Der große Moment ist eine Sache von ein paar Sekunden: Der Chef des Wasserwirtschaftsamtes Bad Kissingen höchstselbst, Leonhard Rosentritt, drückt den Knopf und zieht damit quasi den Stöpsel vom Ellertshäuser See. In den nächsten sechs bis acht Wochen wird der größte Stausee Unterfrankens leer laufen. Er muss saniert und entschlammt werden. Baden, Segeln, Angeln sind dann über die nächsten Jahre erst einmal nicht mehr möglich.
Eigentlich ist es Routine für Seewärter Martin Müller. Jedes Jahr Anfang Oktober öffnet er den Schieber, um den Wasserspiegel des Ellertshäuser Sees um einen Meter abzusenken, damit im Staubecken ein Rückhalt für die Winterhochwässer frei wird. Doch diesmal ist dieser Tag ein historischer. Denn der See wird nicht nur abgesenkt, sondern komplett abgelassen. 1,7 Millionen Kubikmeter Wasser werden in den nächsten Wochen davonfließen. Wo sich jetzt noch Surfer, Schwimmer, Taucher und Segler vergnügen, wird in einigen Wochen Ebbe herrschen und eine große Schlammwüste zum Vorschein kommen.
Zum zweiten Mal wird der Stausee trockengelegt
Es ist das größte und aufregendste Projekt in der Region, aber auch der massivste Eingriff in die Ökologie rund um den See. Das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen, das für den Freistaat Bayern den Stausee unterhält und damit auch für den ordentlichen Betrieb der Staustufe verantwortlich ist, sieht aber keine andere Möglichkeit. Die technischen Betriebseinrichtungen im See sind marode und müssen saniert werden. Das 80 Meter lange Abflussrohr, das vom Grundablass, sozusagen vom Stöpsel in 15 Meter Tiefe unter dem Damm hindurch in den Sauerquellenbach führt, ist von Bakterien befallen. Winzig kleine Lebewesen fressen am Stahl. Die Rohrwandung wird dadurch immer dünner und muss ausgetauscht werden. Und das geht nur, wenn kein Wasser im See ist.
Es ist das zweite Mal, dass der in den 1950er-Jahren angelegte Stausee trockengelegt wird. Das erste Mal geschah das 1983. Damals hatte man keine Erfahrung, nicht alles lief gut. Heute ist das Projekt von langer Hand vorbereitet. Fischereiverband und Naturschutz sind mit im Boot, auch der Tourismus soll in der wasserlosen Zeit nicht brachliegen. Entsprechende Konzepte werden erarbeitet.
Behördenchef Rosentritt wirkt entspannt. Und doch: Es ist ein großer Moment, ein außergewöhnliches Ereignis, das auch auf Behördenebene in ganz Nordbayern ein Thema ist. Nicht alle Tage wird ja ein Stausee abgelassen. So etwas hat Seltenheitswert.
Punkt 10 Uhr ist es soweit: Im Stollen haben sich neben Behördenchef Rosentritt auch der Talsperrenbeauftragte und für Schweinfurt zuständige Abteilungsleiter Andreas Kirchner sowie sein Sachgebietsleiter Christian Heitel versammelt. Seewärter Martin Müller ist diesmal nur Zuschauer, passt auf, dass der Chef alles richtig macht.
Der große Moment verläuft ganz unspektakulär: Rosentritt drückt den schwarzen Knopf und öffnet den Schieber. Es wird laut. Ziemlich laut. Das Wasser aus dem See rauscht durch das Abflussrohr hinaus in den Sauerquellenbach. In Sekundenschnelle steigt der Durchfluss von null auf 100, 200, 300 Liter pro Sekunde. Hier ist erstmal Stopp. Rosentritt drückt schnell den roten Knopf. Würde man den Schieber komplett öffnen, würden die Wassermassen alle Unterlieger am See überschwemmen. 1982 war das der Fall. Damals musste man den Absperrschieber noch per Hand drehen. Weil er eingerostet war, bekam man ihn nicht schnell genug zu und der Campingplatz am Fuße des Sees stand unter Wasser.
Heute geht alles per Knopfdruck. Der Durchfluss kann litergenau gesteuert werden. In den nächsten 14 Tagen werden erstmal nur 300 Liter pro Sekunde abgelassen, bis der Wasserspiegel um einen Meter abgesenkt ist. So wie bei der obligatorischen jährlichen Winterabsenkung. Dann wird der Schieber wieder geschlossen, weil zunächst Stabilisierungsmaßnahmen am Vordamm erfolgen müssen.
