zurück
Bad Königshofen
Kinderarzt aus Afghanistan flüchtete vor den Taliban: Er will in der Rhön als Arzt arbeiten, darf aber noch nicht
Tajuddin Noori und seine Familie haben in Bad Königshofen eine neue Heimat gefunden. Warum er täglich 40 Kilometer mit Bus und Bahn zum Sprachkurs fahren musste.
Kinderarzt Dr. Tajuddin Noori flüchtete aus Afghanistan nach Bad Königshofen. Bis er als Mediziner in Deutschland arbeiten darf, liegt noch ein langer Weg vor ihm. Doch er will durchhalten.
Foto: René Ruprecht | Kinderarzt Dr. Tajuddin Noori flüchtete aus Afghanistan nach Bad Königshofen. Bis er als Mediziner in Deutschland arbeiten darf, liegt noch ein langer Weg vor ihm. Doch er will durchhalten.
Kristina Kunzmann
 |  aktualisiert: 14.09.2024 02:34 Uhr

Arzt sein, Menschen helfen, ihre Schmerzen lindern: Davon träumt der Afghane Dr. Tajuddin Noori, der seit 2022 mit seiner Familie in Bad Königshofen (Lkr. Rhön-Grabfeld) lebt, bereits als Grundschüler. Nach Ausbildung und Studium geht sein Wunsch endlich in Erfüllung. Doch dann muss Noori mit seiner Familie ins Ausland flüchten. Aus Angst vor den radikal islamistischen Taliban, die nach dem Abzug des internationalen Militärs 2021 wieder die Macht in Afghanistan übernehmen.

Dass Tajuddin Noori als Arzt und Bürokraft für eine internationale Organisation arbeitet, missfällt der Terrorgruppe. Noori wechselt als afghanische Ortskraft mehrmals die Wohnung, seine Eltern werden bedroht, seinen Aufenthaltsort preiszugeben. Wegen der gefährlichen Lage entschließt sich die Familie, ihre Heimat zu verlassen.

Die Bilder der Flucht verfolgen die Familie von Tajuddin Noori noch heute

"Am Flughafen fielen Schüsse, es gab eine Explosion. Überall war Blut, zwei Frauen wurden getötet", erinnert er sich im Gespräch mit dieser Redaktion. Nooris vier Kinder, die jüngsten erst drei und fünf Jahre alt, müssen alles mitansehen. Manchmal würden ihn und seine Familie die schrecklichen Bilder noch heute verfolgen, so der 41-Jährige.

Glücklicherweise gelingt die Flucht: Nach einer Zwischenstation in Pakistan erreicht die Familie am 12. Januar 2022 Bad Königshofen, wo sie im Haus St. Michael eine Bleibe findet. "Die Familie ist super integriert, die Kinder sind intelligent: Die älteste Tochter hat es letztes Jahr aufs Gymnasium geschafft", sagt Frank Helmerich, der wie Renate Knaut (pädagogische Leiterin der Volkshochschule Rhön und Grabfeld, Münnerstadt) und andere Bad Königshöferinnen und Bad Königshöfer die Familie unterstützt. 

Frank Helmerich (links), Renate Knaut und andere Bad Königshöferinnen und Bad Königshöfer unterstützen Tajuddin Noori und seine Familie bei ihrem Neustart in Deutschland.
Foto: René Ruprecht | Frank Helmerich (links), Renate Knaut und andere Bad Königshöferinnen und Bad Königshöfer unterstützen Tajuddin Noori und seine Familie bei ihrem Neustart in Deutschland.

Im Januar 2023 bezieht Tajuddin Noori mit Frau und Kindern eine eigene Wohnung in Bad Königshofen. Doch die Erlaubnis, als Arzt in Deutschland tätig sein zu dürfen, fehlt ihm noch. In seiner Heimat absolviert er zuerst eine Krankenpfleger-Ausbildung, arbeitet sich zum Stationsleiter und Pflegedirektor hoch. "Zur Vorbereitung auf die Eignungsprüfung für das Studium holte ich sechs Monate lang jede Nacht vier Stunden Lernstoff nach", sagt Noori. 

Jeden Tag mit Bus und Zug von Bad Königshofen zum Sprachkurs nach Bad Kissingen

Er besteht die Prüfung, besucht vormittags Vorlesungen an der Uni und übernimmt von 16 bis 5 Uhr Schichten als Pfleger. Sieben Jahre lang, bis zum Abschluss als Arzt. Dann arbeitet er endlich in seinem Traumberuf. In Deutschland muss Noori jetzt wieder von vorne anfangen. "Mit vier Kindern und der Fremdsprache, das ist nicht einfach. Aber ich muss lernen, denn wir wollen in Deutschland bleiben", sagt der Mediziner.

