Helmut Kohl war Bundeskanzler und der Hamburger SV Deutscher Meister. Der Liter Sprit kostete 1,36 Deutsche Mark, die Halbe Bier 90 Pfennige. Die Sensation des Jahres 1983 in Deutschland aber war der Fund der Hitler-Tagebücher, die sich später als gefälscht herausstellten.
Ein sensationelles Ereignis gab es damals auch im Schweinfurter Oberland: Der Ellertshäuser See wurde wegen Sanierungsarbeiten abgelassen. Ein Fund kam dabei auch zum Vorschein: ein untergegangenes Boot und zwei Fahrräder. Nicht spektakulär, aber echt.
Leonhard Rosentritt war 1983 junger Referendar am Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen. Und einer seiner ersten Außeneinsätze war die Sanierung des Ellertshäuser Sees. Damals hat er wohl nicht geahnt, dass er 38 Jahre später, dann als Chef dieser Behörde, ein zweites Mal das Ablassen des Ellertshäuser Sees miterleben wird. In diesem Herbst, Ende September, soll der größte Stausee Unterfrankens, der sich im Besitz des Freistaates Bayern befindet und für dessen Unterhalt das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen zuständig ist, erneut wegen Sanierungsarbeiten an den technischen Anlagen unter Wasser trockengelegt werden. "Das ist schon etwas Besonderes, so etwas macht man eigentlich nur einmal im Berufsleben mit."
Dass es ein solches Großprojekt noch einmal geben würde, das war auch nicht vorgesehen gewesen. Man hatte bei der Sanierung 1983 eigens den Betriebsaus- und Grundablass so umgebaut, dass Notverschlüsse gesetzt werden konnten. Der Plan war, bei künftigen Revisionsarbeiten eine Stahlhaube über das Betonbauwerk am tiefsten Punkt des Stausees zu stülpen und diese luftdicht zu verschließen. Wenn man dann den Stöpsel zieht, läuft nur das Wasser unter der Haube ab und die Reparaturen können vom Stollen aus, der unter dem Damm hindurch zum See führt, durchgeführt werden.
Test mit der Stahlhaube
Der Plan funktioniert auch. Das hatte man im trockengelegten See 1983 und zehn Jahre später sogar nochmal im "Echtbetrieb" unter Wasser getestet. Doch jetzt, wo es tatsächlich Ernst wird, klappt es nicht. Das Wasserwirtschaftsamt hatte vor zwei Jahren Profi-Taucher engagiert, weil man an das Ablassbauwerk ran wollte. "Die haben es mehrfach versucht, aber die Haube einfach nicht festgekriegt", erzählt Rosentritt. Mittlerweile hat sich nun eh herausgestellt, dass die Haubenlösung gar nicht getaugt hätte. Denn wahrscheinlich muss der gesamte Stahlbetonbau unter Wasser saniert werden, weil er von Bakterien befallen ist. Mikrobiell induzierte Korrosion ist die Fachbezeichnung dafür.
"Das hat es bei uns nicht gegeben", schüttelt Klaus Huppmann ungläubig den Kopf. Der 73-Jährige kennt den Ellertshäuser See wie seine Westentasche, denn er war in den 1980er-Jahren der Talsperren-Beauftragte des Wasserwirtschaftsamtes Bad Kissingen. Gemeinsam mit dem damaligen Abteilungsleiter, dem jungen Baurat Michael Klüpfel, wickelte er seinerzeit das Großprojekt ab. "Wir tappten völlig im Dunkeln", meint Huppmann sprichwörtlich. "Denn keiner wusste, wie es dort unten aussieht." Das Wasser war trüb und dreckig von Abwässern, die ringsum in den See liefen. Gewässerschutz war in den Achtzigern noch kein relevantes Thema. Algenbildung und Fischsterben seien an der Tagesordnung gewesen. "Der See ist regelmäßig umgekippt." Es mussten mehrmals in der Saison Badeverbote erlassen werden.