Der Damm am Vorsee muss stabilisiert werden
"Der Damm ist undicht und dadurch instabil", erklärt Rosentritt. Er würde dem stärkeren Druck nicht standhalten, wenn kein Wasser mehr im Hauptsee ist. Bevor das Wasser also weiter abgelassen wird, muss zuerst eine Innendichtung eingebracht werden. Das erfolgt mit bis zu zehn Meter langen Spundwänden, die Stück für Stück in den 100 Meter langen Damm gerammt werden. Zur Stabilisierung sollen zusätzlich noch Steine auf beiden Seiten aufgeschüttet werden. Erst nach Abschluss dieser Bauarbeiten, in etwa zwei Wochen, wird der Schieber wieder geöffnet, um den See komplett zu entleeren. Damit's dann schneller geht, wird der Durchfluss auf 500 Liter pro Sekunde erhöht. In sechs bis acht Wochen soll der See leer sein, so die Berechnungen des Wasserwirtschaftsamtes.
Vorher müssen aber noch die Fische in Sicherheit gebracht werden. Das Wasserwirtschaftsamt will Profis aus Norddeutschland mit dem Abfischen beauftragen. Im November, wenn der Wasserspiegel dann um weitere zwei bis drei Meter abgesenkt ist, sollen sie mit großen Schleppnetzen über den See fahren. Die kleinen Fische kommen zur Zwischenhälterung in den Vorsee, sie sollen später wieder eingesetzt werden. Die größeren werden an Angelsportvereine oder an die Gastronomie verkauft. "Wir haben etliche Interessenten", sagt Rosentritt. Mit dem Erlös soll ein Teil der Kosten des Abfischens finanziert werden.
Zwischen drei und fünf Millionen Euro sind insgesamt für das Großprojekt veranschlagt, je nachdem, ob der Schlamm als Dünger in der Landwirtschaft verwendet werden kann oder als Sondermüll entsorgt werden muss. Das werden erst die Schadstoffuntersuchungen zeigen, die nach dem Ablassen vorgenommen werden.
Biotop-Bucht wird als erstes entschlammt
Die erste Baumaßnahme im trockengelegten See wird noch in diesem Jahr erfolgen. Die Biotop-Bucht am Südufer soll möglichst schnell entschlammt und wieder aufgestaut werden, damit sie bis zur Krötenwanderung Ende Februar für die Amphibien wieder zur Verfügung steht. Dazu muss als Abgrenzung zum Hauptsee ein kleiner Damm aufgeschüttet werden. Bis Ende Januar soll dieser fertig sein. Die Befüllung erfolgt über das Niederschlagswasser aus dem Lochgraben. Falls das nicht ausreicht, wird über eine Leitung Wasser vom Vorsee zugeführt.
Im Frühjahr geht's dann mit den eigentlichen Sanierungsarbeiten im Hauptsee los. Zuerst wird der Schlamm abgefahren und dann eine neue Grundsperre, ein zweiter kleinerer Damm, vor dem Hauptdamm errichtet. Dieser wird etwa halb so hoch und ermöglicht zukünftige Sanierungsmaßnahmen am Grundablass, ohne den kompletten See erneut entleeren zu müssen. Parallel dazu wird die Grundablassleitung erneuert. "Bis Mitte 2022 wollen wir fertig sein", sagt Rosentritt.
Bis jetzt läuft alles nach Plan. Das Behördenteam ist zufrieden. Über die jeweiligen Baufortschritte wird auch die Öffentlichkeit informiert auf einer eigens eingerichteten Webseite wwa-ellertshaeusersee.de.
Warum wurden und werden die Rohre nicht aus Faserzement oder emailierten Tonrohren verbaut - wenn das Seewasser die Metallrohre durch biologische Säuren oder Organismen verstoffwechselt und auflöst ? - So würde der nächste Ablasstermin vielleicht um Jahrzehnte verlängert werden und dieser immense technische + touristische Eingriff in ein intaktes ÖKOSYSTEM abgeschwächt ...
Was passiert denn mit den Bibern im See - wenn ihr Zuhause im Schlamm versinkt ?
Fakt ist, dass mit diesem Knopfdruck viele Fische, Frösche und andere Tiere sterben werden bzw Ihnen für eine längere Zeit die Lebensgrundlage entzogen wird.
Von daher verstehe ich nicht, dass die Herren auf dem Bildern hier lächeln können. Letzendlich bedeutet dieser Knopfdruck für viele den Tod.