Sie attackieren Abwasserleitungen, fressen Löcher in Metall, zersetzen sogar Betonfundamente. Auch über die technischen Betriebseinrichtungen des Ellertshäuser Sees haben sie sich hergemacht: Mikroben, winzig kleine Lebewesen, mit dem bloßen Auge gar nicht zu erkennen. Sie fressen an der Grundab- und Betriebsauslass-Leitung, ein 80 Meter langes Stahlrohr mit einem halben Meter Durchmesser, über das vom Seegrund aus unter dem Damm hindurch kontinuierlich mindestens acht Liter Wasser pro Sekunde vom Stausee in den Sauerquellenbach geleitet werden müssen. Die Rohrwandung wird dadurch immer dünner. Im Fachjargon spricht man von mikrobiell induzierter Korrosion, kurz MIC.
"Die Leitung muss ausgetauscht werden", erklärt Leonhard Rosentritt, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Bad Kissingen. Die Behörde, die dem Bayerischen Umweltministerium untergeordnet und auch für den Landkreis Schweinfurt zuständig ist, unterhält für den Freistaat Bayern den Stausee. Sie ist für den ordentlichen Betrieb und damit auch für den Unterhalt der technischen Betriebseinrichtungen verantwortlich. Und diese sind marode. Das hat eine "vertiefte Überprüfung" ergeben. Dabei wurde mit einer Kamera das Rohr bis in den See hinein befahren. Die Bilder zeigten laut Rosentritt einen Bakterienbefall, den die Bundesanstalt für Wasserbau als mikrobiell induzierte Belastung bestätigt habe. "Wir müssen sanieren, es gibt keine andere Möglichkeit."
Und dazu muss das Wasser des Sees abgelassen werden. Denn die befallenen Stahlbetonbauten stehen mitten im Wasser. Eine andere technische Möglichkeit sehen der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes und sein zuständiger Fachmann, Abteilungsleiter Andreas Kirchner, nicht. Der Vorschlag aus der Bevölkerung, Spundwände um die Klappen des Abflusses am großen Damm zu stellen und das Wasser herauszupumpen, "geht technisch nicht". Das würde zu einem Dammbruch führen, sagen Rosentritt und Kirchner. Denn hinter den Spundwänden würde sich ein hoher Wasserdruck aufbauen, "wir hätten das Wasser dann nicht mehr unter Kontrolle". Es könnte durch Ausspülungen im Untergrund nicht nur in die Baugrube drücken, sondern auch den Dichtkörper durchstoßen und zu einem Grundbruch führen. "Das wäre schlichtweg eine Katastrophe."
1983 wurde der Ellertshäuser See schon einmal trockengelegt
Schon einmal ist der See abgelassen worden. Das war 1983. Damals war das Problem die Verlandung. Zu viel Schlamm hatte sich am Boden angesammelt. Auch Ablassschieber waren verrostet, und es mussten Notverschlüsse eingebaut werden. Das Wasserwirtschaftsamt hatte seinerzeit einen Dammbruch nicht mehr ausschließen können. Zehntausende Kubikmeter Schlamm wurden dann vom Grund des Sees herausgefahren, in einem Auffangbecken zwischengelagert und als Düngemittel an Landwirte abgegeben. Damit eine vergleichsweise so rabiate Maßnahme nicht mehr nötig werden würde, hatte man im Zuge der Trockenlegung eine Tiefenbelüftung eingebaut. Dabei wird über Schläuche Sauerstoff in den See gepumpt, der dort über Düsen entweicht. Im Sommer sieht man die Wasserblasen in der Mitte des Sees blubbern.
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Mit acht Quadratkilometern ist das Wassereinzugsgebiet des Ellertshäuser Sees vergleichsweise klein, die Verschlammung ist deshalb nicht so stark wie in anderen Stauseen. Zudem hat der Ellertshäuser See nach 1983 einen Ringkanal erhalten, der nährstoffreiche Abwässer vom See fernhält. Trotzdem ist auch hier nach Jahrzehnten wieder einmal eine Entlandung nötig. Und weil gleichzeitig aufwändige Sanierungsmaßnahmen anfallen, macht ein Ablassen des Sees für das Wasserwirtschaftsamt Sinn. "Uns wäre es auch lieber, wenn das nicht nötig wäre", sagt Rosentritt.
