Corona hat es fast aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt, das gigantische Projekt, das in diesem Jahr am Ellertshäuser See geplant ist. Das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen will im Herbst den kompletten Stausee trockenlegen, um die technischen Anlagen unter der Seeoberfläche zu sanieren. Ablassschieber und Notverschlüsse sind verrostet. Auch am Stahlbetonbau unter Wasser, über den der See belüftet wird, hat man Korrosion festgestellt. Baden, segeln, angeln geht dann nicht mehr, möglicherweise mehrere Jahre lang nicht. Bedeutet dies das Aus für das Freizeitparadies des Marktes Stadtlauringen?
"Nein", sagt Bürgermeister Friedel Heckenlauer. Nach dem Motto "In jeder Krise steckt auch eine Chance" schmiedet der umtriebige Rathauschef schon seit geraumer Zeit Pläne, wie der Ellertshäuser See auch ohne Wasser Anziehungspunkt für Urlauber, Touristen und Naturliebhaber bleiben kann. Im Rathaus werden fleißig Ideen für Aktionen rund um die See-Baustelle gesammelt. "Das wird eine Attraktion", ist sich der Rathauschef sicher.
Dass es eine große Baustelle wird, das steht für Heckenlauer außer Frage. Raupen, Bagger, Lastwagen werden im See herumfahren, um Schlamm und Sedimente abzutransportieren. Wahrscheinlich müsse eine Zufahrt in das bis zu 14 Meter tiefe Becken gebaut werden. Für die Baustelleneinrichtung und die Sanierungsmaßnahmen trägt die Marktgemeinde keine Verantwortung. Dafür ist das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen zuständig. Die Behörde, die dem Bayerischen Umweltministerium untergeordnet und auch für den Landkreis Schweinfurt zuständig ist, betreibt den für den Hochwasserschutz wichtigen Stausee des Freistaats Bayerns.
"Ich fühle mich aber mitverantwortlich", sagt Heckenlauer. Denn der Markt Stadtlauringen hat mit der Übernahme der Aufgaben rund um die Erholungsnutzung 1997 den See erst einmal aus seinem Dornröschenschlaf geweckt und ihn gemeinsam mit Fachbehörden zu einem touristischen Magnet im Schweinfurter Oberland entwickelt. Entstanden ist am Nordufer ein Freizeitbereich mit Sanitäranlagen, Umkleidemöglichkeiten, Tretbootverleih, Beachvolleyball, Aussichtsdeck, Spielplatz, Wasserspielbereich, Liegewiese, Sonnendeck und Seebühne, mit Badesteg, Info-Punkten (zu den Themen Fische, Amphibien, Wasserlandschaft, Wald, Vögel und dem Lebensraum Röhricht), mit Schilfgürtel sowie dem Gelände für Segelclub, Segelschule, Tauchschule und Surfen.
Vieles davon wird nach dem Ablassen des Wassers nicht mehr genutzt werden können. "Für die Angler wird es eine schwierige Zeit", erkennt der Bürgermeister. Ebenso für Segel- und Tauchschule und natürlich für alle, die im Sommer gerne baden gehen. Für Heckenlauer hat das Badevergnügen am Ellertshäuser See allerdings eine untergeordnete Bedeutung. Er schätzt das Landschaftsschutzgebiet samt seiner Umgebung mit Wäldern, Wiesen und Feldern auf den Gemarkungen Altenmünster, Markt Stadtlauringen, Ebertshausen und der Gemeinde Üchtelhausen als Ganzes. Auf dem 5,5 Kilometer langen Ellertshäuser Seeweg entlang des Ufers könne der Wanderer reizvolle Plätze im Wald entdecken und schöne Ausblicke genießen. Drei Nordic-Walking-Touren beginnen am See und bieten Vergnügen sowohl für Einsteiger als auch für ambitionierte Sportler.
"Der Wert des Sees liegt in seinen Reizen an 365 Tagen im Jahr", weiß Heckenlauer. Tages- und jahreszeitlich ändere die Natur rings herum ihr Aussehen. Im Frühjahr blüht und grünt es, im Herbst dominieren rot-braune Farben, und auch im Winter zeigt die Natur am Ellertshäuser See ihre schönen Seiten. Ob der Wind bläst oder ob es regnet, ob die Sonne scheint oder ob es schneit, Heckenlauer schätzt zu jeder Jahreszeit den Spaziergang in diesem Naherholungsgebiet. Früher sei er hier oft gejoggt. Und vor 20 Jahren habe er bei einer Runde um den See mit einem Freund auch seine Bürgermeister-Kandidatur besprochen.
Heckenlauer kann sich das Freizeitparadies deshalb vorübergehend auch ohne Wasser attraktiv vorstellen. Man könnte Kinder nach "Schätzen" auf dem Seegrund suchen lassen – nach Blechdosen zum Beispiel oder Blinker von Anglern. "Vielleicht werden wir dafür sogar Metalldetektoren anschaffen." Wer war überhaupt schon mal 14 Meter unter der Wasseroberfläche? Wenn der See abgepumpt ist, könne man ihn "spiegelbildlich" erleben. "Das wird spannend sein", glaubt Heckenlauer. Für technisch Interessierte könnte man Führungen durch die Anlagen und Bauwerke des Stausees organisieren. Wer kennt schon den Tunnel unter dem See?
Konkrete Pläne für touristische Angebote gibt es noch nicht. Alle Vorhaben und Aktionen müssen ja auch mit dem Wasserwirtschaftsamt als Bauherrn abgesprochen werden. Denn grundsätzlich gilt erst einmal ein Betretungsverbot, der See ist dann ja eine Baustelle. Doch auch ohne Alternativprogramm, da ist sich Heckenlauer sicher, wird der abgelassene See eine Attraktion sein. Einen touristischen Einbruch für die Region befürchtet er daher nicht. "Es werden ebenso viele Besucher kommen, vielleicht sogar noch mehr."
Noch wartet das Wasserwirtschaftsamt allerdings auf grünes Licht aus München, dass die Gelder für die Sanierungsmaßnahme im Haushalt 2021 bereitgestellt werden. Einige Millionen Euro müssen dafür locker gemacht werden. Hinter den Kulissen laufen jedoch die Planungen, denn ein solches Großprojekt braucht lange Vorlaufzeit. Der Ellertshäuser See ist mit 2,3 Millionen Kubikmeter Fassungsvermögen immerhin der größte See Unterfrankens, bei dem man nicht einfach den Stöpsel ziehen kann. Das Wasser, in dem viele Fische leben, muss Stück für Stück abgelassen werden. Das Wasserwirtschaftsamt erarbeitet bereits ein Konzept, wie der See fischverträglich trockengelegt werden kann.
Ellertshäuser See
1970 wurde der See vom Wasser- und Bodenverband an den Freistaat Bayern veräußert. Heute dient er hauptsächlich dem Hochwasserschutz sowie der Freizeit und Erholung.