Mehr als 29 Jahre hat er als Leiter der Bayerischen Verwaltungsstelle für die Entwicklung der Rhön zu einem der bedeutendsten Biosphärenreservate (BR) gearbeitet. Nun hat Michael Geier den passiven Teil der Altersteilzeit erreicht und hört auf. Im Interview blickt er noch einmal auf die Höhen und Tiefen seiner Zeit in der Rhön zurück.
Michael Geier: Am 10. Mai vor 29 Jahren. Damals hatte ich noch keinen Schreibtisch und keinen Stuhl. Da bin ich abwechselnd bei den Kollegen der Wildbiologischen Gesellschaft, Klaus Spitzl und Karl-Heinz Kolb, im Oberelsbacher Rathaus oder bei Doris Pokorny im Alten Schulhaus in Weisbach gesessen. Was genau ich an meinem ersten Arbeitstag gemacht habe, weiß ich nicht mehr. Ich bin schon vorher immer wieder hier gewesen und habe versucht, mich einzuarbeiten. Das früheste, woran ich eine Erinnerung habe, ist, dass ich mit den Kollegen Pokorny, Spitzl und Kolb, auf der Terrasse vom Holzberghof gesessen bin und Wirtin Ulli Mainschäfer kommt mit einer großen Schüssel voll Walderdbeeren vorbei. Die hab ich ihr dann abgekauft und wir haben sie mit einer ebenso großen Schüssel Schlagsahne weggehauen.
Geier: Mein letzten drei regulären Arbeitstage sind vom 23. bis 25. Mai, dann bin ich im Urlaub und am 26. August beginnt die Freistellungsphase meiner Altersteilzeit. Am letzten Arbeitstag werde ich überprüfen, ob ich nichts vergessen hab. Dass alle Dinge, die offengeblieben sind, dort gelandet sind, wo sie weiterbearbeitet werden. Es ist ja ganz normal, dass hier viele, viele offene Enden geblieben sind. Daher hab ich aber jetzt schon damit angefangen, zu verteilen.
Geier: Ich gehe gerne. Schon aus dem Grund, weil man nach so einer langen Zeit Platz machen muss für Neues. Und weil man merkt, dass man halt doch alt wird.
Geier: Sie wissen schon, dass ich heute noch Termine habe. Das ist nämlich eine Frage, über die man Stunden sprechen könnte. Das Biosphärenreservat wäre jedenfalls nicht dort, wo es jetzt steht, wenn nicht 1989 die EU-Strukturförderprogramme aufgelegt worden wären. Schon in der ersten Auflage von Leader 1991 taucht das Biosphärenreservat Rhön auf, und seither gibt es im bayerischen Teil des Biosphärenreservats in diesem Rahmen Strukturförderung. Und das hat mit all seinen Wendungen die Entwicklung hier enorm beeinflusst. Insbesondere die Teilnahme an Leader, weil hier im Gegensatz zu anderen Förderprogrammen ganz innovativ auf einen partizipativen Ansatz gesetzt wurde. Das heißt, dass dabei regionale Akteure an Entscheidungen über eine regionale Förderung beteiligt werden.
Eine zweite wichtige Entwicklung bedeutete es, als der Freistaat dem Biosphärenreservat fünf Millionen Mark aus Privatisierungserlösen zur Verfügung stellte. Durch geschickten Einsatz weiterer Fördermittel wurden daraus sechs Millionen Euro. Diese bildeten die Basis für den Bau des Infozentrums Haus der Langen Rhön, des Managementzentrums, der Infostelle Schwarzes Moor und des Aussichtsturms am Moor.
Und drittens löste am 6. April 2006 bei der legendären Eröffnung der Infostelle Schwarzes Moor Minister Werner Schnappauf die nächste Großbaustelle aus. Er beauftragte ein Konzept für die Umweltbildung, woraus nach manchen Schwierigkeiten dann letztlich 2012 die Umweltbildungsstätte in Oberelsbach hervorging. Schon vorher, ausgelöst durch das Infozentrum Haus der Schwarzen Berge, gab es einen weiteren entscheidenden Entwicklungszweig. In einem Vertrag wurde das komplette Bildungsgeschäft als eine zentrale Aufgabe des Biosphärenreservats an den Naturparkverein übertragen.
Geier: Das zu beantworten, fällt mir ganz schwer, weil hier zu Recht das Sprichwort gilt, dass der Erfolg viele Väter hat. Zudem ist es Geschmacksache zu sagen, das war der größte Erfolg. Das müssen die Väter der durchaus ansehnlichen Reihe der Erfolge jeweils selbst beurteilen. Der für alle sichtbare Initiator war ich nur beim Rhöner Wurstmarkt. Aus meiner Sicht war es der größte Erfolg, dass die Rhön auf dem besten Weg ist, nur noch als eine Rhön wahrgenommen zu werden und auch als eine Rhön aufzutreten.
