Unter dem Motto "Mensch, Natur, Einklang" feiert das Biosphärenreservat Rhön 30-jähriges Bestehen. Einer der Macher von Beginn an ist Michael Geier. Wie sieht er die Entwicklung?
Michael Geier: Die Antwort ist nicht einfach. Zum einen gilt sicherlich, wenn Sie heute eine bundesweit repräsentative Umfrage machen, wer die Rhön kennt, schauen wir gut aus, richtig gut. Hier ist das Biosphärenreservat nicht unschuldig. Zum anderen ist und war das Biosphärenreservat sehr wichtig für Rhön, weil es der Anlass war, dass die Rhön länderübergreifend zusammenarbeitet.
Geier: Die Frage lässt sich so nicht stellen, Biosphärenreservat ist ja etwas Abstraktes, eine Idee, die von Rhönern ständig neu gelebt werden muss. Erst wenn es Leute gibt, die Ideen umsetzen wollen, dann tut sich was im Biosphärenreservat. Die Biosphärenreservatsverwaltung ist dabei ein Katalysator.
Beispiele wären da Projekte wie Bionade, der Rhöner Wurstmarkt oder auch das länderübergreifende Leader-Projekt Hochrhöner. Gerade unser Premiumwanderwegenetz ist eine Erfolgsstory vieler engagierter Partner.
Geier: Im Rahmenkonzept von 2018 machen nur die wichtigsten Ziele einen ganzen Band mit knapp 200 Seiten aus. Und die soll ich Ihnen in drei Sätzen zusammenfassen?
Geier: Da haben wir eine gemischte Bilanz. In manchen Bereichen ist die Rhön bis heute bei der Biodiversität ein absoluter Leuchtturm national wie international. Auf der anderen Seite haben wir hier massive Probleme. Die Lupine ist gerade drauf und dran, die wertvolle Kulturlandschaft platt zu machen. Im Bereich der Birkhühner haben wir nichts erreicht. Die Zahlen bei den sonstigen Wiesenbrütern sind schwankend, aber in der langfristigen Tendenz nicht abnehmend. Wobei wir uns hier im Vergleich zu anderen Regionen auf einem ganz hohen Niveau bewegen.
Bei der kulturellen Vielfalt waren wir vor Corona glaube ich sehr gut aufgestellt. Das Problem, das ich da eher sehe, ist, dass sich die Rhöner nicht bewusst sind, was sie alles haben.
Geier: Hier kann ich auf Stimmen von Außen verweisen. Erst gestern habe ich wieder gelesen, wie die Rhön mit regionalen Qualitätsprodukten aufgestellt ist, sei phänomenal. Da seien andere Regionen meilenweit entfernt. Das ist die schöne Seite. Auf der anderen Seite gibt es nichts daran zu deuteln, das Lebensmittelhandwerk nimmt ab und ab und ab. Es will sich keiner mehr die Arbeit antun als Bäcker, als Metzger. Am ehesten noch als Brauer. Das ist irgendwie hip.
Geier: Umweltbildung vor 30 Jahren hat es fast nicht gegeben in dem Sinn, wie wir sie heute haben. Und jetzt kommt wieder ein Aber. Das Wissen um alles, was mit der Natur zu tun, war vor 30 Jahren viel größer als heute. Nach neuen Studien ist das Wissen von Schülern hier katastrophal. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist damit heutzutage viel wichtiger als vor 30 Jahren.
Geier: Vor 30 Jahren und zuvor gab es Einzelfall-Forschung. Einzelne Wissenschaftler, die sich um bestimmte Highlights gekümmert haben. Das war beschreibende Forschung. Das war noch nicht Forschung mit unmittelbarem Anwendungsbezug und der Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Da sind wir natürlich jetzt, weil das eine Kernaufgabe des Biosphärenreservats ist, ziemlich intensiv dabei und viel weiter.
Geier: Ja, ich glaube, dass das Konzept Biosphärenreservat sehr zukunftsfähig ist. Aber wie von Anfang an: Das Konzept Biosphärenreservat ist ein Vorsatz, den eine Region sich fasst. Politisch und auch in der Bevölkerung. Nachhaltige Entwicklung muss man wollen. Wenn man nicht will, zwingt einen allerdings die Natur - siehe Klimawandel.
