr 2023 abgelassen.
Welche Folgen hat die Trockenlegung für das Ökosystem?
Für die Tier- und Pflanzenwelt ist es eine brachiale Maßnahme: "Es wird massive Verluste geben", prognostiziert der Naturschutzbeauftragte am Landratsamt Schweinfurt, Gerhard Weniger. Die größten Beeinträchtigungen sieht er für die Amphibien. Sie sollen beim Absenken des Pegels eingesammelt und in den Vorsee umquartiert werden. Auch die Muscheln, die am Boden leben, müssen nach dem Ablassen abgesammelt werden. Den Insekten wird das Wasser ebenfalls fehlen. Die Libelle zum Beispiel legt ihre Eier im Wasser ab.
Dann gibt es noch den Biber, der sich auf der kleinen Insel in der sogenannten Biotopbucht am Südufer angesiedelt hat. Das Wasserwirtschaftsamt will sie zum Teil als Rückzugsort für die Amphibien erhalten. Nach dem Ablassen des Wassers wird deshalb die obere Hälfte der Bucht durch die Aufschüttung eines Damms vom Hauptsee abgetrennt und wieder mit Wasser befüllt.
Was bedeutet die Sanierung für den Segelclub?
Die Mitglieder des Segelclubs Ellertshäuser See (SCES), der sein Gelände in der Altenmünsterer Bucht am Nordufer hat, müssen an andere Seen ausweichen. Die größten Einschnitte hat der Segler-Nachwuchs. Der SCES betreibt intensive Jugendarbeit, bildet schon Kinder ab sieben Jahren für den Segeljüngstenschein aus und veranstaltet interne Regatten. Jetzt soll die Jugendausbildung teilweise an den Schweinfurter Baggersee verlagert werden. Auch befreundete Segelclubs in Nürnberg und Erlangen könnten aushelfen. Wenn mehrere Saisons ausfallen sollten, befürchtet man beim SCES aber einen erheblichen Schwund.
Kann der abgelassene See betreten werden?
Der unmittelbare Baubereich darf aus Sicherheitsgründen nicht betreten werden. Der gesamte Seebereich wird aber nicht abgesperrt. Auch der 5,5 Kilometer lange Ellertshäuser Seeweg entlang des Ufers soll begehbar bleiben. Gleiches gilt für die drei Nordic-Walking-Touren, die am See beginnen und sowohl für Einsteiger als auch für ambitionierte Sportler reizvoll sind.
Was ist mit dem Freizeittourismus am See?
Im Rathaus der Marktgemeinde Stadtlauringen, die seit 1997 das touristische Nutzungsrecht für die vordere Hälfte der Seefläche mit etwa 20 Hektar Ufergelände besitzt, werden Pläne geschmiedet, wie der Ellertshäuser See auch ohne Wasser Anziehungspunkt für Urlauber, Touristen und Naturliebhaber bleiben kann. Baden, surfen, paddeln und tauchen kann man in den nächsten Jahren natürlich erst einmal nicht, aber Kiosk und Gaststätte sollen für Spaziergänger und Schaulustige geöffnet bleiben. Allein das leere Stauseebecken wird ja schon eine Attraktion sein. Angedacht sind auch Führungen durch den Tunnel, die Besichtigung der technischen Anlagen oder für Kinder eine Schatzsuche mit Metalldetektoren auf dem Grund des Sees.
Wie lange dauert es, bis der See wieder gefüllt ist?
Aufgrund des Klimawandels und den daraus resultierenden niederschlagsarmen Sommermonaten rechnet das Wasserwirtschaftsamt damit, dass sich das Becken frühestens in zwei bis drei Jahren wieder vollständig mit Wasser gefüllt hat.
Ein drittes Mal wird der See übrigens wohl nicht abgelassen werden müssen: Für künftige Revisionsarbeiten will das Wasserwirtschaftsamt vorsorgen und im Zuge der Bauarbeiten eine Grundsperre vor dem Hauptdamm errichten lassen. Zieht man dann irgendwann wieder den "Stöpsel", senkt sich der Wasserspiegel hinter der Grundsperre nur bis auf Höhe dieses kleineren Damms ab, während gleichzeitig der Bereich um das Ablassbauwerk leer läuft. Diese Technik kommt an anderen Stauseen bereits zum Einsatz.