Die Verwunderung war groß im Landkreis Bad Kissingen und speziell in Münnerstadt, als Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Frühjahr 2024 die Pläne für die Stromtrasse P540 präsentierte: Unerwartet sollte diese nämlich über Münnerstadt und damit durch die Landkreise Rhön-Grabfeld und Bad Kissingen nach Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) führen.
Ob einer fehlenden Vorab-Information schrieb Münnerstadt Klimamanager Stefan Richter dem Minister seinerzeit gar einen offenen Brief. Jetzt, ein halbes Jahr später, kam Aiwanger persönlich nach Münnerstadt und informierte geladene Mandatsträgerinnen und Mandatsträger gemeinsam mit Vertretern der Netzbetreiber Tennet und Bayernwerk Netz zu den Plänen.
Von den rund 200 geladenen Gästen erschienen allerdings nur um die 50 beim nicht-öffentlichen Termin. Wohl auch, weil es bei der Versendung beziehungsweise beim Erhalt der Einladungen durch Netzbetreiber Tennet zu technischen Problemen kam. Die, die da waren, erlebten eine sachliche und konstruktive Veranstaltung mit anschließender Pressekonferenz.
Welche neuen Erkenntnisse hat die Informationsveranstaltung in Münnerstadt gebracht?
Im Grunde keine. Der Leitungsverlauf war in dem Rahmen, dass er von Thüringen kommend über Münnerstadt nach Grafenrheinfeld führen soll, bereits kommuniziert worden. Die Veranstaltung brachte weitere Erklärungen dazu sowie die Möglichkeit für politische Mandatsträger aus der Region, mit den Verantwortlichen in den Austausch zu kommen.
Warum soll die Leitung jetzt doch kommen, nachdem das Projekt 2019 vom Tisch war?
Hubert Aiwanger hat das Projekt P44 nicht vergessen. Unter diesem Namen war bis 2019 eine vergleichbare Leitung im Gespräch, die schließlich nicht zustande kam. Der Staatsminister dazu im Rahmen der Pressekonferenz: "Sie wurde damals nicht für nötig erachtet. Jetzt ist sie es durch die Fortschreibung des Bundesbedarfsplans. Wir brauchen eine engere Vermaschung mit dem Stromnetz Thüringens, mehr Kapazitäten, um im Falle von Stromausfällen keinen großflächigen Blackout zu erleben." Diese Erkenntnis fuße auf Berechnungen der Bundesnetzagentur.
Basis seien die veränderten Rahmenbedingungen in Sachen Energie. "Wir sind aus der Kernenergie ausgestiegen und haben das russische Gas verloren", so Aiwanger. Deutschland sei auf den Zubau erneuerbarer Energien angewiesen. "Ohne diese Leitungen können wir die energiepolitischen Ziele in der Region nicht mehr abdecken. Insofern sind sie vielleicht für manche vor Ort störend, aber aus heutiger Sicht die richtige Entscheidung." Diese müsse man möglichst standortverträglich umsetzen.
Wieso soll die Leitung über Münnerstadt verlaufen und nicht direkt von Thüringen nach Grafenrheinfeld?
Unabhängig vom Projekt P540 soll in Münnerstadt ein neues Umspannwerk entstehen. "Hier sind große Mengen an Photovoltaik- und Windstrom zu erwarten", so Aiwanger. Um diesen ins Netz zu bekommen, sei das Werk notwendig. "Insofern ist es sehr sinnhaft, das Umspannwerk in Münnerstadt in die Stromtrasse über Thüringen kommend einzubinden." Andernfalls hätte es eine zusätzliche Leitung von Münnerstadt nach Grafenrheinfeld benötigt.
Welches Interesse hat die Stadt Münnerstadt daran, dass die Leitung über ihr Gebiet verläuft?
Bürgermeister Michael Kastl sieht im neuen Umspannwerk und der daraus resultierenden Leitung P540 vor allem einen Attraktivitätsgewinn als Wirtschaftsstandort. "Es geht um knallharte Standortpolitik", so Kastl. "Auf Münnerstadt bezogen benötigt beispielsweise unser größter Arbeitgeber, die Firma Nipro, künftig grünen Strom und grünen Wasserstoff." Auch andere große Firmen aus der Umgebung haben laut Kastl bereits Bedarf formuliert.
"Wir sehen jeden neuen Trassenbau kritisch, das stellt immer eine gewisse Belastung dar", so der Bürgermeister. Aber: "Andererseits ist es wichtig, dass wir nicht abgehängt werden. Die Leitungen sind unvermeidbar, um die Wettbewerbsfähigkeit der Region zu erhalten und vielleicht zu steigern. Insofern sehen wir der Sache optimistisch entgegen."
Wie stehen die umliegenden Kommunen und der Landkreis Bad Kissingen zu den Plänen?
Grundsätzlich stehen die möglicherweise betroffenen Kommunen den P540-Plänen offen gegenüber. Wichtig sei, dass sinnvoll geplant werde und dabei die Belange der Menschen in den durchquerten Gebieten berücksichtigt werden. Dass die Leitung benötigt wird, stellt kaum jemand infrage.
Die Bündelung, dass neben der P540 bis zu fünf weitere Trassen durch den Landkreis Bad Kissingen verlaufen sollen, sorgt allerdings weiter für Unverständnis und Betroffenheit – vor allem auch bei Landrat Thomas Bold. "Das sind natürlich Belastungen", so Aiwanger auf Nachfrage dieser Redaktion dazu. "Es geht aber um technische Sinnhaftigkeiten und wir können keine Leitungen durch Landkreise oder Gemeinden legen, nur weil die noch keine haben. Man kann das nie alles gleichmäßig über das Land verteilen", so der Minister.