Geier: Schwierig. Was ist immer geradeaus gelaufen? Der Rhöner Wurstmarkt. Da hat es nie Probleme gegeben. Die Zusammenarbeit da war immer eine Wohltat, und eine sehr produktive. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir nicht wissen, wie lange es ihn noch geben wird. Weil ohne Metzger, kein Wurstmarkt.
Geier: Das beantworte ich nur off records
Geier: Hier muss ich überlegen. Das Problem ist, die Verwaltungsstelle hat keine hoheitlichen Funktionen wie eine untere Naturschutzbehörde, sie ist keine Förderbehörde und sie hat keine planende Funktion wie die staatliche Bauverwaltung. Was bleibt für die Verwaltungsstelle übrig und ihren Verwaltungsleiter? Zu schauen, wo sich Lücken auftun. Wo man für die Umsetzung der Idee Biosphärenreservat Positives bewirken kann. Na ja, lange Rede kurzer Sinn: Ich täte nichts anders machen. Es kann aber durchaus sein, dass meine Nachfolgerin, mein Nachfolger vieles ganz anders macht. Auch das wäre völlig ok, solange es das Biosphärenreservat voranbringt.
Geier: In der alten Schule von Weisbach, damals noch Baustelle, mit einer Werkvertragskraft im Frühjahr 1991. Parallel dazu gab es von der Wildbiologischen Gesellschaft zwei Werkvertragsnehmer, einen Schutzgebietsbetreuer und eine Sekretärin mit Büros im Rathaus von Oberelsbach.
Geier: Heute sind es siebeneinhalb Stellen unbefristet, zehn Projektstellen befristet und zwei Praktikanten.
Geier: Wir könnten die heutige Arbeitsmenge nicht mehr mit den Mitteln bewältigen, die wir damals hatten. Doris Pokorny hatte damals schon einen Computer, aber das war eine bessere Schreibmaschine. Heute könnten wir ohne funktionierende EDV heimgehen.
Geier: Es gibt heute Themen, an die zu Beginn niemand gedacht hat. Da wusste kaum einer, wie man Klimawandel schreibt. Nicht auf dem Schirm hatte man auch das Thema Mobilität. Die Naturschutzthemen gab es alle schon, da haben sich die Gewichte verlagert. Als ich angefangen habe, waren die Lupinen noch nicht ansatzweise ein Thema wie heute. Dazu kommt zum Beispiel noch das Thema Green Care, also die Verbindung zwischen Natur und psychischer Gesundheit. Hier stehen wir ziemlich am Anfang. Hier ist zwar ganz viel Mode. Aber gerade im bayerischen Teil des Biosphärenreservats mit dem Schwerpunkt Gesundheitswirtschaft sehe ich hier richtig große Chancen. Die Auszeichnung Bad Kissingens als Weltkulturerbe ist da ein zusätzlicher Push.
Geier: Zum einen Selbstorganisation und das erste Rahmenkonzept. 1993 wurden die beiden Standorte Weisbach und Oberelsbacher Rathaus in der Oberelsbacher Marktstraße zusammengeführt. 1999 folgte der Umzug ins Managementzentrum. Die wichtigste Arbeit war der Vertragsnaturschutz. Damals haben wir die Basis gelegt, dass die bayerische Rhön hier so gut dasteht.
Geier: Das zweite Jahrzehnt war geprägt vom Bauen. Das Haus der Langen Rhön, die Infostelle oder der Aussichtsturm im Schwarzen Moor. Zudem war das zweite Jahrzehnt die Periode länderübergreifender Leader-Projekte. Wichtige Beispiele der Hochrhöner mit den Extratouren und die Geburt der Dachmarke.
Geier: Da erreichte die Erweiterungsdiskussion ihren Höhepunkt mit dem Kabinettsbeschluss 2010 in Bad Kissingen und schließlich der offiziellen Anerkennung durch die UNESCO 2014. Daneben haben wir ein Großteil unserer Arbeitskraft in das neue Rahmenkonzept gesteckt.
