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Gerolzhofen
Jüdische Nähmaschinenhändler: In die Geschäftsaufgabe getrieben
Während der NS-Zeit wurden jüdische Unternehmer benachteiligt und schikaniert, um sie zur Geschäftsaufgabe zu zwingen. Doch Ruin drohte auch durch andere Schicksalsschläge.
Dieser Ausschnitt einer historischen Postkarte zeigt das Geschäftshaus von Hermann Löbhardt am Gerolzhöfer Marktplatz.
Foto: Sammlung Klaus Vogt | Dieser Ausschnitt einer historischen Postkarte zeigt das Geschäftshaus von Hermann Löbhardt am Gerolzhöfer Marktplatz.
Bertram Schulz
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:35 Uhr

Vier der insgesamt einst 26 Händler, die in Gerolzhofen Nähmaschinen verkauften, gehörten der örtlichen jüdischen Gemeinde an. Unterlagen und Recherchen des Stadtmuseums geben Einblicke in die Geschichte der jüdischen Händler und deren Familien. Deren Spuren zählen zu den wenigen, die die gewaltsame Auslöschung jüdischen Lebens in der Stadt überdauert haben und die bis heute sichtbar geblieben sind.

Unweit des ersten Gerolzhöfer Nähmaschinenhändlers, Sylvester Schmitt am Marktplatz (alte Hausnummer 129, jetziges Notariat), wohnte in der Stadt ein weiterer jüdischer Geschäftsmann, der mit Nähmaschinen handelte: Hermann Löbhardt. Sein Vater Bärmann Löbhardt stammte aus Sommerach und übernahm im Jahr 1873 in Gerolzhofen das Geschäftsanwesen auf der Ostseite des Marktplatzes mit der alten Hausnummer 131 (heute Anwesen Steigner).

Vorbesitzer des Hauses, zu dem auch ein kleines Nebengebäude in der heutigen Centgasse gehörte, war die Erbengemeinschaft Hirschberger. Diese ebenfalls jüdische Familie hatte das Anwesen seit 1826 besessen. Anno 1896 übernahm dann Hermann Löbhardt (geboren 1869 in Sommerach) die Schnittwarenhandlung von seinem Vater Bärmann. Schon zwei Jahre später eröffnete Hermann eine Bekleidungsfiliale in Volkach.

Nähmaschinenhandel war nur von kurzer Dauer

Aus Gewerbe-Akten des Gerolzhöfer Stadtarchivs erfährt man, dass Löbhardt schon im Februar 1897 kommissionsweise Nähmaschinen verkaufte. Nachdem er diesen Maschinenhandel vier Jahre später wieder abgemeldet hatte, nahm Hermann Löbhardt zwischen Dezember 1909 und September 1910 erneut Nähmaschinen in sein Verkaufssortiment auf. Spätere Hinweise auf eine Fortsetzung des Nähmaschinenhandels im Manufakturwaren-, Kurz- und Weißwollwarengeschäft Löbhardt fehlen bisher.

Das Anwesen Centgasse 2 (rechts) gehörte ebenfalls zum Geschäftshaus von Hermann Löbhardt.
Foto: Städtische Sammlungen Gerolzhofen | Das Anwesen Centgasse 2 (rechts) gehörte ebenfalls zum Geschäftshaus von Hermann Löbhardt.

Hermann Löbhardt war in erster Ehe mit Jette Mann (geb. 1871) verheiratet. Aus dieser Ehe stammen die Söhne Stefan (geb. 1897) und Otto (geb. 1908). Wenige Monate nach der Geburt von Otto starb Jette Löbhardt im Oktober 1908. Im April 1910 heiratete Löbhardt dann in zweiter Ehe in Würzburg die über zwölf Jahre jüngere Auguste Schwarzschild aus Dertingen nahe Wertheim. Aus dieser Ehe stammen die Töchter Käthe (1912) und Trudl (1913-1930).

Sohn Stefan , der an einem Geburtsfehler an der linken Hand und am linken Fuß litt, trat im Jahr 1913 als kaufmännischer Lehrling im väterlichen Geschäft am Marktplatz ein. Er hätte später das Geschäft in Gerolzhofen in dritter Generation übernehmen sollen.

Boykottaufrufe führen zum Bankrott des Geschäfts

Nach judenfeindlichen Boykottaufrufen ab April 1933 ging der Umsatz der Firma mit der Zeit stark zurück. Nachdem im Dezember 1936 Tochter Käthe in die USA ausgewandert war, starb im Juli des darauffolgenden Jahres 1937 Löbhardts zweite Ehefrau Auguste mit nur 55 Jahren. Bei einem Fahrradunfall, ebenfalls im Jahr 1937, erlitt der älteste Sohn Stefan einen Schädelbruch und hatte fortan immer wieder unter epileptischen Anfällen zu leiden. Er wurde 1938 in sogenannte "Schutzhaft" genommen und im Gerolzhöfer Gefängnis inhaftiert. Sohn Otto emigrierte dann im Oktober 1938 nach New York.