Auch damals wurden Taucher nach unten geschickt. Sie sollten den Zustand des Bauwerks untersuchen. "Doch die haben vor lauter Schlamm nichts gesehen", erinnert sich Huppmann. "Wir wussten weder, in welchem Zustand die Abläufe waren, noch wieviel Schlamm dort unten ist." Es waren 10 000 Kubikmeter. "Der Grundablass war komplett von Schlamm bedeckt", erzählt Huppmann. An manchen Stellen seien die Arbeiter in ihren Wathosen regelrecht versunken. Sechs Wochen brauchten die Bagger, um diese Menge auf Lastwagen zu verladen und in die beiden ausgekofferten Absetzbecken oberhalb des Sees zu transportieren. Der Schlamm aus dem Vorsee war vorab abgesaugt worden, damit er beim Ablassen nicht auch noch in den Hauptsee geschwemmt worden wäre.
Schlange standen später die Bauern mit ihren Fuhrwerken, um sich den "guten Boden" für ihre Äcker zu holen. Heute geht das nicht mehr so einfach. Der Schlamm muss erst auf Schadstoffe untersucht und ein Verwertungskonzept erstellt werden. Rosentritt geht davon aus, dass sich diesmal weniger Schlamm im See befindet. Denn bei der Sanierung 1983 erhielt der Ellertshäuse See eine Ringkanalleitung am Nordufer, über die nun das Abwasser aus der Ortschaft Ebertshausen am See vorbei in den Ablauf geleitet wird.
Für die Fische standen zu wenig Behälter bereit
Die eigentliche Attraktion damals aber war das Ablassen des Wassers. "Da haben viele Leute zugeschaut", erinnert sich Rosentritt. Mitte August 1983 ging es los. Der Wasserspiegel wurde zunächst nur um einen halben Meter abgesenkt, um den Badebetrieb nicht zu beeinträchtigen. Die vollständige Absenkung erfolgte dann im September.
Vorher wurde abgefischt. Rückblickend weiß man, dass hier vieles nicht optimal gelaufen ist. "Wir wussten nicht, wieviele Fische im Wasser sind", erklärt Huppmann das Dilemma. Also wurde geschätzt und die Menge der Fische voll unterschätzt. Es waren Massen. Die mit dem Abfischen beauftragte Fischzucht Müller aus Gerolzhofen konnte gar nicht so viele Behälter bereitstellen, wie benötigt wurden.
"Riesengroße Fische waren da drin." Rosentritt selbst hat mitgeholfen, einen zwei Meter langen Waller zum Abtransport in ein Schlauchboot zu verfrachten. Viele Fische blieben im Schlamm stecken, verendeten jämmerlich. Auch durch die Grundablassleitung wurden massenweise Fische hinausgespült. Am Sauerquellenbach standen dann die Helfer, um sie mit Käschern und Netzen herauszuholen. Ein Drittel der Fische hat die Aktion nicht überlebt.
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Diesmal will man es anders, besser machen. "Wir werden ein professionelles Unternehmen zum Abfischen beauftragen", sagt Rosentritt. Auch der Fischereiverband Unterfranken sei beratend eingebunden.
Das Abfischen hat zwei Tage gedauert
Zwei Tage hat das Abfischen gedauert. Dann wurde das Wasser abgelassen. Und weil man den See möglichst schnell leer haben wollte, wurde der Ablassschieber weit aufgedreht. Zu weit. 500 Liter Wasser pro Sekunde flossen davon. Mit der Folge, dass der Campingplatz unterhalb "abgesoffen" ist, erzählt Huppmann. Also wurde wieder zugedreht. Das ging aber nicht so schnell, weil die großen Absperrschieber noch per Hand gedreht werden mussten und zum Teil eingerostet waren. "Wir hatten Sorge, dass wir sie nicht mehr zubringen", gesteht Huppmann.
Auch daraus hat man gelernt. Wenn der See in diesem Herbst abgelassen wird, werden maximal 200 Liter pro Sekunde durch den Abfluss fließen. Der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes hat die Unterlagen von damals gut studiert. Alle Arbeitsschritte wurden mit Fotos dokumentiert, sie füllen einen ganzen Leitzordner. Rosentritt kommt zu dem Schluss: "Bis auf den Verlust bei den Fischen, ist das Projekt als solches gut gemanagt worden." Und was die damaligen Sanierungskosten betrifft, waren das im Vergleich zu heute "lächerliche Beträge". 500 000 Deutsche Mark sind als Ausgaben vermerkt. Diesmal hat das Wasserwirtschaftsamt zwei bis drei Millionen Euro veranschlagt.