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Gerolzhofen
Gerolzhöfer Modegeschäfte: Jüdische Frauen setzten Akzente
Die Geschichte früherer jüdischer Geschäftshäuser in der Stadt zeugt von Ideenreichtum und wirtschaftlichem Geschick. Frauen spielten dabei eine wichtige Rolle (Teil 2).
Das Bild entstammt einer Werbeanzeige des jüdischen Textilkaufmanns Emanuel Lewisohn und zeigt dessen Textilkaufhaus in der Spitalstraße in Gerolzhofen.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Das Bild entstammt einer Werbeanzeige des jüdischen Textilkaufmanns Emanuel Lewisohn und zeigt dessen Textilkaufhaus in der Spitalstraße in Gerolzhofen.
Michael Mößlein
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:34 Uhr

Wer sich mit der Geschichte der einst von Juden bewohnten Häuser in Gerolzhofen beschäftigt, der stößt schnell auf mehrere erfolgreiche jüdische Geschäftsfrauen. "Selbstbewusst und selbstbestimmt leisteten Jüdinnen ihren Beitrag zu historischen Entwicklungen, Rollenbildern und Schönheitsidealen und sorgten dabei für das Familieneinkommen", hat Evamaria Bräuer während ihrer Forschung zur Geschichte der Gerolzhöfer Juden wiederholt festgestellt.

Die Gerolzhöfer Jüdin Fanny Braun eröffnete ein Putzmachergewerbe in Gerolzhofen, das sie im März 1885 angemeldet hat. Das Bild zeigt eine Anzeige von ihr zur Geschäftseröffnung im 'Bote vom Steigerwald' aus dem Jahr 1884.
Foto: Repro Evamaria Bräuer | Die Gerolzhöfer Jüdin Fanny Braun eröffnete ein Putzmachergewerbe in Gerolzhofen, das sie im März 1885 angemeldet hat.

So meldete im März 1885 Fanny Braun in der Marktstraße, in einem zwischenzeitlich überbauten Haus zwischen der Schreinerei Hacker und dem Haus der ehemaligen Bäckerei Mittenzwey/Kleinschrodt, ein Putzmachergewerbe an; Putzmacherinnen fertigten elegante Kopfbedeckungen jeglicher Art. Die junge Modistin war im Jahr 1862 als Tochter von Falk Braun und Mayla Fleischmann in Lülsfeld zur Welt gekommen, sammelte Berufserfahrung in Frankfurt und heiratete Hermann Lonnerstädter aus Haßfurt. Aus der später geschiedenen Ehe stammte der im Jahr 1900 geborene Journalist und Schriftsteller Siegfried Lonnerstädter, der im Jahr 1943 deportiert und ermordet wurde.

Zwischen der Schreinerei Hacker (zweites Haus von links) und der ehemaligen Bäckerei Mittenzwey (großes Haus rechts) stand in der Marktstraße in Gerolzhofen ein heute überbautes Gebäude. Dort betrieb die Jüdin Fanny Braun ein Putzmachergewerbe, das sie im März 1885 angemeldet hat.
Foto: Stadtarchiv Gerolzhofen | Zwischen der Schreinerei Hacker (zweites Haus von links) und der ehemaligen Bäckerei Mittenzwey (großes Haus rechts) stand in der Marktstraße in Gerolzhofen ein heute überbautes Gebäude.
So präsentiert sich das Häuser-Ensemble mit dem überbauten Haus in der Marktstraße in Gerolzhofen heute.
Foto: Michael Mößlein | So präsentiert sich das Häuser-Ensemble mit dem überbauten Haus in der Marktstraße in Gerolzhofen heute.

Zwangsweiser Umzug nach Würzburg

Fanny Lonnerstädter arbeitete bis zum Jahr 1931 als Putzmacherin in Gerolzhofen und Prichsenstadt. Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde sie im November 1940 gezwungen, nach Würzburg in die Sammelunterkunft in der Dürerstraße umzuziehen, wo sie im Jahr darauf starb.

Bereits im Jahr 1877 inserierte Esther Hirsch im Bezirksamtsblatt als Mieterin beim Kappenmacher Johann Huttner. Die 1844 geborene Tochter von Marks und Dölz Hirsch aus Frankenwinheim führte dort ihr Putzgeschäft. Im Jahr 1881 verlegte sie dieses in die heutige Salzstraße 13, bei Maurermeister Burger, wie Evamaria Bräuer recherchiert hat.

Inserat der jüdischen Putzmacherin Esther Hirsch im Bezirksamtsblatt aus dem Jahr 1881, das den Umzug ihres Geschäfts in die heutige Salzstraße 13 ankündigt.
Foto: Repro Evamaria Bräuer | Inserat der jüdischen Putzmacherin Esther Hirsch im Bezirksamtsblatt aus dem Jahr 1881, das den Umzug ihres Geschäfts in die heutige Salzstraße 13 ankündigt.