Nach all diesen Schicksalsschlägen und unter dem Eindruck fortwährender anti-jüdischer Hetze löste Hermann Löbhardt das alteingesessene Geschäft am Markt im November 1938 auf, wie der frühere Gerolzhöfer Stadtarchivar Stephan Oettermann recherchiert hat. Das Textilwarenlager der Löbhardts übernahmen andere Gerolzhöfer Kaufleute, ebenso die vorhandenen Schuhwaren.

Der Grabstein der Familie Löbhardt auf dem Judenfriedhof in Gerolzhofen.
Foto: Michael Pfrang | Der Grabstein der Familie Löbhardt auf dem Judenfriedhof in Gerolzhofen.

Im Juni 1940 kaufte die Stadt "zum Zwecke der Straßenerweiterung" das Löbhardt`sche Geschäftshaus am Markt sowie das dazugehörende kleine Lagerhaus in der Centgasse. Hermann Löbhardt und sein aus der Schutzhaft entlassene Sohn behielten Unterlagen des Stadtarchivs zufolge bis zum Zeitpunkt ihrer "Auswanderung" dort ein unentgeltliches Wohnrecht.

Zwangsarbeit in Schweinfurter Munitionsfabrik

Ab Januar 1941 führte Löbhardts Großnichte Hilda Brückheimer aus Wertheim den beiden Männern den Haushalt und lebte mit ihrer Schwester Hedwig, die Zwangsarbeit in einer Schweinfurter Munitionsfabrik leisten musste, bei Vater und Sohn Löbhardt im Haus am Marktplatz.

Aus Angst vor einer drohenden Evakuierung seines 44-jährigen behinderten Sohnes bat Hermann Löbhardt, wie der Schriftsteller und Zeitzeuge der Schoa, Hans Günther Adler, schreibt, Ende März 1942 beim damaligen Gerolzhöfer Landrat um dessen Freilassung vom Transport – allerdings vergeblich. Am 22. April 1942 wurden Sohn Stefan und Hilda und Hedwig Brückheimer abgeholt und mit dem Omnibus nach Würzburg gebracht. Am 25. April startete von dort der Transportzug ins polnische Lublin zum Ghetto Krasnystaw.

Am gleichen Tag, als sein Sohn Stefan und die geliebten Verwandten mit dem Zug in den Tod fuhren, starb am 25. April 1942 in Gerolzhofen Hermann Löbhardt, geplagt von starken Ischias-Schmerzen, im Alter von 73 Jahren einen einsamen Tod. Es muss allerdings Wohltäter gegeben haben, die sich um seine Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof kümmerten. Bis heute sind diese Umstände aber ungeklärt, nachdem der Friedhof bereits nach der Beerdigung des jüdischen Gemeindevorstandes Willi Brodmann am 2. Februar 1942 von den Machthabern offiziell für geschlossen erklärt worden war. Die Grabplatte von Hermann Löbhardt, seiner zweiten Frau Auguste und Tochter Trudl wurde erst im Jahr 2001 auf dem israelitischen Friedhof von Gerolzhofen wiederentdeckt.

Stadt leistet Rückerstattung und verkauft Anwesen am Marktplatz

Noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurden auf Anordnung des Gerolzhöfer Landrats im Februar 1945 im früheren Löbhardt-Haus, trotz Vermietung, mehrere Arrestzellen eingerichtet. Dies ist dem Protokoll der Stadtratssitzung vom 2. Februar 1945 zu entnehmen.

Der Geschäftshaus von Hermann Löbhardt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Juni 1940 kaufte die Stadt das Haus dann unter dem Vorwand einer geplanten Straßenerweiterung.
Foto: Städtische Sammlung Gerolzhofen | Der Geschäftshaus von Hermann Löbhardt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Juni 1940 kaufte die Stadt das Haus dann unter dem Vorwand einer geplanten Straßenerweiterung.

Im Jahr 1948 meldeten sich aus den USA Tochter Käthe, verheiratete Scheibe, und Sohn Otto, die alleinigen Erben Hermann Löbhardts, mit einem Rückerstattungsantrag bei der Stadt Gerolzhofen. Das Verfahren endete im Februar 1951 durch einen Vergleich mit der Zahlung einer angemessenen Wiedergutmachungssumme für die Antragsteller.

Im September 1952 verkaufte die Stadt das ehemalige Anwesen Löbhardt dann an den Kaufmann Hans Steigner. Es wurde 1966 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

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