Der Zeitplan sieht folgendermaßen aus: Ende September wird mit der Absenkung des Wasserspiegels begonnen. Dazu wird der Grundablass geöffnet, sozusagen der Stöpsel aus der Badewanne gezogen. Nur, dass das Wasser nicht in einem Schwall abgelassen wird. Bei 1,5 Millionen Kubikmeter, die sich im Seebecken befinden, wäre sonst ringsum Land unter. Peu à peu soll das Wasser über den Abfluss in den Sauerquellenbach geleitet werden. Von dort fließt es dann in den Geißler, über Lauer und Saale in Main und Rhein, um letztlich in die Nordsee zu münden.
Am Damm des Vorsees laufen bereits Sanierungsarbeiten
Sechs bis acht Wochen wird es dauern, bis der See leer ist. Parallel zum Ablassen wird abgefischt. Ein Teil der Fische soll Zwischenquartier im Vorsee beziehen, um später wieder eingesetzt zu werden. Dort beginnen schon im Sommer Sanierungsarbeiten. Der Damm hat ein Leck, die Innendichtung muss erneuert werden. Was nicht mit Netzen abgefischt wird, sollen die Angler aus dem Wasser holen. "Sie dürfen so viel angeln, wie es geht", sagt Rosentritt.
Über die Wintermonate passiert dann erst einmal gar nichts. Der Schlamm bleibt liegen und soll auf natürliche Weise entwässern. Im Frühjahr, wenn er ziemlich trocknen ist, wird er mit Lastwagen abgefahren und entweder auf Äckern ausgebracht oder für Rekultivierungsmaßnahmen verwendet. Es laufen bereits geologische Untersuchungen zur Schadstoffbelastung, um ein Verwertungskonzept erstellen zu können. "Wir gehen nicht davon aus, dass der Schlamm stark belastet ist", meint Rosentritt.
Im März 2022 beginnen die eigentlichen Bau- und Sanierungsmaßnahmen. Und diesmal will das Wasserwirtschaftsamt Vorsorge treffen, dass in künftigen Jahren tatsächlich kein Ablassen des Sees mehr nötig sein wird. So soll vor dem großen Damm ein kleiner, etwa halb so hoher Damm aufgeschüttet werden, sozusagen eine Grundsperre. Sie ermöglicht es, bei künftigen Revisionsarbeiten die technischen Betriebseinrichtungen dazwischen trockenzulegen, ohne den See bis auf den Grund zu leeren. Der Wasserspiegel muss dann nur noch auf Höhe des kleinen Damms abgesenkt werden, um trockenen Fußes an Grundab- und Betriebsauslassschieber zu gelangen.
Zwei bis drei Millionen Euro Kosten sind veranschlagt
Erste Vorarbeiten haben jetzt schon am Hauptdamm begonnen. Er wird vor Beginn der Baumaßnahme auf seine Dichtigkeit überprüft. Dazu werden an mehreren Stellen Bohrkerne entnommen, die am Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) in Hof untersucht werden. Anhand der Durchfeuchtung lässt sich auf die Standfestigkeit des Dammes schließen. Die Bohrstellen sollen später zu Messstellen ausgebaut werden, so dass eine kontinuierliche Überwachung des Damms möglich sein wird.
Zwei bis drei Millionen Euro Kosten kalkuliert das Wasserwirtschaftsamt für die Gesamtmaßnahme ein. Es könnten auch vier oder fünf Millionen Euro werden, wenn der Schlamm doch schadstoffbelastet sein sollte und entsorgt werden müsste. Für die laufende Sanierung am Vorsee kommt noch einmal eine halbe Million Euro hinzu. Das Bayerische Umweltministerium hat das Geld im Haushalt 2021/22 eingeplant. Der Ellertshäuser See steht auf der Prioritätenliste, er ist einer von vier Talsperren, die saniert werden.
Wenn alles glatt läuft, kann der See ab Mitte 2022 wieder eingestaut werden. Beim letzten Mal hat es eineinhalb Jahre gedauert, bis das Becken voll war. Angesichts der seit 2003 anhaltenden Trockenheit rechnet Rosentritt diesmal mit der doppelten Zeit. Denn der See speist sich ausschließlich aus dem Sauerquellenbach und Regenwasser. "Wir können nur hoffen und beten, dass es dann möglichst viel regnet."