Für seinen Traum kämpft er hartnäckig: Fünf Monate lang fährt er fünf Tage die Woche mit Bus und Zug von Bad Königshofen nach Bad Kissingen, um den Sprachkurs im Niveau B2 zu absolvieren. Morgens um 6 startet er und kommt erst gegen 16 Uhr zurück. Denn weil bisher keine Genehmigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vorliegt, darf der Kurs in Bad Königshofen nicht angeboten werden, obwohl qualifizierte Kursleiter zur Verfügung stünden. 

Sie verstehe, dass insbesondere bei Ärzten die Qualifikationen genau geprüft werden müssten, so Renate Knaut. Dennoch frage sie sich, ob man manche bürokratische Hürden nicht vereinfachen und somit den Prozess beschleunigen könnte: "Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erscheint mir in vielen Fällen sehr kompliziert und langwierig". Die Erwartungen, dass sich qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland schnell in den Arbeitsmarkt integrieren, seien gleichzeitig hoch. "Und die meisten möchten meiner Erfahrung nach auch so schnell wie möglich wieder in ihrem Fachbereich arbeiten", sagt Knaut.

Scholarship am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt wäre eine Chance für Tajuddin Noori

Besteht er Mitte September die B2-Abschlussprüfung, könnte Noori seinem Traum, in Deutschland als Arzt zu arbeiten, bald näher kommen. Im Rahmen eines Stipendiums (Scholarship) am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt könnte er den Ärztinnen und Ärzten dort mehrere Monate lang über die Schulter schauen.

"Zum Programm gehört Deutsch-Unterricht in Kleingruppen. Dabei werden die Teilnehmenden intensiv auf die für ihre ärztliche Anerkennung nötige Fachsprachprüfung auf C1-Niveau vorbereitet", sagt Christiane Hanshans, die das Scholarship betreut und vor 13 Jahren entwickelte, auf Anfrage dieser Redaktion.

So würden die ausländischen Ärzte lernen, wie das deutsche Gesundheitssystem funktioniert, wie sie Gespräche mit Patienten führen oder mit Kollegen kommunizieren. Hanshans unterstützt die Hospitanten auch bei Formalia wie der Beantragung ihrer zunächst auf zwei Jahre befristeten ärztlichen Berufserlaubnis und der lebenslang geltenden Approbation. Liegt diese vor, kann Noori eine Weiterbildung zum Facharzt beginnen. 

"Eine Kinderklinik haben wir am Campus zwar nicht, aber vielleicht entdeckt Herr Noori im Scholarship sein Interesse an einem anderen Bereich", so Hanshans. Etwa am neurologischen oder allgemeinärztlichen Fachgebiet, das Noori über den Weiterbildungsverbund auch von der Klinik in eine niedergelassene Praxis führen könnte.

Bis der Afghane Tajuddin Noori tatsächlich in Deutschland als Mediziner arbeiten kann, wird es zwar noch eine Weile dauern. Doch er will durchhalten. Damit er auch in seiner neuen Heimat bald das tun darf, was er am liebsten macht: Menschen helfen.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Königshofen
Bad Kissingen
Bad Neustadt
Kristina Kunzmann
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
Frank Helmerich
Gesundheitssystem in Deutschland
Grundschulkinder
Gymnasium Bad Königshofen
Kinderkliniken
Rhön-Klinikum Campus
Taliban
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Peter Havel
    ... wie sagt die Ampel, wir brauchen dringend Fachkräfte !!!, haben wir sie dann endlich, werden Berge von Steinen in den Weg gelegt, wie bescheuert ist das???, wann wachen die in Berlin endlich mal auf ???
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Robert Muthig
    Armes Deutschland
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Reiner Kortmann
    … und warum die Hürden bis zur Anerkennung soooooo hoch sind verstehe wer will - ich tu‘s nicht 🙄

    Susi Kortmann
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Reiner Kortmann
    Also ich drücke sämtliche Daumen für Herrn Noori ✊✊ Es wäre wunderbar wenn er hier als Kinderarzt arbeiten könnte - und ich hoffe nicht dass er im Campus gefallen an einem anderen Fachbereich finden wird - Kinderärzte werden dringend gebraucht☝️

    Susi Kortmann
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten