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Gerolzhofen
Jüdische Namen: Erst durch sie erhalten Menschen ihre Identität
Der Blick auf die einstige jüdische Gemeinde in Gerolzhofen zeigt: Jüdische Vornamen spiegeln eine wechselvolle Geschichte wider. Familiennamen erhielten Juden erst spät.
Die von den Nationalsozialisten eingeführte Kennkarte sollte Juden durch die zwangsweise Einführung der Zusatznamen 'Israel' (für Männer) und 'Sara' (für Frauen) stigmatisieren. Das Bild zeigt die überlieferte Kennkarte des im Juli 1928 geborenen Gerolzhöfer Juden Siegbert 'Israel' Rheinfelder aus dem Januar 1939. 
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Die von den Nationalsozialisten eingeführte Kennkarte sollte Juden durch die zwangsweise Einführung der Zusatznamen "Israel" (für Männer) und "Sara" (für Frauen) stigmatisieren.
Bearbeitet von Michael Mößlein Evamaria Bräuer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:58 Uhr

"Nomen es omen" lautet eine allgemein bekannte Redensart aus dem Lateinischen. Sie bedeutet, dass der Name ist ein Zeichen ist, sie charakterisiert eine Persönlichkeit, kennzeichnet und unterscheidet einen Menschen von anderen. Wenn man jemandem den Namen nimmt, raubt man ihm damit auch seine Identität. Dieses Schicksal Juden in Gerolzhofen wie andernorts zuletzt während der Zeit des Nationalsozialismus.

Der Vorname einer Person ist der Teil des Namens, der nicht die Zugehörigkeit zu einer Familie ausdrückt, sondern individuell beschreibt, wer jemand ist. Die Vornamen werden meistens nach der Geburt des Kindes von den Eltern bestimmt und zeigen auch, wie jemand ist oder werden sollte.

Kalenderheiligen stehen Pate bei der Namenswahl

Früher wählte man dafür den jeweiligen Kalenderheiligen des Geburtstages aus und feierte Namenstag. Prominente Beispiele dafür sind: Die Bayernkönige Ludwig I. und sein Enkel Ludwig II., der Märchenkönig. Beide sind geboren am 25. August, wie Louis IX. – der Heilige –, der im Jahr 1215 geborene König von Frankreich, der den Bayern-Königen als Vorbild dienen sollte.

Eine Anzeige der jüdischen Pferdehändler Bernhard und Oskar Frank im Boten vom Steigerwald aus dem Jahr 1920.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Eine Anzeige der jüdischen Pferdehändler Bernhard und Oskar Frank im Boten vom Steigerwald aus dem Jahr 1920.

Es fällt auf, dass viele jüdische Familien den Namen Louis bzw. Ludwig oder Max für ihre Stammhalter wählten. Jüdische Familien waren sehr patriotisch und königstreu eingestellt. Sie waren dankbar besonders nach dem Toleranz-Edikt von 1813 (siehe Infobox). Dieses Gesetz eröffnete ihnen den Weg aus der gesellschaftlichen Randposition hin zur Gleichberechtigung mit allen Bürgern.

Erzväter und Erzengel dienten als Vorbilder

Die Vornamen der Juden spiegeln die wechselvolle Geschichte über Jahrtausende wider. Beliebte Männernamen waren die der Erzväter Abraham, Isaak, Jakob/Israel und seiner Söhne, ebenso Propheten- und Königsnamen (David, Nathan, Jesaia) und nicht zuletzt die Namen der vier Erzengel: Gabriel, Michael, Rafael und Uriel.

Ihren traditionellen Rufnamen erhielten jüdische  Knaben bei der Beschneidung und wurden mit diesem als Erwachsene zur Thoralesung in der Synagoge aufgerufen. Diese Traditionsvornamen finden sich in Grabsteinen eingemeißelt auch auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen. Sie unterscheiden sich vom bürgerlichen Namen der amtlichen Urkunden oder Kennkarten.

Der Grabstein (rechts) von Baruch Frank aus Prichsenstadt auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Der Grabstein (rechts) von Baruch Frank aus Prichsenstadt auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.

Im Zuge der Assimilation des 19. Jahrhunderts kamen Übertragungen der biblischen Namen in Mode. So wandelte sich etwa der Name Baruch (der Gesegnete) zu lateinisch Benedikt, arabisch Barak und auf Deutsch zu Seligmann. Auch orientierte man sich oft am Klang oder nur den Anfangsbuchstaben. So konnte aus Abraham ein Hermann, Albert oder auch ein Adolf werden.