Zu den erfolgreichen Gerolzhöfer Geschäftsfrauen zählten auch zwei Cousinen: Frieda und Mathilde Lichtenauer. Deren Väter, die Brüder Raphael und Abraham Lichtenauer, sicherten die Existenzen ihrer Töchter mit Modewaren-Geschäften ab. Im Jahr 1920 heiratete Theo Schwarz aus Altenschönbach in das Modegeschäft von Frieda Lichtenauer in der Spitalstraße ein. Aus der Ehe gingen die Töchter Steffi und Margot hervor. Das Ehepaar führte das Geschäft gemeinsam bis zur Emigration nach Palästina im Jahr 1934.

Das undatierte Bild zeigt das Modegeschäft der Jüdin Frieda Lichtenauer in der Spitalstraße in Gerolzhofen.
Foto: Stadtarchiv Gerolzhofen | Das undatierte Bild zeigt das Modegeschäft der Jüdin Frieda Lichtenauer in der Spitalstraße in Gerolzhofen.
Das einstige Modegeschäft der Jüdin Frieda Lichtenauer in der Spitalstraße in Gerolzhofen heute.
Foto: Michael Mößlein | Das einstige Modegeschäft der Jüdin Frieda Lichtenauer in der Spitalstraße in Gerolzhofen heute.

Mathilde Lichtenauer ging im Jahr 1921 den Bund der Ehe mit Alfred Reinhold ein, der aus Mühlhausen bei Höchstadt/Aisch stammte. Die beiden kauften das Haus in der heutigen Bahnhofstraße 11 und verlegten das Schnittwaren-Geschäft aus der Schuhstraße dorthin. Mit Unterbrechungen wird dort bis heute Damenmode angeboten.

Ausreise per Schiff nach New York

Im Oktober 1938 verließ das Ehepaar Reinhold mit dem 1922 geborenen gemeinsamen Sohn Ernst Deutschland und reiste von Antwerpen aus per Schiff nach New York. Laut Evamaria Bräuer ist Ernest (Ernst) Reinhold im Jahr 1945 als US-Soldat nach Aussagen einer Nachbarin kurz in seinen Geburtsort Gerolzhofen zurückgekehrt, habe dort aber keine Verwandten mehr angetroffen.

Blick in die Bahnhofstraße in Gerolzhofen. Das dritte Haus auf der linken Seite gehörte der jüdischen Familie Reinhold.
Foto: Stadtarchiv Gerolzhofen | Blick in die Bahnhofstraße in Gerolzhofen. Das dritte Haus auf der linken Seite gehörte der jüdischen Familie Reinhold.
Das ehemalige Geschäftshaus der Familie Reinhold (3. von links) in der Bahnhofstraße steht heute noch.
Foto: Michael Mößlein | Das ehemalige Geschäftshaus der Familie Reinhold (3. von links) in der Bahnhofstraße steht heute noch.

Die Witwe des Bernhard Lichtenauer aus Brünnau, Ernestine Lichtenauer (1847-1937), hat im Jahr 1911 ein Schuhgeschäft in der Marktstraße 7 eröffnet, das deren Tochter Meta und Schwiegersohn Max Henle bis zur Zerschlagung im Jahr 1938 führten. 

Im Juni 1881 findet sich im "Bote vom Steigerwald" folgendes Inserat des Metzgers Simon Prölsdorfer aus Lülsfeld: "In Hs.-Nr. 175 bei Herrn Haas (Anm.d.Red.: späteres Brauhaus in der Rügshöfer Straße) dahier einen Fleischverkauf in gutgemästeten Vieh und wird für die Folge jeden Sonntag, Dienstag und Donnerstag den Verkauf fortsetzen." Sein anno 1860 geborener Sohn Abraham kaufte das Anwesen der Witwe von Salomon Goldschmidt, der am Marktplatz 6, vis-a-vis  der Stadtpfarrkirche, ab 1867 eine Konzession als Goldarbeiter besaß.

Gerolzhöfer Modegeschäfte: Jüdische Frauen setzten Akzente

Abraham Prölsdorfer und seine Frau Karolina hatten vier Kinder, von denen Sohn Ignaz (1895-1974) Metzgermeister wird und die Familientradition in Gerolzhofen fortsetzte. Trotz seines Einsatzes im Ersten Weltkrieg, für seine Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse dekoriert, verließ Ignaz – zwei Jahre zuvor bereits mit Schikanen gequält, beleidigt und willkürlich verhaftet – im Jahr 1935 seine Heimatstadt und emigrierte mit seiner Frau Irma (geb. Krämer) und seinem vierjährigen Sohn Gert-Simon in die USA. Dort nannte er sich fortan Jack Proll, was für die Amerikaner wohl leichter auszusprechen war als "Ignaz Prölsdorfer". Seinen greisen Eltern gelang, wie Evamaria Bräuer dazu in Erfahrung bringen konnte, im Juni 1941 über Lissabon zusammen mit Tochter Meta und Schwiegersohn Josef Krämer als letzten Gerolzhöfer Juden die Flucht.