Geier: Ein Schwerpunkt, der nicht von uns gesetzt ist, wird der Klimawandel. Wo ich großes Potenzial sehe, ist das Thema Natur und psychische Gesundheit. Im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung sind wir jetzt an dem Punkt, dass wir richtig durchstarten können.
Geier: Der Klimawandel im Bereich Landwirtschaft und Wasserversorgung. Da werden wir uns noch wundern.
Geier: Man muss unterscheiden zwischen dem Klimaschutz und Anpassung an Klimaänderung. Beim Klimaschutz haben wir Möglichkeiten im Bereich regenerative Energien. Heißes Diskussionsfeld sind derzeit Freiflächen-PV-Anlagen in Konkurrenz zu landwirtschaftlicher Nutzung, in Konkurrenz zum Landschaftsbild und in Konkurrenz zum Tourismus. Hier können wir Vorbildfunktion übernehmen. Ebenso bei der Frage, wie geeignete Dachflächen im Biosphärenreservat vollständig für regenerative Stromgewinnung genutzt werden können. Hier geht noch einiges.
Geier: Nein, das glaube ich nicht. Es ist eine wesentliche Aufgabe von Biosphärenreservatsverwaltungen, Entscheidungshilfen zu liefern. Das heißt mit abgesicherten Daten erläutern, wo stehen wir in der Entwicklung. Dazwischen muss aber ein ausreichender Zeitraum sein, in dem man sich mit der Umsetzung von Maßnahmen beschäftigt. Dann muss man wieder einmal Bilanz ziehen und sagen, was war erfolgreich, was lassen wir zukünftig.
Geier: Solche Einrichtung sollten eigentlich dort stehen, wo großer Besucherverkehr vorhanden ist. Ich habe mich aber nicht durchsetzen können, dass auf dem Kreuzberg das Biosphärenreservat prominent präsentiert wird. Bis heute nicht. Der Standort Oberelsbach ist nicht optimal. Im Vergleich zu vergleichbaren Einrichtungen stehen wir hier aber gut da, das Besucheraufkommen ist respektabel.
Geier: Das ist eines der großen Zukunftsprojekte. Wir werden wieder das Bauen anfangen. Allerdings warten wir noch auf Grundsatzentscheidungen und drängeln diesbezüglich im Ministerium. Wenn die Entscheidung diese Woche käme, könnte der Standort Hammelburg - so alles glattgeht - in der ersten Jahreshälfte 2024 den vollen Betrieb aufnehmen. Beim Klaushof ist das noch Kaffeesatz-Leserei. Vielleicht 2027 oder 2028.
Geier: Wir werden 2022 unsere dritte repräsentative Meinungsumfrage im Biosphärenreservat fahren. Und schon die ersten beiden 2002 und 2010 haben sehr beachtliche Akzeptanzwerte für das Biosphärenreservat ergeben. Von daher kann man da nur zufrieden sein. Aber ich möchte das mit einem Fragezeichen versehen. Eigentlich müssten wir von der Aussage, "wir finden es gut, was läuft", zu der Aussage, "wir engagieren uns" kommen.
Geier: Gelästert wird immer. Ich habe aber schon lange keine ernsthafte Kritik mehr vernommen, die an die Grundsätze rührt.
Geier: Corona hat Prozesse verlangsamt. Der einzige Bereich, wo uns Corona nicht behindert hat, ist die Forschung. Die Arbeit, die im Wesentlichen auf Kommunikation mit regionalen Akteuren aufsetzt, war dagegen völlig lahmgelegt. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich das wieder normalisiert.
Geier: Wie überall hat sich Corona auf die ehrenamtliche Kulturszene katastrophal ausgewirkt. Wenn eine neue Normalität eintritt, muss man sehen, wie viel davon reaktiviert werden kann und wie viel von null neu aufgebaut werden muss. Das Vereinsleben in der bayerischen Rhön war richtig stark. Ich traue mir keine Prognose zu, wie es weiter geht. Die Frage ist, können die Vereine die Jungen wieder zurückgewinnen.
Geier: Das kann ich nicht sagen. Das müssen die Rhöner tun.
Geier: Was ich mir wünsche für das Biosphärenreservat in den nächsten 30 Jahren? Dass die Lupinen in der Rhön ausgerottet sind.