Der Grabstein von Rosa Blüthe aus Altenschönbach  auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Der Grabstein von Rosa Blüthe aus Altenschönbach  auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.

Für Mädchen standen Namen der Erzmütter, zum Beispiel Sarah, Rebekka, Hannah oder Esther zur Wahl. Daneben waren Bella, Gutel, Perla (Schöne und Gute) oder Namen aus Flora und Fauna, wie Rösle/Rosa, Veigele und Taube, beliebt. Hinzu kamen die Namen der Bayern-Königinnen Karoline/Lina, Amalie/Mali oder Therese.

Familiennamen richteten sich oft nach der Zunft

Der Familienname ist Teil des Namens eines Menschen. Er ergänzt den Vornamen und drückt die Zugehörigkeit zu einer Familie aus. In der Schweiz wird er als Geschlechtsname (Familiengeschlecht) bezeichnet. Innerhalb der christlichen Bevölkerung setzten sich feste Familiennamen erst seit circa 1600 durch. Viele "zünftige Berufe" waren Juden verwehrt und waren Christen vorbehalten. So entstanden erbliche Familiennamen, wie Müller, Schmied, Schreiner, Bäcker, Bräuer usw.

Der Grabstein von Nathan Blüthe aus Altenschönbach mit der abgebildeten Levitenkanne auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Der Grabstein von Nathan Blüthe aus Altenschönbach mit der abgebildeten Levitenkanne auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.

Drei große amerikanische Bankengründer kamen in vergangenen Zeiten aus Unterfranken. Marcus Goldmann, geboren in Rhön-Grabfeld, sein Vater Wolf stammte aus Zeil am Main (Lkr. Haßberge) und wollte sich ursprünglich nach seinem Geburtsort nennen, was ihm das dortige Landgericht verbot. So wählte er für seine Familie den Namen Goldmann. Sein späterer Kompagnon Samuel Sachs kam aus Rödelmaier (Lkr. Rhön-Grabfeld). Die drei Söhne des unterfränkischen Viehhändlers Abraham Löw (später Lehmann) – Hayum, Mendel und Meier – waren zwischen 1844 und 1850 aus Rimpar ausgewandert.

Der Grabstein von Abraham Kohn aus Lülsfeld  auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Der Grabstein von Abraham Kohn aus Lülsfeld auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.

Der in der jüdischen Gemeinde von Gerolzhofen vertretene Familienname Kohn geht zurück auf die Abstammung aus dem Geschlecht Aaron zurück. Cohen ist die biblische Bezeichnung eines jüdischen Priesters, einer Untergruppe des tempel-dienstlichen Stammes Levi. Für die männlichen Nachkommen gelten besondere Regeln. Das erbliche Stammeszeichen sieht man als segnende Hände auf ihren Grabsteinen.

Der Name Kissinger verbreitete sich auf der ganzen Welt

An einem weiteren regionalen Beispiel, dem Familienname Kissinger, lässt sich die Namenswahl gut ablesen. Meyer ben Loeb, der Ahnherr, kam als Lehrer nach Bad Kissingen und gründete dort eine Familie. Im Jahr 1817 ließ er sich in Rödelsee (Lkr. Kitzingen) nieder und nahm dort den Ortsnamen der heutigen Kurstadt als Familiennamen an. Seine männlichen Nachkommen in Frankenwinheim oder Fürth tragen bis heute weltweit den von ihm ausgewählten Familiennamen.

Der Grabstein von Josef Kissinger und Sohn Maier auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen. Der Stein wurde 2012 renoviert.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Der Grabstein von Josef Kissinger und Sohn Maier auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen. Der Stein wurde 2012 renoviert.

Juden hatten in der Regel keine festen vererbbaren Familiennamen. Nach jüdischem Brauch führten sie zwei Vornamen als Zunamen, neben dem eigenen zusätzlich den des Vaters (Patronym): Beispiel: Samuel Sohn des Moses (hebräisch Samuel ben Mose). Hatte Samuel später einen eigenen Sohn und bekam dieser zu Ehren des verstorbenen Großvaters dessen Vornamen, ergab sich der Name Moses Samuel (Moses Sohn des Samuel).

Juden mussten einen neuen Familiennamen führen

Dies führte oft zu Schwierigkeiten bei der Identifizierung einer Person. Ab dem Jahr 1813 – unter dem Einfluss napoleonischer Reformen – waren Juden zur Annahme eines neuen Familiennamens verpflichtet. Diese Namen sind also nicht das Produkt eines sozialen Entwicklungsprozesses, sondern sprachgeschichtlich viel jünger und entwickelten sich zuerst in Österreich, danach in Bayern.