Platzhirsch unter den Modegeschäften

Am Gerolzhöfer Marktplatz fand sich ein weiteres Geschäft eines jüdischen Inhabers. Der Manufakturwaren-Laden von Hermann Löbhardt in der Hausnummer 15 war einer der Platzhirsche im lokalen Bekleidungsgewerbe. Dessen Vater, Bärmann Löbhardt aus Sommerach, hatte im Jahr 1873 bereits das Haus von Lazarus Hirschbergers Tuch- und Spezereiwarenhandel erworben.

Im Jahr 1940 kaufte die Stadt Gerolzhofen das Haus der Löbhardts zur Verbreiterung der Weiße-Turm-Straße für 5400 Reichsmark. Löbhardt und sein bei ihm verbliebener Sohn Stefan erhielten ein Wohnrecht in einer Mansarde bis zur empfohlenen Auswanderung. Doch soweit kam es nicht mehr: Der 73-jährige Kaufmann starb am 25. April 1942 an Herzversagen. Es war exakt der Tag, als der dritte Transport deportierter unterfränkischer Juden von Würzburg aus in Richtung der Vernichtungsorte im Osten, nach Izbica im Kreis Lublin, abfuhr. Darunter befand sich auch der 44-jährige Stefan Löbhardt. Wer das Begräbnis seines Vaters organisierte, ist laut Evamaria Bräuer unbekannt. Sein Grabstein auf dem jüdischen Friedhof Gerolzhofen wurde erst vor einigen Jahren wiederentdeckt und inzwischen mit Hilfe von Spendern restauriert.

Das Bild zeigt (links) einen Teil des Textilkaufhauses des Juden Emanuel Lewisohn in der Spitalstraße in Gerolzhofen.
Foto: Stadtarchiv Gerolzhofen | Das Bild zeigt (links) einen Teil des Textilkaufhauses des Juden Emanuel Lewisohn in der Spitalstraße in Gerolzhofen.
Auch heute befindet sich in dem Gebäude (links) in der Spitalstraße noch die Filiale eines Textilhändlers.
Foto: Michael Mößlein | Auch heute befindet sich in dem Gebäude (links) in der Spitalstraße noch die Filiale eines Textilhändlers.

Gleich im Anschluss an den Marktplatz, in der Spitalstraße 1, befand sich das Kaufhaus von Emanuel Lewisohn. Er war vier Jahre alt gewesen, als seine Eltern in Fulda bei einem Brand starben. Die Schnittwarenhändler Benjamin und Sara Uhlfelder nahmen den Waisen in ihre Gerolzhöfer Familie auf. Dort wuchs er gut behütet und gefördert auf, wurde zu einem erfolgreichen Geschäftsmann, geachteten Magistratsrat bis 1924 und war ab 1880 Vorstand der hiesigen Israelitischen Kultusgemeinde.

Schicksal von Deportation und Emigration

Eine Werbeanzeige des jüdischen Textilkaufmanns Emanuel Lewisohn im Bezirksamtsblatt im Jahr 1881.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Eine Werbeanzeige des jüdischen Textilkaufmanns Emanuel Lewisohn im Bezirksamtsblatt im Jahr 1881.

Aus der Ehe mit Regina Feuchtwanger gingen sieben Kinder hervor. Klara, Anna und Leo ereilte Evamaria Bräuers Recherche zufolge das Schicksal der Deportation und Ermordung. Frieda, Selma, Juliana und Flora überlebten den Rassenwahn der Nazis durch Emigration oder im Schutz einer Mischehe.

Zum Kaufhaus in der Spitalstraße eröffnete Lewisohn in der Vorstadt und in Prichsenstadt weitere Filialen. Seine Tochter Selma mit ihrem Mann Gustav Stern führten das Textilkaufhaus bis 1934. Im Jahr 1937 verließen sie mit den Kindern ihre fränkische Heimat Richtung Chicago (USA). Der Verkauf des Geschäftshauses und aller Liegenschaften erfolgte nach dem Tod des 79-jährigen Kaufmanns an Anton Weigand. Der Witwe Regina wurde ein einjähriges Wohnrecht eingeräumt. Im Jahr 1939 zog sie nach Würzburg um und starb dort 1941.

Das Bild zeigt die Filiale  des Gerolzhöfer Textilkaufmanns Emanuel Lewisohn in Prichsenstadt.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Das Bild zeigt die Filiale des Gerolzhöfer Textilkaufmanns Emanuel Lewisohn in Prichsenstadt.

Das Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" nimmt diese Redaktion zum Anlass, in einer losen Reihe von Artikeln den vielfältigen Spuren nachzuspüren, die jüdische Einwohner in Gerolzhofen hinterlassen haben und sich mit der Erinnerung an diese auseinanderzusetzen.

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