Stellen Sie sich vor, im Ellertshäuser See ist kein Wasser mehr. Schon in naher Zukunft könnte das der Fall sein. Denn das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen will im Herbst 2021 die technischen Anlagen in dem als Naherholungsgebiet für Segler, Badegäste und Angler genutzten Stausee sanieren. Und das geht nur, wenn kein Wasser drinnen ist. Alle Fische müssen vorher raus. Zig Tonnen sind das. Vom Aal bis zum Zander. Von winzig bis riesig. Und dann die große Menge Wasser, die abgelassen und wieder eingefüllt werden muss. Es wird ein gigantisches Projekt. Mindestens ein Jahr wird es dauern. Und mindestens eine Badesaison wird buchstäblich ins Wasser fallen.
Hinter den Kulissen laufen seit längerer Zeit beim Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen schon die Planungen. Die Behörde, die dem Bayerischen Umweltministerium untergeordnet und auch für den Landkreis Schweinfurt zuständig ist, betreibt den für den Hochwasserschutz wichtigen Stausee des Freistaats Bayerns. Dieser muss auch für die Sanierung aufkommen, hat die Maßnahme aber noch nicht genehmigt. Mit Angaben zu den Kosten bleibt Abteilungsleiter Andreas Kirchner deshalb im Vagen: "Das kann zwischen einer und drei Millionen Euro kosten", meint er. Frühestens im März/April 2021 könne man Konkreteres sagen.
Schon jetzt steht aber fest, dass eine Sanierung der technischen Anlagen erfolgen muss. Das habe die "vertiefte Überprüfung" ergeben, so Kirchner. Regelmäßig wird nicht nur die Sedimenthöhe untersucht, sondern auch die Technik im See unter die Lupe genommen. Das sind unter anderem der Ablassschieber auf dem Seegrund in 14 Metern Tiefe und der höher gelegene Betriebsablass, über den der Wasserspiegel und der Abfluss des Seewassers in den Sauerquellenbach reguliert werden. Aber auch der Stahlbetonbau unter Wasser, über den der See belüftet wird. Hier habe man Korrosion an den Stahlteilen festgestellt, erklärt Kirchner. Um die Schäden zu beheben, will das Wasserwirtschaftsamt nun den See trocken legen.
Das geschieht folgendermaßen: Am Seegrund wird der Schieber geöffnet und das Wasser über den vorhandenen Ablaufkanal direkt in den Sauerquellenbach geleitet, aus dem sich auch der See speist. Fachmann Kirchner vergleicht es mit einer Badewanne: Man zieht den Stöpsel, und das Wasser läuft davon.
"Das ist eine leichte Übung", blickt Bürgermeister Friedel Heckenlauer dem Vorhaben des Wasserwirtschaftsamtes gelassen entgegen. Einen touristischen Nachteil sieht er nicht. Der Ellertshäuser Sees habe nicht nur in der kurzen Badesaison seinen Reiz, sondern dank seiner Natur- und Erholungsqualität Charme und Attraktivität – 365 Tage im Jahr.
1983 war der Stausee schon einmal trocken gelegt worden
Schon einmal gab es eine solche "touristische Attraktion", wie Bürgermeister Friedel Heckenlauer das Ablassen des Sees nennt. Das war 1983. Hauptgrund war damals neben dem vielen Grundschlamm und dem nötigen Einbau einer Tiefenbelüftung vor allem der Austausch verrosteter und undichter Ablassschieber sowie die Montage von Notverschlüssen. Einen Dammbruch hatte das Wasserwirtschaftsamt seinerzeit nicht mehr ausschließen können. Zehntausende Kubikmeter Schlamm wurden vom Grund des Sees herausgefahren, in einem Auffangbecken zwischengelagert und als Düngemittel kostenfrei an Landwirte abgegeben. Zuvor gingen mehr als 300 Zentner Fische ins Netz.
Willi Stein, der Präsident des Fischereiverbands Unterfranken, der den See für seine Angler gepachtet hat, blickt dem Vorhaben der Behörde mit großem Respekt entgegen. "Wenn das nicht gut organisiert ist, gibt's ein Riesenproblem." Der Ellertshäuser See ist mit 2,3 Millionen Kubikmeter Fassungsvermögen der größte See Unterfrankens. Wenn man hier den Stöpsel zieht, fließt Wasser davon, das in der Menge 13 Millionen gefüllten Badewannen entspricht, um mal im Bilde zu bleiben. So einfach geht das deshalb nach Meinung von Willi Stein nicht. "Das Wasser muss man Stück für Stück ablassen, damit sich große Fische nicht im Schlamm verbuddeln und qualvoll ersticken." Laut Andreas Kirchner lässt das Wasserwirtschaftsamt derzeit schon ein Konzept erstellen, wie der See "fischverträglich" trocken gelegt werden kann.
Aber auch das Wiederbefüllen nach Beendigung der Sanierung ist keine leichte Sache. "Das dauert ein bis eineinhalb Jahre", meint Fischereiverbandspräsident Stein. Es gibt sogar Fachleute, die von drei bis vier Jahren sprechen. Denn anders als bei der Badewanne, kann man nicht einfach den Wasserhahn aufdrehen und den See mit Leitungswasser volllaufen lassen. Das ganze Ökosystem geriete aus dem Gleichgewicht. Die Befüllung muss ausschließlich aus dem Zulauf des Sauerquellenbachs und mit natürlichem Regenwasser erfolgen, damit der Ellertshäuser See auch künftig ein Naturreservoir ist. "Wir helfen gerne mit", bietet der Präsident des Fischereiverbands der Behörde seine Unterstützung an, "um den Schaden möglichst gering zu halten".
Damals, 1983, war die "touristische Attraktion" wohl von größerem Interesse als die Auswirkungen auf das biologische Gleichgewicht. So ist beim Blick ins Zeitungsarchiv nur zu lesen: "Das komplette Wasser des Sees läuft zwischen August und Oktober 1983 nach und nach ab. Ein Atlantis stieg nicht aus dem Wasser."
Ellertshäuser See – die Fakten
Bis zu 14 Meter tief ist der See. Seine Fläche: 31 Hektar, das entspricht 43 Fußballfeldern. Der durch einen Damm abgetrennte Vorsee umfasst weitere zwei Hektar. 2,3 Millionen Kubikmeter Wasser passen ins Seebecken. Zum Vergleich: Der Stauraum des Großen Brombachsees im fränkischen Seenland ist 63-mal so groß und fasst 144,4 Millionen Kubikmeter).
Im Oktober wird der Wasserstand routinemäßig um einen Meter gesenkt, um den See auf den wasserreichen Winter vorzubereiten. Bis zu 600 Liter pro Sekunde können die Leitungen in Hochwasserzeiten in die Bäche ableiten.