Der Grabstein von Max Künstler aus Prichsenstadt-Brünnau auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Der Grabstein von Max Künstler aus Prichsenstadt-Brünnau auf dem jüdischen Friedhof von Gerolzhofen.

Juden durften ihre neuen Familiennamen selbst wählen, aber oft galten dabei auch willkürliche Einschränkungen. Stammes- bzw. Häusernamen waren beliebt, wie in Gerolzhofen an den Familiennamen Kohn, Levi, Löw, Hirsch, oder Schwarz- und Rothschild ablesen lässt. Manche Familien wählten wohlklingende Wunschnamen, etwa Rosenthal, Silbermann, Bernstein, Rubinstein, oder orientierten sich an ihren Herkunftsorten (Kissinger, Prölsdorfer, Frank´) oder an der Familiengenealogie (Mendelsohn, Lewisohn).

Eine Anzeige von Moriz Schwarz im Boten vom Steigerwald aus dem Jahr 1920.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Eine Anzeige von Moriz Schwarz im Boten vom Steigerwald aus dem Jahr 1920.

Weiter wählten Juden auch körperliche Eigenschafts- oder Spitznamen, wie Gutmann, Liebermann, Brod- bzw. Fleischmann, Langnas und Klein, oder Stammesfarben, wie Schwarz, Weiß, Braun, Grün usw.

Rechnung der Nazis ging nicht auf

Ab dem Jahr 1938 zwangen die Nationalsozialisten Juden zur Annahme eines Zusatzvornamens. Männer mussten den Namen "Israel" (hebräisch Gottesstreiter), Frauen den Zusatznamen "Sara" (hebräisch Fürstin) führen. Von den Nazis als Stigmatisierung gedacht, kamen die Zusatznamen eher einer Ehrenbezeichnung gleich.

Eine im Botem vom Steigerwald im Jahr 1920 erschienene Anzeige von J. Künstler aus Brünnau und des Juden Hermann Rothschild aus Gerolzhofen.
Foto: Archiv Evamaria Bräuer | Eine im Botem vom Steigerwald im Jahr 1920 erschienene Anzeige von J. Künstler aus Brünnau und des Juden Hermann Rothschild aus Gerolzhofen.

Namen sind also mehr als Schall und Rauch. Es ist eine spannende Reise, sich mit seinem Eigennamen zu beschäftigen und dessen Entstehung genauer zu erforschen.

Toleranz-Edikt

Das vom bayerischen Minister Maximilian von Montgelas am 10. Juni 1813 erlassene Edikt ist ein tief einschneidendes Datum, weil Juden jetzt erst bleibende Familiennamen wählten und damit Staatsbürgerrechte bekamen.
Bis Oktober 1813 sollten sich alle Juden im Königreich Bayern in die sogenannten Matrikel (Verzeichnisse) eintragen, die bei den Polizeibehörden ihres Wohnortes auflagen. So konnten sich die Behörden einen Überblick über die Zahl der Juden in Bayern verschaffen.
Jede Gemeinde durfte allerdings nur eine begrenzte Zahl Matrikelnummern vergeben. Meist konnte das älteste Kind diese nach dem Tod des Vaters übernehmen. Wer darüber hinaus einen eigenen Hausstand gründen wollte, musste in eine andere Gemeinde ziehen, in der noch Einträge frei waren, oder gar auswandern.
Viele junge jüdische Männer gingen daraufhin nach Amerika und gründeten dort Familien und schufen neue Existenzen.
Evamaria Bräuer

Das Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" nimmt diese Redaktion zum Anlass, in einer losen Reihe von Artikeln den vielfältigen Spuren nachzuspüren, die jüdische Einwohner in Gerolzhofen hinterlassen haben und sich mit der Erinnerung an diese auseinanderzusetzen.
Gastautorin Evamaria Bräuer forscht seit vielen Jahrzehnten zur jüdischen Geschichte in der Stadt und vermittelt ihr Wissen auf vielfältige Weise, etwa durch Führungen.

 
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  • S. F.
    Toller Beitrag der MP!
    Leider kreist in Schweinfurt die Geschichtsaufarbeitung nur um "unseren Schlachtschüssel-Willy"
    Wie schön wäre es, jeden deportierten Schweinfurter Juden einen Stolpersteine zu widmen.
    Das wäre für mich eine ehrliche, und glaubhafte Geschichtsaufarbeitung.

    Ach ja, was passiert den mit der Raubkunst im Georg Schäfer Museum?
    Was für eine Heuchelei in Schweinfurt!
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