Geier: Wenn ich es in der Hand gehabt hätte, dann hätte ich am Anfang einige Dinge anders aufgestellt. Es freut mich aber außerordentlich, dass wir für nachfolgende Biosphärenreservate ein lehrreiches Beispiel geben konnten, wie man es bei einer vergleichbaren Konstruktion besser macht. Die Kollegen in Baden-Württemberg haben daher zum Beispiel ihre Verwaltungsstellen zu einer Stabsstelle beim Regierungspräsidium gemacht und mit einem eigenen Förderinstrument ausgestattet. Damit kann die Verwaltungsstelle in der Region einen für die Menschen sichtbaren Nutzen spenden. Und der heißt halt "die haben Geld, die können fördern." Damit hätten wir in der Rhön, glaub ich, noch deutlich mehr bewegen können. Da ist für meine Nachfolgerin, meinen Nachfolger noch Luft nach oben.
Geier: Da ist zum Beispiel die Regionalvermarktung. Worauf ich hier richtig stolz bin, ist die Entwicklung und Professionalisierung, die die Rhöner Brenner genommen haben. Da muss man sich nur die Zahl der Betriebe ansehen, die inzwischen von der Dachmarke zertifiziert wurden. Die haben ein phänomenales Niveau, können national und international auftreten und auch auf einer großen Bühne bestehen. Dieses Qualitätsniveau war bei unseren Metzgern auch da und ist bei denen, die bis heute überlebt haben, überwiegend immer noch da. Aber wir haben seither über ein Drittel der Metzgereibetriebe verloren. Auch bei dem, was in der Brauerszene läuft, kann man nur sagen: Respekt! Bei den Bäckern ist es schwierig, schwierig, schwierig. Wer will schon um 2 Uhr am Morgen aufstehen. Na ja, mein Faible für das Lebensmittelhandwerk ist ja bekannt.
Geier: Danke für die Frage. Beim Thema Landwirtschaft sind wir noch immer vorbildlich in Bayern. Das Verhältnis zwischen ehrenamtlichem und amtlichen Naturschutz auf der einen Seite und Bauernverband auf der andern Seite ist in Rhön-Grabfeld wie sonst nirgends. Da sind die Rhöner mindestens zehn Jahre vor dem Rest Bayerns. Senator Karl Groenen hat seinerzeit die Bauern aufgefordert "Macht Naturschutz gegen Geld!", andernfalls hätten wir kein Bein auf den Boden bekommen. Und jetzt sind wir hier immer noch Vorbildregion weit über Unterfranken hinaus. Es gibt auch kaum noch Flächen, die noch nicht im Vertragsnaturschutz sind, obwohl sie die Anforderungen erfüllen würden. Die bayerische Rhön ist mit über 4500 Hektar Spitzenreiter beim Vertragsnaturschutz in Bayern.
Geier: Wir sind im bundesweiten Vergleich der Biosphärenreservate in der Gesundheitswirtschaft herausragend aufgestellt. Hier finden zahlreiche Rhöner ihren Arbeitsplatz, aber es stellt sich die Frage, ob man nicht mehr aus der Situation machen könnte, zum Beispiel durch die Belieferung mit regionalen Rohstoffen. Jedoch muss man hier feststellen, dass die Dimensionen von Bedarf und Angebot und auch bei Preisvorstellung noch weit auseinander liegen. Unsere landwirtschaftlichen Player sind hier bislang einfach nicht groß genug.
Positiv läuft die Bildungsarbeit als zentrale Aufgabe. Inzwischen gibt es 45 BR-Kindergärten und -Schulen. Davon haben wir mehr als 30 in Bayern. Hier haben wir viel erreicht, aber auch noch viel Luft nach oben. Wichtig ist hier, dass wir Multiplikatoren ausbilden. Zum Beispiel bei Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer.
Geier: Das ist schwierig zu beantworten. Wir bieten als Verwaltungsstelle keine Angriffsfläche. Wir haben keine hoheitlichen Rechte und können nichts verbieten. Widerstand in unserem Planungsbereich kamen von Forst und Jagd. Das ist, was die Förster anlangt, inzwischen Geschichte. Von den Förstern, mit denen die Kernzonen ausgehandelt wurden, ist keiner mehr dabei. Man kann aber nicht sagen, es gibt immer eine Richtung, aus der Widerstand gegen das Biosphärenreservat kommt. Früher haben die Bürgermeister immer gefragt, was kommt dabei rüber? Nach dem Motto "gebt uns Geld, uns fällt dann schon was ein". Da mussten wir halt deutlich machen, dass die Reihenfolge anders ist: erst die Idee und dann das Geld. Und für gute Ideen findet sich auch heute noch immer Geld.
Geier: Falsche Frage. Man muss das Klavier spielen wollen. Das Klavier ist die Bürokratie. Wenn man sich verweigert, reibt man sich auf. Wenn man aber bereit ist, das Klavier spielen zu lernen, kann man richtig was bewegen. Das seh ich an denen, die alles verhindern. Die können das nämlich auch.
Geier: Auch diese Frage muss man etwas anders beantworten. Vor der Erweiterung hatten wir es mit 18 Gemeinden und Bürgermeistern zu tun, inzwischen mit 40. Wir werden in der Verwaltungsstelle nie die Kapazitäten haben, mit allen zusammenzuarbeiten. Wer aber als Bürgermeister oder Bürgermeisterin eine Chance im Biosphärenreservat sieht, kriegt von uns Unterstützung. Das war die 29 Jahre, die ich hier war, immer meine Sache. Mit solchen, die kein Interesse haben, habe ich mich nicht abgegeben. Es hat keinen Sinn, jemandem hinterherzulaufen.
Geier: In meiner Zeit waren es neun: Peter Gauweiler, Thomas Goppel, Werner Schnappauf, Otmar Bernhard, Markus Söder, Marcel Huber, Ulrike Scharf, erneut Marcel Huber und jetzt Thorsten Glauber. Bei der Frage, welcher der beste oder der schlechteste war, nenne ich keine Namen, aber ich könnte Namen nennen.
Geier: Den Namen sag ich: Thomas Goppel. Nicht nur, weil keiner so oft in der Rhön war wie Goppel.
Geier: Im Sinne des Biosphärenreservats würde ich sagen, wenn jemand wie ich das Geschäft 29 Jahre betrieben hat, muss man im Prinzip die Aufstellung und Ausrichtung einer Verwaltungsstelle einmal auf den Prüfstand stellen. Wir haben das jetzt 29 Jahre so gemacht, ist das jetzt das Modell für die Zukunft oder müssen wir an Stellschrauben arbeiten? Ich würde das so machen. Wenn eine neue Chefin, ein neuer Chef kommt, ist sie oder er unbelastet und muss es nicht so machen wie ich. Man kann andere Schwerpunkte setzten als ich. Ich würde mir wünschen, dass das ein gemeinsamer Prozess von Ministerium, Regierung und dem neuen Leiter, der neuen Leiterin wird. Es könnte durchaus sein, wenn der nächste Verwaltungsstellenleiter Veganer ist, ja mei, dann ist die Verwaltungsstelle beim Wurstmarkt künftig halt nicht mehr dabei.
Geier: Das ist eine schwierige Frage, weil zwei Jahre Covid so auf die Stimmung geschlagen haben, dass man sich schwertut, das einzuschätzen. Vor Covid hätte ich gesagt, wir sind gut aufgestellt, wir sind gut unterwegs. Jetzt müssen wir schauen, wie wir wieder Grund unter die Füße kriegen.
Geier: Dass die Rhön ein Vorzeige-Biosphärenreservat ist, stimmt immer noch, aber wir haben inzwischen national echte Konkurrenz. Was die Kollegen auf der Schwäbischen Alp und im Schwarzwald auf die Beine stellen - Alle Achtung! Die mischen uns ganz schön auf, aber das schadet ja nicht.
Auch wenn es sich überheblich anhört, das war mir nie wichtig.
Geier: Also die Chance, einen Nachfolger einzuführen, gibt es nicht, weil ich vorher weg bin und die Stelle erst zum 1. September besetzt sein kann. Wer sich berufen fühlte, konnte sich bis 22. Mai bewerben.
Geier: Ich war über 20 Jahre im Vorstand der Bayerischen Botanischen Gesellschaft, aber wenn man 29 Jahre die meiste Zeit am Schreibtisch verbringt, dann vergisst man, was draußen blüht. Ich möchte meine Artenkenntnis wieder auf einen Stand bringen, mit dem ich selber zufrieden bin. In jedem Fall mache ich noch bis zum Herbst Wurstmarkt.
Geier: Dass in 30 Jahren die letzte Lupine in der Rhön ausgerottet ist. Außerdem habe ich mir schon immer gewünscht, dass sich die Rhöner Rhönerisch ernähren. Im Biosphärenreservat fehlt es fast an nichts, das was man zum guten Leben bräuchte.
Geier: Weiß ich spontan nicht. Da gab viele schöne Momente. Die hatten eins gemeinsam, sie hatten immer mit menschlichen Begegnungen zu tun. Da wüsste ich aber nicht, den schönsten zu nennen.